55 - Extrakapitel Teil 3 (Lily's Sicht)

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Ich beobachtete wie Albus Mum und Dad umarmte, dann James, wie er mit Marie kuschelte. Marie, meine kleine Schwester. Ich war jetzt nicht mehr die Jüngste aus meiner Familie. Es war einfach so aufregend, dass ich jetzt große Schwester war, denn ich hätte nie im Leben gedacht, dass sich das einmal bewahrheiten würde. Ich konnte es immer noch nicht fassen.

„Willst du sie jetzt mal?", fragte mich James.

„Du hattest sie doch nur ganz kurz"

„Und du hattest sie noch gar nicht. Komm, große Schwester. Zeig mal, was du drauf hast", sagte er und reichte mir langsam meine kleine Schwester.

Sie schaute mich neugierig an. Jetzt, wo ich sie so nah sah, erinnerte sie mich an mich selbst von meinen Babyfotos. Wir sahen uns wirklich sehr ähnlich. Nur ihre Augen waren nicht braun, sondern grün. Wie die meiner verstorbenen Grandma, meines Dad's und Albus. Mein Bruder hatte Recht; sie war einfach wundervoll.

Auf einmal fing sie an, die Augen zuzukneifen. Sie lächelte nicht mehr und verzog ihr Gesicht.

„Hey, was ist denn los?", fragte ich und bekam innerhalb von zwei Sekunden eine Antwort. Sie fing erst an zu weinen, was sich rasant zu einem dramatischen Schrei entwickelte. Ich hatte Angst und wiegte sie vorsichtig hin und her und wusste dabei nicht wirklich, was ich tat.

„Was fehlt ihr denn?", fragte ich panisch.

Zum Glück stand Dad auf und kam zu mir. Er nahm mir meine schreiende Schwester aus den Armen, ohne mich anzusehen und konzentrierte sich nur auf sie.

„Sie hat bestimmt Hunger. Wir haben sie seit drei Stunden nicht mehr gestillt"

Marie wurde immer lauter. Albus und James zuckten zusammen und Mum setzte sich aufrecht hin.

„Ist ja schon gut meine kleine Prinzessin, Daddy ist da. Alles ist gut, meine Süße", flüsterte Dad und wiegte meine Schwester hin und her und setzte sich neben Mum. Er drückte das Baby an sich, während Mum ihr Stillkissen zurechtrückte. Sie nahm ihm Marie entgegen und Al setzte sich wieder zu uns, damit sie mehr Platz hatte und ich denke auch, dass er sich fehl am Platz gefühlt hätte. Ich mich jetzt übrigens auch.

„Lily? Ist alles in Ordnung mit dir?", fragte James und sah mich besorgt an. Ich wusste, dass ich blass geworden war.

„Ja", log ich aalglatt. „Mir ist gerade eingefallen, dass ich noch eine Hausaufgabe machen muss", sagte ich, holte meinen Koffer und ging nach oben in mein Zimmer.

„Es gibt in einer Stunde Abendessen", rief Dad mir hinterher, aber ich beachtete ihn nicht.

Ich riss die Tür auf, schloss mein Zimmer ab und setzte mich auf mein Bett. Natürlich hatte ich keine Hausaufgaben mehr zu erledigen. Ich konnte es einfach nicht mehr ertragen dort unten zu sitzen. Es war nicht alles in Ordnung. Das Glück, was ich gerade eben noch gefühlt hatte, war verschwunden, als ob es mit einem Windstoß weggefegt worden war.

Hatte Dad meine kleine Schwester eben „meine kleine Prinzessin" genannt? War ich nicht immer seine kleine Prinzessin gewesen?

Ich ließ mich auf mein Bett fallen, starrte die Decke an und überlegte.

„Du wirst immer meine kleine Prinzessin bleiben", hörte ich seine Stimme in meinem Kopf, ganz klar und deutlich.

