102. John

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Es ist Monate her, seit ich das letzte Mal gearbeitet habe. Das letzte halbe Jahr habe ich damit verbracht, vor mich hinzuleiden und habe jeden kleinsten Funken Arbeitsgeist immer sofort im Keim erstickt, indem ich mir selbst gesagt habe, dass aus mir ohnehin nichts mehr wird. Dass ich ein Versager bin und dass ich das immer bleiben werde.

Ich bin 31 und habe nichts außer einer Katze und einem Ex, der meine Liebe nicht erwidert. Und dann sind da noch diese verwirrenden Gefühle für diesen anderen Mann, mit denen ich absolut nicht klarkomme und die ich einfach auszublenden versuche, weil das mit uns nicht funktionieren würde.

Mich mit Tyler darüber hinweg zu trösten, dass, was auch immer das mit Juli und mir war, vorbei war, bevor es richtig anfangen konnte, hilft eigentlich sogar ganz gut. Zumindest, wenn wir grade dabei sind. Danach, wenn mich die Realität einholt und mir bewusstwird, was ich da gerade getan habe und wohin das führen wird, fühle ich mich total schmutzig und schuldig und dumm.

Ich sollte nicht zulassen, dass Tyler sich nur auf mich einlässt, um über Lion hinweg zu kommen. Ich sollte ein guter Freund sein und ihm sagen, dass das so nicht gehen wird und es alles nur noch schlimmer macht. Ich sollte ihm helfen, einen anderen Weg zu finden. Aber ich will ganz einfach nicht. Ich lechze nach jedem Bisschen Zuneigung, das ich von Tyler bekommen kann, und ich weiß ja selbst, dass es keine gute Idee ist, mit ihm zu schlafen, wenn ich noch was für ihn empfinde, er aber nicht für mich... Aber, wenn er mich küsst, dann fühle ich mich gut. Dann ist die Welt für einen Moment in Ordnung.

Gerade das ist es, was mich so fertigmacht. Ich hätte mich voll auf Juli eingelassen, obwohl ich Tyler nach wie vor liebe und ihn wahrscheinlich auch immer lieben werde.

Was genau ich für Juli empfinde, weiß ich nicht mal wirklich... ich weiß nur, dass ich ihn vermisse.

Seit der Party, auf die er mich geschleppt hat, hatten wir nicht mehr wirklich Kontakt. Er hat mich in derselben Nacht ein paar Mal angerufen, aber das habe ich erst gegen Mittag des nächsten Tages mitbekommen, weil ich bis dahin mit Tyler zu Gange war.

Ich wollte ihn zurückrufen, aber er ist nicht rangegangen. Seitdem ist Funkstille.

Jeden Tag habe ich mir überlegt, ob ich ihm schreiben soll. Aber ich wusste nicht, was ich sagen sollte und ein passendes Lied oder so habe ich auch nicht gefunden.

Was mich daran so aufregt, ist, dass ich weiß, dass Juli mich nur ansehen müsste und genau wüsste, was in mir vor sich geht, aber ich einfach nicht die Eier habe, ihn zu fragen, ob wir uns treffen wollen.

Ich glaube, er braucht Zeit, nachdem ich letztens auf seine „Beichte" so blöd reagiert habe. Und was würde ein Treffen schon bringen? Aus uns wird doch eh nichts und von heute auf morgen nur noch platonische Gefühle füreinander zu haben, ist auch absolut unmöglich. Wir würden uns nur unnötig selbst quälen.

Vielleicht soll es einfach nicht sein. Juli ist doch ohnehin viel zu gut, um Teil meines Lebens zu sein. Alles, was ich anfasse, mache ich kaputt. Er hat sich grade noch so retten können, da bin ich mir sicher. Er wird jemand anderen finden. Jemand besseren.

Allein der Gedanke daran macht mich unglaublich sauer. Ich will mich am liebsten selbst dafür schlagen, dass ich überhaupt darüber nachdenke. Ich will nicht, dass Julian jemand anderen findet. Ich will ihn für mich. Er soll mir gehören, verdammt!

Einen frustrierten Laut unterdrückend kralle ich meine Finger in meine Bettdecke, als ich meine Hand zu einer Faust forme.

Ich will auf irgendwas einschlagen. Schmerzen spüren. Irgendwie Ordnung in meinem Hirn und meinem Herzen schaffen. Raus aus diesem Sturm an Gedanken und Gefühlen.

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