110. Alex

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Ich bringe eine weitere schlaflose Nacht hinter mich, in der ich jeden Moment damit rechne, einen Anruf zu bekommen, der mir mitteilt, dass meine Karriere vorbei ist, jetzt und hier, einfach so. An ruhigen Schlaf ist gar nicht zu denken. Ich will nicht einschlafen und in einer Welt aufwachen, in der ich kein Fußball mehr spielen darf.

Ich weiß, was ich falsch gemacht habe. Ich habe richtig Scheiße gebaut und nicht dazu zu stehen hat es nur noch schlimmer gemacht. Aber es muss doch irgendeinen Weg geben, das zu regeln. Ich kann nicht glauben, dass jetzt alles vorbei sein soll. Ich habe so viel aufgegeben, um diesen Traum leben können und mir am Ende selbst alles kaputt gemacht, weil ich so dämlich war, arrogant und leichtsinnig.

Ich kann verstehen, warum die anderen mich nicht, mögen, ganz ehrlich. Es gibt niemanden auf diesem Planeten, den ich grade mehr hasse als mich selbst. Ich bin falsch, verlogen, schwach, ängstlich, ein verdammter Heuchler und eine erbärmliche Schwuchtel. Ich kann nichts und ich bin nichts.

Dass es so lange dauert, bis Chris sich meldet, bringt mich beinahe um den Verstand. Es ist die reinste Folter, auf seine Nachricht warten zu müssen, obwohl ich ja weiß, wie das alles ausgehen wird. Ich weiß nur nicht, wie das jetzt abläuft. Werde ich zuerst mit Chris reden? Oder mit dem Vereinsvorstand? Muss ich heute meine Sachen holen und mein Trikot abgeben? Hat er die Polizei alarmiert? Komme ich vielleicht sogar ins Gefängnis?

Es dauert bis zum Nachmittag, bis Chris in die Gruppe schreibt, dass wir alle bis um vier zum Training kommen sollen. Training bedeutet, er weiß, von dem die Drogen waren und nimmt den Spielbetrieb wieder auf.

Ich warte auf eine private Nachricht von ihm, in der er mir sagt, wie es jetzt mit mir weitergehen soll, doch diese kommt nicht. Also mache ich mich fertig, tape meinen Fuß ein, ziehe mich an und gehe runter, als ich Sunnys Auto vorfahren sehe.

„Ging ja schnell, mh?", meint er als Begrüßung.

Er wirkt nicht erfreut dabei, aber auch nicht provokant. Schon wieder habe ich das Gefühl, er weiß was, doch will es nicht zugeben.

„Nicht schnell genug"

Ich wurde grade gut 18 Stunden mit Unwissenheit und Panik gefoltert. Noch länger hätte ich das nicht ausgehalten ohne mich einweisen lassen zu müssen.

„Bleib cool, sonst denkt noch einer, du warst es"

Ich weiß nicht, ob ich es mir einbilde, dass er dabei plötzlich relativ ernst klingt, immerhin lacht er, während er das sagt. Aber ein Lachen beweist für mich gar nichts. Ein Lachen beruhigt ignorante Menschen, die sich mit Oberflächlichkeit zufriedengeben, aber, ich denke, es weiß keiner besser als ich, dass ein Lachen viel zu oft nur dazu da ist, um etwas Anderes zu überdenken. Trauer, Angst, Wut, Unsicherheit... Irgendwas.

Ich sage nichts mehr dazu, denn ich habe schlichtweg nichts dazu zu sagen. Ich will das alles einfach hinter mir haben, die Enttäuschung und die Wut und die Beleidigungen über mich ergehen lassen und dann nachhause gehen, mich betrinken und mich zu Lana del Rey in den Schlaf weinen.

Ich will zu Matt. Er soll neben mir sitzen und mir überfordert über den Kopf streicheln... einfach da sein, mein kleiner Cousin... mein kleiner Bruder. Ich brauche jemanden, der mich zwar kennt, aber trotzdem liebt. Jemanden, der weiß, wie schwach ich bin, mich aber trotzdem bewundert. Jemanden, der mich auffängt, weil ich in eine endlos tiefe Schlucht falle und bereits dabei bin, mich in ihrer Schwärze zu verlieren.

Das einzige, was ich noch sehe, ist Dunkelheit. Das einzige, was ich noch höre, sind meine eigenen Schreie. Und, das einzige, was ich spüre, ist Verzweiflung. Ich brauche Halt, Ruhe, Licht, selbst, wenn es nur für eine einzige Sekunde ist.

Teach me LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt