63 - Die Zeit vergeht

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Ein paar Tage später ging es Ginny immer noch nicht besser. Zwar hatte sie wieder etwas mehr Appetit, aber sie lag den ganzen Tag im Bett. Und das hatte auch seine Gründe.

„Ginny?", flüsterte ich.

Ich klopfte an der Tür und ging herein, als ich ein leises Stöhnen als Antwort bekam. Sie lag eingewickelt in einer Kuscheldecke in unserem Ehebett und versuchte mich anzulächeln. Sie sah sehr mitgenommen aus und wirkte auf mich sehr schwach, weshalb ich ihr mit allem so gut half wie ich nur konnte. Ich stellte das Tablett ab und küsste sie auf die Stirn.

„Ist es besser geworden?", wollte ich wissen.

Sie schüttelte den Kopf.

„Nein, leider nicht. Ich musste den Zauber nochmal erneuern"

„Kann ich dir irgendwie helfen?"

Sie schüttelte wieder den Kopf.

„Bist du dir sicher, dass das normal ist? Bekommt man seine Periode erst nicht wieder nach zwei Monaten?"

„Harry, das ist bei jeder Frau anders. Und ja, es ist normal. Mein Körper hatte das jetzt ganze neun Monate nicht und holt jetzt alles nach. Nur hätte ich bloß nicht damit gerechnet, dass sich das so anfühlt, als wenn zehn Kinder gleichzeitig gegen deinen Bauch treten"

„Verstehe", sagte ich. „Dann lass ich dich mal schlafen. Wenn du irgendetwas brauchst, ruf mich einfach. Ich bin unten in der Küche"

„Okay", brachte sie müde heraus und lächelte mich an. „Danke"

Ich schloss die Tür hinter mir und ging runter in die Küche, um noch ein bisschen aufzuräumen. Jedoch war ich schneller fertig als gedacht, sodass ich mich schon fast gelangweilt aufs Sofa legte und mir den Tagespropheten griff. Ab und zu warf ich einen Blick auf den Stubenwagen (ich hatte Marie extra mit runter genommen, damit Ginny nicht wach wurde, wenn sie schrie).
Irgendwann legte ich die Zeitung beiseite und beobachtete meine Tochter eine Weile.

Und ich realisierte wieder einmal, was für ein Glück ich hatte. Wie sich die Zeiten zum Guten gewendet haben. Kein Voldemort, kein Krieg, kein Leid und keine Angst, dass man umgebracht werden könnte, wenn man das Haus verließ. Es gab keine Menschen mehr, die dein Schicksal bestimmen konnten. Ich konnte nicht begreifen wohin die Zeit war. Jedes Mal schmerzte es, an den Krieg und meine Kindheit zurückzudenken. Es war, es wenn man es direkt nochmal durchlebte. Ich musste einfach versuchen alles hinter mir zu lassen, doch auch nach dreiundzwanzig Jahren war das immer noch nicht möglich. Da gab es immer noch diesen Schmerz, der alle Wunden wieder aufriss.
Aber es gab auch das Glück. Wer weiß, ob ich mich Ginny verheiratet wäre, wenn ich damals ihre Mutter nicht nach dem Gleis gefragt hätte oder sich Ron nicht neben mir ins Abteil gesetzt hätte. Sie war das Beste, was mir je passiert war. Sie war nicht nur Ginny. Sie war eine Frau, die mich verstand und mich in den Arm nahm, wenn es mir nicht gut ging, ich konnte vor ihr weinen und einfach ich sein. Ich würde ihr mein Leben anvertrauen. Ich hätte niemals gedacht, dass ich jemals einen Person treffen würde, die mich über alles liebte.

Eigentlich war ich immer nur Harry gewesen, ein Junge mit einer Narbe auf der Stirn und ohne Eltern. Etwas Wertloses und ein nichts. Eine Belastung für alle.

Ich sah wieder zu Marie. Sie würde niemals dieses Gefühl haben, nicht geliebt zu werden. Sie würde nicht in einem Schrank aufwachsen...

Und auch wenn diese Erinnerungen an meine grauenhafte Kindheit so schmerzten, konnte ich sie immer mehr loslassen, indem ich wusste, dass es Marie nie so ergehen würde, wie mir es ergangen war. Sie hatte eine Mutter und einen Vater und Geschwister. Eine Familie, die sie liebte. Und sie würde in Frieden leben.

Being a fatherWo Geschichten leben. Entdecke jetzt