19. Reiss dich zusammen

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Avery P.O.V.

„Verdammte Scheisse hörst du überhaupt was ich sage?", fährt Adrian mich an, während er mich an meinen Schultern rüttelt. Benommen nicke ich.

„I-ich gehe hin...warte b-bis der M-mann etwas von dem Schlüssel sagt...g-gebe ihm den Schlüssel...u-und halte einfach m-meine Klappe...", wiederhole ich seine Erklärung.

„Exakt. Wir wollen einfach wissen wer er ist. Sie werden vermutlich warten bis du auf der Parkbank sitzt. Wenn sie schon aus der Ferne sehen wie du drauf bist, könnten sie Verdacht schöpfen dass etwas nicht stimmt, also reiss dich verdammt nochmal zusammen verstanden?", faucht er mich ohne einen Funken von Mitgefühl an.

Ich nicke nur schwach.

„Gut. Hier ist der Schlüssel.", sagt er und reicht mir einen kleinen goldenen Schlüssel, dessen Gewicht sich für die Größe schwer anfühlt. „Und jetzt geh."

Ich beginne wegzugehen, doch drehe mich nochmal zu Adrian.

„W-was wenn sie W-waffen haben?", frage ich ihn hörbar verzweifelt. Meine Stimme ist dabei nicht mehr als ein gequältes herausquetschen der Worte.

„Haben sie nicht, die wollen nur den Schlüssel.", sagt er ernst.

„A-ber was w-", beginne ich doch werde sofort unterbrochen.

„Halt jetzt deine Klappe und geh, wir haben nicht den ganzen Abend Zeit.", faucht Adrian mich so bedrohlich an, dass mir sofort noch kälter wird, obwohl ich das nicht für möglich gehalten habe.

Ich schlucke einmal schwer und beginne mich taumelnd auf den Weg zu machen. In Richtung einer verlassen Parkbank, welche hinter mehreren Bäumen versteckt ist. Hier soll ich laut den Männern warten.

Umso mehr ich mich von Adrian entferne, umso eher spiele ich mit dem Gedanken einfach wegzulaufen.

Würde er mich erwischen?

Wenn ich einfach quer durch den Park laufe, mich hinter Bäumen verstecke?

Aufgrund meines geschwächten Zustandes verwerfe ich diesen Gedanken schnell wieder und visiere weiter die Parkbank an. Noch etwa 40 Meter trennen mich von ihr, ich werfe einmal einen Blick zurück. Adrian ist mittlerweile außerhalb meines Sichtfeldes.

Ich setze einen Fuß vor den anderen, während der eisige Februarwind meinen unterkühlten Körper noch mehr runterkühlt. Ich fühle mich als würde ich jede Sekunde kollabieren, doch ich kämpfe mich durch.

Ich schaffe die letzten Meter zu der Parkbank und lasse mich erschöpft auf sie fallen. Sofort tun meine Gelenke schmerzhaft weh.

Ich sehe mich im Park um. Es ist niemand weit und breit zu sehen. In diesem Park ist allgemein nie was los, kein Wunder dass sie diesen Ort ausgewählt haben für die Schlüsselübergabe.

Ich halte den Schlüssel fest in meiner Faust und sehe mich nervös um. Wieso kommt denn niemand?

____________

Die Zeit zieht sich unerträglich in die Länge, und die Stille des leeren Parks ist beängstigend. Kein Geräusch, keine Bewegung. Nur das leise Rascheln der Blätter im Wind.

Plötzlich sehe ich eine Gestalt in der Ferne. Ein Mann. Er geht zügig auf mich zu, seine Schritte sind fast schon bedrohlich.

Mein Puls beschleunigt sich, und das Adrenalin schießt mir durch den Körper. Er kommt mir immer näher und sofort fällt mir auf, dass es keiner der 3 Männer ist, die mich ins Auto gezogen haben. Er ist mir gänzlich fremd.

Der Mann bleibt kurz vor mir stehen und setzt sich dann wortlos auf die Bank neben mich. Er sieht mich nicht an, als wäre meine Anwesenheit kaum der Rede wert. Sein Gesicht bleibt ausdruckslos, kühl. Nur seine Augen gleiten kurz zu meiner Hand, die den Schlüssel fest umklammert halt.

"Den Schlüssel," sagt er schließlich leise, ohne mich anzusehen. Seine Stimme ist ruhig, fast gelangweilt, als wäre das hier nur ein weiterer gewöhnlicher Tag in seinem Leben.

Mit zitternden Fingern öffne ich meine Faust und lege ihm den Schlüssel in seine Hand. Er nimmt ihn, schließt die Finger darum.

„Danke. Das war's," murmelt er, seine Worte ohne jede Emotion.

Doch dann sehe ich es. Seine Hand gleitet langsam zur Innenseite seiner Jackentasche, eine Bewegung, die zu routiniert und sicher ist, um harmlos zu sein. Ich weiß, was er dort hat, noch bevor ich die Wölbung der Waffe in der Innenseite der Tasche erkenne.

Adrenalin durchflutet meinen Körper, und mein Instinkt schreit, dass ich reagieren muss.

Dass ich weglaufen muss. Sonst bin ich tot.

Bevor ich überhaupt den Bruchteil einer Sekunde Zeit habe, mich zu bewegen, ertönt ein gedämpfter Schuss, der durch den stillen Park hallt. Der Mann zuckt zusammen, seine Augen weiten und dann bricht er zusammen. Sein Körper fallt leblos nach vorne und der Schlüssel gleitet ihm aus den Fingern.

Ich starre auf die Stelle, wo er eben noch saß, mein Herz rast und mein Atem geht stoßweise. Blut sickert auf den sandigen Boden, vermischt sich mit den Blättern, die der Wind verweht.

Ich sehe mich hektisch um, aber kann niemanden sehen.

Für einen Moment kann ich nur dort sitzen, mein Herzschlag hämmert in meinen Ohren, während ich versuche zu begreifen, was gerade passiert ist.

Panisch springe ich auf. Meine Beine fühlen sich schwer an, als würden sie jede Sekunde nachgeben, aber ich zwinge mich loszurennen, weg von der Parkbank, weg von dem leblosen Körper des Mannes, der mich gerade noch fast umgebracht hätte.

Mein Herz schlägt so heftig, dass ich befürchte, es könnte mir aus der Brust springen. Immer wieder drehe ich mich um, werfe einen Blick zurück, als könnte der Mann jeden Moment wieder aufstehen. Doch er bleibt reglos, sein Körper zuckt nicht mehr, und das Blut breitet sich langsam auf dem Boden aus.

Plötzlich knalle ich gegen eine breite, harte Brust und taumle zurück. Für einen Moment denke ich, ich würde wieder fallen, aber starke Hände packen mich fest an den Armen und halten mich aufrecht.

Mein Blick wandert nach oben, und mein Herz setzt einen Schlag aus. Adrian. Sein Gesicht ist kühl und undurchdringlich wie immer, seine Augen mustern mich kurz, bevor er den Blick wieder auf den leblosen Körper des Mannes richtet.

„Er... er ist einfach umgefallen," stammle ich, meine Stimme zittert, und ich kann kaum klar denken. „Da war ein Schuss, und dann... er ist tot. Warst du das?" Meine Augen suchen seine, ich will eine Antwort.

Adrian bleibt vollkommen ruhig, als hätte er mit dieser Reaktion gerechnet. „Der Mann hatte vor, dich zu töten, sobald er den Schlüssel hatte," sagt er kalt, ohne den Hauch einer Emotion in der Stimme.

„Du hast gewusst, dass er mich töten wollte, und du hast mich trotzdem..." ich stocke mitten im Satz, denn ich finde keine Worte für das Gefühl des Schocks.

„Beruhig dich. Du lebst ja noch. Als er zur Waffe gegriffen hat, habe ich meinen Scharfschützen den Abschuss freigegeben."

Seine Worte treffen mich wie ein Schlag. Ich starre ihn an, versuche zu begreifen, was er gerade gesagt hat. „Du... du hast Scharfschützen platziert gehabt?"

Adrian sieht mich an, als wäre meine Frage die naheliegendste der Welt. „Ja."

Dann lässt er mich los und tritt einen Schritt zurück.

„Du bist nicht tot, Avery. Also reiss dich zusammen." sagt er ruhig, aber ich spüre den strengen Unterton. Für ihn ist es vorbei. Für mich bleibt das Gefühl, nur ein Figur in seinem Spiel zu sein.

AveryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt