66. Alex

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Bei Zoe gefällt es mir deutlich besser als bei Oma. Wahrscheinlich nur, weil die Gesellschaft auf das beste reduziert ist.

Sie hat eine kleine Wohnung, in der es nach Babybrei und frisch gewaschener Wäsche riecht. Da sie kein Gästezimmer hat, werden Ty und ich auf der Couch schlafen. Zoe bewirbt sie total, meint, die sei mega gemütlich, wenn man sie auszieht und bezieht und wir werden schlafen wie auf Wolken.

Nils geht in sein Zimmer, um zu spielen, Emilia chillt neben uns auf dem Boden und spielt mit nervenden Rasseln und Kuscheltieren, während wir am Tisch sitzen und uns unterhalten. Naja zumindest Zoe, Ella und Tyler. Ich bin die meiste Zeit still und versuche, dem Gespräch zu folgen. Das allein ist schon schwer genug.

Mir tut alles weh. Mein Kopf, meine Hände, mein Knöchel.

Dass meine Familie zum Teil aus gewaltig großen Arschlöchern besteht, macht es nicht besser. Unfassbar, wie alle einfach wieder zum Alltag übergegangen sind, nachdem Lukas und ich uns geschlagen haben. Keiner hat mich gefragt, wie es dazu gekommen ist... Wahrscheinlich hat es einfach keinen interessiert. Lukas wird es schon so gedreht haben, dass ich das unreife Kind mit dem Aggressionsproblem bin, das grundlos um sich schlägt und sich dann als Opfer darstellt.

Einzig und allein, dass Tyler an meiner Seite ist, hilft mir. Er findet immer einen Weg, mich irgendwie beruhigend zu streicheln. Entweder, wenn er meine „Pfote" hält, sodass er mit dem Daumen darüber streicheln kann oder, wenn er die Hand auf meinem Oberschenkel hat oder dem Arm um mich. Er lässt den ganzen Hass, die Wut und alles Schlechte verschwinden. Ich bin mir sicher, wäre er auf der Terrasse bei mir gewesen, hätte ich mich zusammenreißen können. Aber ohne ihn bin ich nur halb so stark und somit umso reizbarer.

Aber er ist auch kein Magier. Er kann nicht mit dem Finger schnippen und alles ist gut. Vor allem, wenn ich, was manche Dinge angeht, nicht komplett ehrlich zu ihm bin. Daher habe ich einen anderen Weg gefunden, es erträglicher zu machen.

Ich bin nicht stolz darauf, das könnt ihr mir glauben. Aber, als ich die Tabletten bei meiner Oma im Bad gesehen habe, wusste ich, dass ich so eine Chance nicht wieder bekommen werde. Ich habe ihr ein paar dagelassen, doch die meisten ihrer Schmerzmittel eingesteckt. Ich weiß, dass die verdammt stark sind und meine Oma sie ungern nimmt. Falls sie sie braucht, hat sie noch ein paar und kann jederzeit Nachschub anfordern. Aber ich brauche sie mindestens so dringend wie sie.

Die ganze Zeit über kann ich nur daran denken. Diese kleinen Pillen kommen wir vor wie die Lösung für all meine Probleme. Sie schreien mich an, sie auszuprobieren... und ganz ehrlich, was habe ich zu verlieren? Ich halte diese Schmerzen zwar aus und verziehe keine Miene, aber nur, weil ich es überspielen kann, heißt das nicht, dass es überspielen müssen will.

Wenn ich schon beim Gehen solche Probleme habe, wie soll ich denn dann rennen oder springen? Ich habe keine andere Wahl. Ich muss nur auf den passenden Moment warten...

„Magst du mir ein bisschen was von Matt erzählen? Er hat doch mit dir seinen Abschluss gemacht oder?" Zoe reißt mich aus meinen Gedanken, als sie mich direkt anspricht und dabei neugierig ansieht.

Ich brauche kurz, um ihre Worte zu begreifen. Um ehrlich zu sein, wundert es mich nicht groß, dass sie mich das fragt und nicht ihre Eltern oder Matt selbst. Zoe und Matt haben seit gut 5 Jahren nicht mehr miteinander geredet und vorhin bei Oma saß Zoe auch möglichst weit weg von Janett und Thomas und hat Gespräche mit ihnen erfolgreich vermieden. Aber natürlich ist ihr ihr kleiner Bruder nicht egal, das war er noch nie. Ich glaube, sie fand es einfach nur blöd, dass er ein besseres Verhältnis zu mir hatte als zu ihr. Sie wollte immer mit ihm spielen und kuscheln, aber er wollte nie und, als sie aufgehört hat, es zu versuchen, dachte er, sie hasst ihn. Schade eigentlich. Geschwister zu haben kann bestimmt was richtig Tolles sein.

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