91 - Schock (Teil 3)

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Ginny starrte mich an, als ob ihr gerade selbst wehgetan hätte.

„Bitte nicht", flüsterte sie. „Bei Merlin's Bart, bitte nicht, Harry"

Sie schloss die Augen und versuchte ruhig zu atmen. Ich nahm sie in den Arme, wir hielten uns fest und ich hatte das Zeitgefühl verloren. Erst nach vielen Minuten, schaffte es Ginny, etwas zu sagen.

„Ich will nicht, dass ihr das passiert ist. Es darf einfach nicht passiert sein"

„Ich auch nicht, Gin. Wir müssen jetzt stark sein. Wir müssen für unsere Lily stark sein", flüsterte ich.

Ich hätte am liebsten geheult, als sich in meinem Kopf die abscheulichsten Szenarien bildeten und meine Gedanken, wie sich Lily fühlen würde, überschlugen.

„Harry, wir haben sie vielleicht zu Unrecht beschuldigt. Wir waren schlecht zu ihr! Wir... wir hätten es merken müssen, als sie uns auf die Frage, seit wann sie einen Freund hat, nicht geantwortet hat"

„Gin, ich glaube, ich habe etwas gemerkt. Sie hat mich so komisch angeschaut und-"

„Mrs und Mr Potter?", fragte eine Heilerin plötzlich, die gerade aus dem Zimmer kam.

Sie sah zutiefst besorgt aus. Ich sprang auf.

„Was ist los?"

„Setzen Sie sich, bitte. Ich werde jetzt Dinge erzählen, die Ihnen einen großen Schock bereiten werden"

Ich war mir zwar ziemlich sicher, dass sie uns von der Schwangerschaft erzählen würde und wollte ihr das auch gleich sagen, dass wir es bereits wussten, aber ich setzte mich aus Respekt trotzdem wieder hin.

„Ihre Tochter befindet sich den Umständen entsprechend in einem guten Allgemeinzustand", fing sie an. „Dennoch gibt es da drei Sachen", fuhr sie fort.

„Okay, und was?"

„Das wird jetzt ein ziemlicher doppelter Schock, nein, dreifacher Schock für Sie. Ich mach es kurz: Ihre Tochter war in der zweiten Woche schwanger"

„Das haben wir vor ungefähr einer Stunde erfahren", sagte ich ungeduldig.

„Was heißt WAR?", fragte Ginny.

Mein Magen zog sich schmerzhaft zusammen. Das hatte ich überhört.

„Ihre Tochter hatte gerade einen Blutsturz, vermutlich ausgelöst durch Panik und Stress. Wie Sie wissen, war sie in keinem guten Zustand, als sie hier ankam. Wir haben das Blut untersucht, welches sich als eine sehr frühzeitige Fehlgeburt herausgestellt hat. Da sie sehr viel Blut verloren hat, muss sie mindestens fünf Tage strenge Bettruhe einhalten. Danach sollte sie sich wieder vollständig erholt haben"

Sie atmete nochmal durch.

Ich war zwar gerade geschockt genug, aber ich hatte Angst, dass sich meine Theorie gleich als die dritte Sache entpuppen könnte.

„Sie müssen jetzt ganz stark bleiben", sagte sie zu uns.

Ich griff nach Ginny's Hand und drückte sie.

„Als wir Lily, nachdem sie den Blutsturz hatte, umgezogen haben, haben wir zahlreiche blaue Flecken und Blutergüsse auf ihrem unteren Rücken und dem Unterleib entdeckt. Daraufhin haben wir sie gefragt, wo das her kommt. Sie wollte uns zuerst nichts sagen, dann hab ich versucht, ihr Vertrauen zu gewinnen und sie hat sich mir glücklicherweise anvertraut, dass sie geschlagen worden ist. Daraufhin haben wir sie, natürlich mit ihrer Einverständnis, weiteruntersucht und es hat sich herausgestellt, dass sie auch innerliche Verletzungen hat. Die sind zwar nicht sehr groß und gefährlich, aber dennoch aufgefallen. Sie können sich es denken, an welcher Stelle"

Ginny schnappte nach Luft und mir drehte sich der Magen um.

„Diese Sachen sprachen alles für eine Vergewaltigung und Lily hat mir dies bestätigt"

Ginny ließ meine Hand los und sackte zusammen. Ich konnte einfach nicht mehr klar denken. Mein Magen zog sich noch enger zusammen und mir war unendlich schlecht.
Meiner Tochter wurde wehgetan, auf die ekelhafteste und schlimmste Weise und ich hatte es nicht bemerkt. Hätte ich vor zwei Wochen nicht so lange gewartet und sie schon eher abgeholt, hätte ich vielleicht das Schlimmste verhindern können. Ich habe mir seit dem Tag ihrer Geburt geschworen, immer auf mein kleines Mädchen aufzupassen und jetzt war das Schlimmste eingetreten, was überhaupt hätte passieren können.

Sie war erst dreizehn. Dreizehn.
Und sie musste solche Sachen durchmachen. Ich hatte Lily vollkommen zu Unrecht beschuldigt, obwohl ich hätte für sie da sein müssen.

„Ich bitte Sie, dass wenn Sie jetzt zu ihr gehen, sie nicht darüber auszufragen. Sie hat unerträglichen Schmerz erlitten, mental sowie körperlich. Alles, was Sie braucht, ist jetzt Ihre Liebe. Ach, und machen Sie ihr keinen Vorwurf, dass sie Ihnen nichts davon erzählt hat. Die meisten Mädchen, denen es so ergangen ist,  sprechen ihr Leben lang nicht darüber. Sie hat mir gesagt, dass ich es Ihnen erzählen soll, damit sie es nicht tun muss. Geben Sie ihr am besten Zeit. Es kann Wochen, Monate und Jahre dauern, bis sie diesen Vorfall verarbeitet hat"

Ich versuchte aufzustehen, aber schaffte es nicht.

„Vielen Dank", sagte Ginny leise. „Danke für alles"

„Kein Problem", sagte die Heilerin. „Ich wünsche Ihnen für die nächste Zeit ganz viel Kraft und Alles Gute. Sie können jetzt zu ihr"

Im nächsten Moment war sie um die Ecke verschwunden und Ginny und ich brauchten einen Moment, um uns zu sammeln.

„Komm, Harry", sagte sie und nahm meine Hand.

Ich sah, wie sie mit den Tränen kämpfte und ich schüttelte den Kopf.

„Geh du zu ihr. Sie braucht dich jetzt viel mehr als mich"

„Was meinst du damit?", fragte sie ungläubig. „Sie braucht dich jetzt genau so sehr wie mich"

„Das stimmt nicht", sagte ich. „Nicht in so einem Fall. Du kannst dich besser in sie hineinversetzen und ich glaube, dass sie sich viel wohler fühlen würde, wenn sie ausschließlich von weiblichen Personen umgeben ist"

„Harry, das ist jetzt nicht dein Ernst", sagte Ginny und hockte sich neben mich. „Du weißt genau, dass sie sich bei dir schon immer am Sichersten gefühlt hat und sie weiß, dass du ihr niemals so etwas antun würdest"

„Ich weiß, Gin", sagte ich rau. „Aber in so einer Situation ist es erstmal besser, wenn du zu ihr gehst. Du bist ihre Mutter und kannst dich einfach viel besser in diese Situation hineinversetzen"

„Okay", flüsterte sie.

„Ich komme in ein paar Minuten nach"

Ginny stand auf, ich nickte ihr ermutigend zu und dann öffnete sie langsam die Tür zu dem Zimmer, in dem Lily lag.

Ich atmete durch, schloss meine Augen, drückte mich mit meinen Händen vom Stuhl ab und schaffte es erfolgreich aufzustehen, ohne, dass meine Beine weich wurden. Schließlich gewann ich auch den Kampf gegen die Tränen, als ich mich auf den Weg zur Herrentoilette machte, um mich zu beruhigen.

Being a fatherWo Geschichten leben. Entdecke jetzt