1 ½ Wochen später saß ich im Klassenzimmer und wartete auf die letzte Klausurnote.
Der Lehrer blieb vor mir stehen und drückte dann das Blatt auf mein Tisch.
Ich drehte das Blatt um und sah die rote Schrift an.
B-
Zufrieden legte ich das Blatt in mein Ranzen.
Für mich war es gut. Für meine Eltern war das wahrscheinlich schlecht.
Aber das interessierte mich nicht. Lange würde ich sowieso nicht mehr bei ihnen bleiben.Bella drehte sich zu mir um. ,,Und?", fragte sie mich.
,,B-, du?"
Grinsend hob sie ihr Blatt hoch. ,,D", sagte sie stolz. Ich musste über ihre Reaktion lachen.
Auch Liam schmunzelte.
Ihn musste ich nicht fragen. Er hatte sowieso A+.Gemeinsam verließen wir das Klassenzimmer. Auf einer freien Bank auf dem Pausenhof ließen wir uns nieder.
,,So, die letzte Klausur haben wir jetzt auch hinter uns. Dann können wir ja jetzt was ausmachen.", äußerte Liam und sah mich hoffnungsvoll an.Ich nickte. ,,Mir würde es passen."
,,Super!", freute er sich und hielt seine Hand, damit ich einschlagen konnte.
,,Und in den Sommerferien können wir dann uns hoffentlich öfter treffen", setzte er noch hinzu.Sofort änderte sich meine Miene.
Ich hatte ja nicht mal vor, in den Sommmerferien hier zu bleiben. Das wusste er ja nicht. Und Bella wusste das auch noch nicht, weil sie dachte, dass ich nach meinem Geburtstag gehe. Und der war im August.Bella hatte anscheinend mein Blick bemerkt, denn sie stand auf und sah mich an. ,,Ich gehe aufs Klo, kommst du mit?" Dabei verdeutlichte die mit ihren Augen, dass ich gefälligst mitkommen sollte.
Nickend stand ich auf. ,,Wir sind gleich da", meinte sie zu Liam und zog mich mit.
Wir gingen aber nicht aufs Klo, sondern sie zog mich an eine ruhige Stelle auf dem Pausenhof.
,,Was war dein Blick vorher gewesen?", fragte sie mich.
,,Welcher Blick?"
,,Ja, dein Blick als Liam gesagt hat, dass wir was in den Sommerferien unternehmen können", meinte sie ungeduldig.Ich biss mir auf die Zunge.
,,Da bin ich höchstwahrscheinlich nicht da.", nuschelte ich.
Bella sah mich verständnislos an.
,,Du wirst doch nicht über die ganzen Ferien bei deiner Tante sein", behauptete sie.
,,Ich hab mich dazu entschieden, früher von hier zu verschwinden.", säuselte ich.
Bella runzelte die Stirn. ,,Du meinst das also wirklich ernst?"
Ich nickte langsam. ,,Natürlich, sonst hätte ich es dir nicht gesagt."Ich merkte, wie sich ihre Augen füllten, bis sich eine Träne löste.
,,Und was wenn du einfach bleibst?", flüsterte sie.
Ich schüttelte den Kopf. ,,Ich halte es wirklich nicht mehr aus, Bella."
Ich hatte ein Kloß im Hals.
,,Und wann gehst du?", hauchte sie.
,,Nach der Schule. Sobald ich mein Zeugnis in die Hand gedrückt bekomme."
,,Und wohin gehst du?", fragte sie jetzt und fing an zu schluchzen.
,,Ich weiß es nicht", erklärte ich ehrlich.Und weil sie vor mir anfangen musste zu weinen löste sich jetzt auch eine Träne aus meinem Auge.
Ich zog sie in eine innige Umarmung.
,,Hör auf zu weinen, Bella. Ich hab dir ja auch versprochen, dass wir in Kontakt bleiben werden."
,,Das ist nicht dasselbe wie wenn du hier bist.", murmelte sie.Das war es in der Tat nicht. Aber was sollte ich denn auch tun?
Ich musste weg. Und zwar weit weg genug.
Bella löste sich von mir und wischte sich über die Wangen.
,,Und wann hast du bitte vor, das alles Liam zu erklären."
,,So spät es geht.", äußerte ich.
