84. Dein Zweck

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Avery P.O.V.

06:14 Uhr

Ich sitze immer noch auf der Matratze, die Kälte des Kellers hat sich in meinen Körper gefressen, aber ich spüre sie kaum. Alles um mich herum scheint weit weg, wie durch dichten Nebel. Adrians Worte hallen noch in meinem Kopf, doch sie haben keinen wirklichen Sinn mehr. Ich versuche, etwas zu fühlen – Wut, Angst, Trauer – doch es ist nichts da. Nur diese unendliche Leere. Ich warte. Auf was, weiß ich nicht. Vielleicht darauf, dass es endlich vorbei ist. Vielleicht darauf, dass etwas passiert. Irgendetwas.

Das kleine Fenster in der Ecke ist undicht, die kalte Morgenluft dringt herein und ich sehe, wie das Dunkel der Nacht langsam verblasst. Die ersten Anzeichen des Tages sickern durch das Glas, ein fahles Licht, das den Raum nur noch trostloser erscheinen lässt. Minuten verstreichen, aber ich kann nicht sagen wieviele. Die Zeit hat keine Bedeutung mehr, während ich hier sitze, den Blick auf den Boden gerichtet.

Plötzlich höre ich schwere Schritte, die die Treppen hinunterkommen. Meine Schultern spannen sich leicht an, aber ich hebe meinen Kopf nicht. Die Schritte werden lauter, kommen vor der Zelle zum Stillstand. Das metallische Klirren der Schlüssel verrät, dass sie die Zelle gleich öffnen werden. Zwei Bodyguards betreten den Raum, ihre Gesichter wie immer ausdruckslos, und hinter ihnen Adrian.

Er bleibt vor der Zelle stehen und mustert mich mit einem Blick, den ich nicht erwidern kann. Meine Augen richten sich wieder auf den Boden. Ich bin zu müde, zu leer, um ihm noch in die Augen zu sehen.

„Es ist Zeit." sagt er schließlich, seine Stimme hart. „Wir holen uns den Schlüssel von Dominic zurück. Endlich erfüllst du deinen Zweck als Druckmittel."

Er hat keine Ahnung.

Keine Ahnung, dass sein Plan scheitern wird. Dass er den Schlüssel nicht finden wird. Dass, wenn er wirklich glaubt, ich wäre sein Druckmittel, alles, was er sich vorstellt, in sich zusammenfallen wird. Aber ich sage nichts.

Was könnte ich auch sagen? Meine Worte würden nichts ändern und ich bin zu erschöpft, um es überhaupt zu versuchen.

Ich bleibe stumm, während Adrian mit den Securitymännern spricht, Befehle erteilt, den nächsten Schritt plant. Ich sitze einfach nur da, warte, fühle mich wie ein Zuschauer in einem Theaterstück, dessen Ende ich längst kenne.

Adrian blickt mich noch einmal an, dann wendet er sich an die Securitymänner. „Nehmt sie mit."

Ohne ein weiteres Wort treten die Männer vor, und ich lasse es geschehen. Keine Gegenwehr. Kein Widerstand. Sie greifen nach meinen Armen, ziehen mich grob auf die Beine. Es ist, als wäre mein Körper nicht mehr mein eigener, als ob ich nur eine Hülle wäre, die sie hin- und herschieben können, ohne dass es einen Unterschied macht.

Sie ziehen mich aus der Zelle. Ich nehme meinen letzten Funken Kraft und hebe meinen Blick um Adrian anzusehen. Unsere Blicke treffen sich. Doch in seinen Augen ist nichts.

Es ist als hätte er eine Wand aufgebaut. Als würde er sich abschirmen. Sich wehren, dass irgendjemand sieht was in ihm vorgeht. Aber sein Körper verrät ihn. Seine Hände sind zu Fäusten geballt. Sein Körper angespannt, wenn er etwas mir gegenüber empfindet , dann Hass und Verachtung. Und davor trieft seine Haltung nur so.

Ich weiß nicht mal ob ichs ihm verübeln kann. Ich habe ihn hintergangen, es ist meine Schuld.

Alles ist meine Schuld. Alles. Alles. Alles.

Die Männer zerren mich aus der Zelle. Ich lasse es geschehen, bewege meine Beine mechanisch, ohne nachzudenken. Jeder Schritt fühlt sich an, als wäre ich auf Autopilot gestellt, mein Körper gehorcht den Befehlen, aber mein Geist bleibt weit weg, irgendwo im Nichts.

AveryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt