58 - Elternliebe

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Stille. Keiner von uns sagte etwas. Das nächste was geschah war, dass unzählige Tränen ununterbrochen die Augenwinkel meines Sohnes verließen. Er weinte. Er zitterte. Und er sagte nichts mehr.
Ich hielt seine Hand noch fester gedrückt als zuvor. Ginny hatte seine Hand ebenfalls nicht losgelassen. Wir würden ihn aufrecht halten. Wir würden ihn immer festhalten.

„Albus...", flüsterte ich und drehte das Gesicht meines Sohnes zu meinem. Ich sah in die grünen Augen meiner Mutter. „Ich will, dass du mir jetzt aufmerksam zuhörst"

Er schaute mich ängstlich an und ich sah zu Ginny. Sie ließ Albus' andere Hand los, lächelte mir zu und ich war mir sicher, dass sie wusste, was ich sagen würde. Ich atmete durch.

„Lass dir niemals von jemandem einreden, Albus, dass du ein anderer, unnormaler oder kranker Mensch bist, nur wegen deiner Sexualität. Du bist du. Du bist wundervoll, so wie du bist. Du bist viel wertvoller als du denkst und du kannst dir nicht mal vorstellen wie...wie unglaublich ich dich liebe. Wie unglaublich wir dich lieben. Wie wichtig du für uns bist. Uns ist es egal, ob du auf Mädchen oder Jungen oder beides stehst, wir lieben dich so wie du bist und du darfst es niemals zulassen daran zu denken, dass wir dich deshalb nicht so lieben und akzeptieren würden wie du bist. Lass diese Menschen dort draußen reden. Sie sind dumm. Die Welt ist dumm. Die ganze Menschheit ist dumm. Sie alle haben nicht einmal die geringste Ahnung, was für ein toller, herzlicher und liebevoller Mensch du bist. Du sollst dich niemals für das schämen, was du bist, denn du bist perfekt. Du bist perfekt für mich und ich liebe dich über alles. Und wenn dir diese Menschen wehtun nur weil du du bist, dann werde ich ihnen auch weh tun"

Ich sah ihn immer noch an. Er weinte immer noch, aber dieses Mal aus einem anderen Grund. Er weinte vor Freude. Er war gerührt. Ginny sah ihn an und holte ein Taschentuch und tupfte im liebevoll die Tränen weg.

„Geht es wieder?", fragte sie leise.

Er nickte.

„Es muss. Ich darf nicht mehr weinen. Das ist so blöd, ich muss wegen Allem weinen. Ich bin so eine Memme"

„Das ist nicht schlimm", sagte Ginny zu Albus. „Und das stimmt nicht, dass du eine Memme bist. Wer weint ist stark. Es ist besser seine Emotionen zu zeigen, als sie zu verbergen. Du kannst immer weinen. Weinen tut gut"

„Aber du weinst doch nie. Dad schon, aber du doch überhaupt nicht"

„Ich weine viel mehr, als du denkst. Nur nicht vor dir. Ich weine immer vor Dad, wenn es wir nicht gut geht. Oder ich weine vor Freude. Das kommt nicht so oft vor, aber gelegentlich"

„Aber trotzdem hast du nie geweint, als du so alt warst wie ich"

„Albus, ich habe so viel geweint, das glaubst du gar nicht. Ich habe es bloß nicht in der Öffentlichkeit gezeigt. Als ich in meinem sechsten Schuljahr war, habe ich jeden Abend vor dem Einschlafen geweint, weil ich Angst um Dad hatte"

„Was?", fragte ich und sah meine Frau überrascht an.

Das hatte sie mir noch nie erzählt. Klar wusste ich, dass sie Angst gehabt hatte und mich unheimlich vermisst hatte. Mir selbst war es ja nicht anders ergangen, aber dass sie wegen mir jeden Abend geweint hatte, brach mir das Herz.

„Ja, Harry", sagte Ginny. „Ich habe als Kind immer versucht nicht zu weinen, aus Angst, dass mich meine Brüder auslachen würden und aus Angst, was du von mir denken würdest. Deshalb habe ich all meinen Kummer und Sorgen in mich rein gefressen. Ich dachte das wäre gut. Ich dachte das was ich tue sei richtig, aber das war es nicht, im Gegenteil, und deshalb möchte ich dir sagen, Liebling, dass du weinen sollst und kannst wann immer du willst. Es tut gut.
Und wenn du Probleme hast, dann musst du uns das sofort erzählen, okay?"

Albus nickte.

„Was haben sie in der Schule zu dir gesagt?", fragte ich ruhig.

„Sie haben mich eine Schwuchtel genannt und so anderes..."

„Wissen Lily und James davon?", wollte Ginny wissen.

Albus schüttelte den Kopf.

„Nein, nur die Leute aus meinem Jahrgang. Es ist auch erst gestern in der letzten Stunde passiert. Ivy, so heißt das Mädchen mit dem ich gegangen bin, hat es erzählt"

„Und sie hat mit dir Schluss gemacht, weil-"

„Wir waren nie zusammen! Ich hab sie gefragt, ob das schlimm ist, wenn ich bi bin. Aber sie kann sich nicht damit abfinden, dass ich auch auf Jungs stehe. Sie sagte, dass das nicht normal ist. Darauf hat sie es ihren Freundinnen erzählt und die haben gemeint, ich sollte in Therapie weil ich nicht mehr ganz dicht im Kopf sei"

Ginny lachte.

„Ehrlich gesagt hätte ich gedacht, dass nur intelligente Leute mit viel Grips nach Ravenclaw kommen", meinte sie und verschränkte ihre Arme.

Albus lachte nicht. Er zuckte nur mit den Schultern.

„Wenn du meinst"

„Al, was ich damit sagen will ist, dass sie nicht wissen was sie sagen oder etwas sagen, bevor sie es sich überlegen. Sie sind dumm. Du darfst nicht auf sie hören. Du darfst niemals auf sie hören. Du bist so ein wundervoller Mensch, wie Dad schon gesagt hat. Ignoriere diese Menschen einfach"

„Danke für den Tipp", sagte er grimmig. „Wird nur schwierig wenn sie dich alle im Unterricht auslachen, deine Sachen klauen und dich mit Zetteln bewerfen. Aber egal, ich bekomm das schon hin"

„Das wissen wir", sagte ich. „Denk an meine Worte: du bist ein wundervoller Mensch, lass dir das nie ausreden. Wir haben dich unglaublich lieb"

„Aber nur, weil ich euer Sohn bin", flüsterte er.

„Das stimmt wieder nicht", sagte Ginny. „Und das weißt du"

Er nickte.

„Und wenn du Hilfe brauchst, also in der Schule mit deinen Mitschülern...ich kann ein Wörtchen mit denen reden, wenn es dir-"

„Nein", sagte Albus entschlossen. „Ich muss das selbst hinbekommen. Danke, ich schätze das sehr, aber ich glaube, dass ich es von allein schaffen kann"

„Das wirst du", sagte Ginny und küsste ihn auf den Kopf. „Wir glauben an dich"

„Danke", sagte er und gähnte. „Ich glaube, ich möchte schlafen gehen"

„Möchtest du hier schlafen?"

Albus lief rot an.

„Wenn ich darf..."

„Komm her", sagte ich, grinste und breitete meine Arme aus und er kuschelte sich an mich. Ginny strich ihm durch die Haare und küsste seinen Kopf, während ich unseren Sohn fest an mich drückte. Ich wusste, dass er das brauchte.

„Danke", flüsterte Al in meine Brust.

Und nach fünf Minuten war er zum Glück mit einem Lächeln auf dem Gesicht eingeschlafen.

Being a fatherWo Geschichten leben. Entdecke jetzt