,,Warum?"
,,Als ob du Liam nicht kennst. Er wird unnötig Probleme machen. Es ist gut, wenn er es spät genug erfährt."●●●
Seufzend klingelte ich und wartete darauf, dass mir die Tür aufgemacht wurde.
Meine Füße taten weh, vom ganzen Arbeiten und ich wollte einfach schlafen.
Aber das würde wahrscheinlich sowieso nicht gehen, weil ich mir jetzt gleich das Gelaber anhören müsste, warum ich denn eine B- hab und keine A+.Die Tür wurde aufgerissen und ich trat ein.
Ohne es mir sagen zu lassen lief ich ins Wohnzimmer, um meinen Eltern meine Klausur zu zeigen.
Wenn ich jetzt nämlich verschwinden würde, würde es heißen, dass ich es verheimliche. Und das bedeutete mehr Ärger.Ohne Hallo zu sagen setzte ich meine Tasche auf dem Boden ab und holte das Blatt heraus, um es meiner Mutter zu geben. Als sie es jedoch nicht annahm gab ich es meinem Vater, der es energisch aus meiner Hand riss.
Innerlich verdrehte ich die Augen.Als er die Note sah verdüsterte sich sein Blick noch mehr. ,,Was ist das!?", rief er plötzlich.
,,Eine Note", hätte ich am liebsten geantwortet, aber ich hielt lieber meine Klappe.Wütend starrte er mich an. ,,Weil du Dummheitsfehler machen musst! Und weil du nicht richtig darauf gelernt hast!"
Jetzt stand er auf.
,,Was kannst du denn!? Was kannst du?! Einen Scheiß kannst du!", schrie er mich an und hob seine Hand, um sie auf meine Wange zu klatschen.Schmervoll verzog ich mein Gesicht.
,,Verschwinde!", rief er und drückte das Blatt auf meine Brust.
Schnell nahm ich meine Tasche und sprintete die Treppen hoch.
Nicht gerade sanft schlug ich die Tür zu.
Ich setzte mich auf das Bett. Energisch wischte ich über meine feuchten Wangen.,,Bald bin ich euch los", hauchte ich.
Schnell machte ich mich bettfertig und legte mich dann hin. Ich schlief aber nicht. Ich konnte nicht schlafen.
Ich richtete mich auf meinem Bett auf.Dann fiel mir was ein. Ich sollte ein Ticket buchen, für die nächsten Tage.
Sofort griff ich nach meinem Handy, das ich vor 2 Tagen wieder bekommen hatte und fing mit der Suche an. Ehrlich gesagt konnte ich es mir nicht mal glauben, dass ich nach Jahren wirklich hier saß und mir ganz ernst den Kopf gemacht hatte zu verschwinden und jetzt tatsächlich ein Ticket buchte, um mich mit dem Zug mitnehmen zu lassen.Ganz spät in der Nacht stellte ich zufrieden mein Handy auf die Seite.
Ich hatte ein Ticket gefunden. Direkt nach dem letzten Schultag.
Und die Zeit war auch perfekt.
Um 5 Uhr morgens. Eine perfekte Zeit, um unauffällig aus dem Haus zu gehen. Ich würde das Haus ja nicht leer verlassen. Ein paar Sachen würde ich schon mitnehmen.Ich hatte zwar noch mehr als eine Woche, aber mein Herz flatterte jetzt schon bei dem Gedanken, dass ich gehen würde.
Und augenblicklich dachte ich an meine kleine Schwester.
Auch sie musste ich ja hinter mir lassen.
Die kleine mochte mich. Ich war ja auch ihre einzige Schwester.
Wie sollte sie damit klar kommen, dass ich von einem Tag aufs andere plötzlich nicht mehr da war?
Sie musste damit klar kommen.Außerdem würde ihr das auch gut tun, denn somit müsste sie dann nicht andauernd irgendwelche rumgebrülle ertragen.
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Gib mir deine Seele
ChickLitFlucht für ein besseres Leben? Ohne Eltern, die einen erniedrigen? Das ist Sydneys Ziel. Ein freies, sorgloses, elternloses Leben. Nur deswegen entscheidet sie sich sogar, ihre zwei besten Freunde loszulassen und ihre kleine Schwester zu verlassen. ...