Ja, er hatte das damals zu mir gesagt, als ich meine erste Periode bekommen hatte. Ich würde immer seine kleine Prinzessin sein, obwohl ich rein biologisch eine Frau war. Auch wenn mir das manchmal zu nervig gewesen ist, habe ich mich immer unglaublich gefreut, wenn mir Dad diesen Kosenamen gegeben hatte. Es war nämlich MEIN Kosename, weil ich sein einziges Mädchen war. Ich hatte mir eigentlich schon immer eine Schwester gewünscht, schließlich ist das Leben mit zwei älteren Brüdern nicht einfach (und manchmal sehr ätzend), doch ich war immer stolz darauf gewesen die einzige Tochter von Harry Potter zu sein und er war immer sehr stolz und froh gewesen, mich seine einzige Tochter nennen zu können. Sein kleines Mädchen.

Aber ich bin jetzt nicht mehr sein kleines, einziges Mädchen, dachte ich im Stillen. Ich war nicht mehr seine kleine Prinzessin. Marie war es jetzt. Mir wurde bewusst, dass sie jetzt meinen Platz eingenommen hatte. Dad brauchte mich nicht mehr. Hatte er mich jemals überhaupt gebracht? Wäre er mit zwei Söhnen nicht auch glücklich gewesen?

„Lily, was redest du denn für einen Mist?", sagte eine Stimme in meinem Kopf. „Du weißt, dass er dich immer noch liebt und für immer lieben wird. Du bleibst trotzdem noch seine Tochter"

„Ja, aber da ist jetzt auch ein anderes Mädchen, welches er zu verwöhnen und zu lieben hat", sagte die andere Stimme. „Lily, sei doch mal ehrlich zu dir selbst: in einem Monat wirst du dreizehn. Du kommst super allein zurecht. Dein Dad braucht dich jetzt nicht mehr und du ihn nicht. Er hat jetzt eine wichtigere Aufgabe als dich"

Ich wartete auf ein Gegenargument von der ersten Stimme, doch es kam nichts. Alles in meinem Kopf war taub.

Ich sah nach draußen und beobachtete eine Weile den Sonnenuntergang. Ich entschied mich, dass ich heute nicht mehr mein Zimmer verlassen würde. Langsam setzte ich mich hin, räumte die Wäsche aus meinem Koffer aus und zog meine Bettdecke über mich. Ich wollte einfach nur schlafen. Ich wollte träumen. Ich wollte die Gedanken aus meinem Kopf verschwinden lassen, doch ich konnte mich nicht mehr beruhigen. Es kam mir unmöglich vor, dass ich vor einer halben Stunde so stolz gewesen war, große Schwester geworden zu sein. Ich zog die Decke noch mehr über mich und fing an zu weinen. Alles was sich an mir bewegte, waren die Tränen, die meine Augenwinkel verließen. Ich bewegte mich erst wieder, als ich ein lautes Klopfen wahrnahm.

„Lily? Warum ist die Tür abgeschlossen? Ich habe dich schon drei Mal zum Abendbrot gerufen"

Lily, bleib cool. Ich durfte nicht mehr weinen.

„Ich habe aber keinen Hunger", meinte ich und wischte mir schnell die Tränen an meinen Ärmeln ab. „Du kannst wieder runter gehen"

„Das werde ich nicht tun", sagte er ruhig und ich hörte, wie das Türschloss aufknackte.

Na toll. Wozu gab es die Möglichkeit sich in seinem Zimmer einzuschließen, wenn die Eltern sowieso zaubern konnten und ganz easy reinkamen? Ich drehte mich zur Seite, damit ich nicht in sein Gesicht schauen musste und mir graute es vor dem Gespräch, denn ich wusste, dass mein Vater sehr hartnäckig war und nicht lockerlassen würde, wenn er merkte, dass irgendetwas nicht mit mir stimmte.

Und leider konnte mich Harry Potter sehr gut durchschauen.

Being a fatherWo Geschichten leben. Entdecke jetzt