141. Alex

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Kennt ihr das, wenn ihr einfach total abschaltet? Ihr seid zwar wach, eure Augen sind geöffnet und nach außen hin wirkt es vielleicht so als seid ihr in einem Tagtraum, doch in euch ist währenddessen einfach nichts?

Stimmen von außen hallen als Echos an euer Gehör, doch ihr versteht nicht, was sie euch sagen wollen. Das einzige an euch, was sich bewegt, ist euer Brustkorb, in eurer langsamen, regelmäßigen Atembewegung, fast so als würdet ihr wirklich schlafen.

Aber all das bemerkt ihr erst so richtig, wenn euch jemand aus dieser Situation reißt und ihr ins Hier und Jetzt zurückkehrt, wo ihr euch plötzlich mit Gedanken und Gefühlen und Problemen auseinandersetzen müsst?

Genau das passiert mir, als Tyler mich besorgt mustert und dabei leicht über meinen Oberarm streichelt. „Am besten du schläfst erstmal eine Runde, mh?"

Er muss bemerkt haben, wie abwesend ich gerade war und schiebt dies auf meine Müdigkeit. Wahrscheinlich hat er damit nicht ganz unrecht. Aber mich beschäftigt noch so viel mehr. Lana und, ob ihr Papa es schaffen wird, zum Beispiel. Dass sie jetzt ohne ihre Mama aufwachsen muss. Wie ihre Tante darunter leidet. Dass Janett Matt jetzt nie wieder mit uns irgendwo hinfahren lassen wird, weil sie wieder die Übermutti spielen muss.

Obwohl Matt Umarmungen hasst, hat Janett ihn kaum loslassen wollen, nachdem wir in der Stadt mit ihnen aufeinandergetroffen sind. Sie scheint sich wirklich sorgen um ihn gemacht zu haben, aber ich finde, sie hat es übertrieben. Mir ist klar, dass wir wirklich Glück hatten, aber uns ist nun mal kaum was passiert, vor allem im Gegensatz zu den anderen. Tony, seine unglaublich schnelle Reaktion und die Tatsache, dass hinter uns gerade kein Auto war, hat uns buchstäblich den Arsch gerettet. Das alles hätte auch ganz anders ausgehen können.

Auch darüber denke ich nach. Was wäre passiert, wenn wir uns schlimmer verletzt hätten? Wenn wir voll in den Haufen an Autos und Menschen hineingerast wären? Wären Tony und Matt dann überhaupt noch am Leben? Wäre ich schuld? Bin ich schuld?

Dieser Unfall und alles, was er nach sich gezogen hat, macht mich echt fertig. Ich bin unglaublich erschöpft, aber immer, wenn ich auch nur kurz meine Augen schließe, um zu blinzeln, befinde ich mich wieder in Lanas Auto, taste nach dem Puls ihrer Mutter und finde keinen.

Was, wenn ich mich geirrt habe? Wenn sie doch einen Puls hatte? Wenn sie noch gelebt hat? Wäre ich schneller gewesen, hätte ich sie vielleicht auch noch rausholen können. Versuchen, sie wiederzubeleben oder zumindest dafür sorgen, dass Lana ihre Mama richtig beerdigen kann.

Was da passiert ist, fühlt sich einfach nicht richtig an.

Ich bin mir sicher, keiner der Beteiligten ist heute aufgewacht und hat auch nur ansatzweise damit gerechnet, dass sowas passieren wird. Mir war noch nie so sehr bewusst, wie zerbrechlich das Leben eigentlich ist. Wie schnell es vorbei sein kann.

Bisher bin ich immer davon ausgegangen, dass ich lange Leben werde. Ich dachte, ich sterbe in einer halben Ewigkeit als alter Mann, der mit voller Zufriedenheit auf sein Leben zurückblicken wird. Der Gedanke daran, dass es heute hätte vorbei sein können, macht mir Angst. Es gibt so vieles, das ich noch nicht erlebt habe. So vieles, das ich Leuten, die mir wichtig sind, noch sagen müsste. So vieles, das ich bereue.

Ich will ein Leben leben, das ich jeden Moment in Frieden mit mir selbst und der Welt verlassen könnte, wenn ich einmal sterben muss. Ich will zurückblicken und stolz darauf sein, wie ich mich entwickelt und was ich getan habe. Ich will dieses Leben genutzt haben und all die Chancen, die es mir geboten hat.

Ich kann nicht zulassen, dass ich eines Tages meine Augen schließe und alles, was ich empfinde, Reue ist. Ich will dabei nicht an meine Fehler denken müssen oder Menschen, die ich verletzt habe.

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