106. Als wäre ich er

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Adrian P.O.V.

Ich sehe, wie das Leben langsam aus Mattheos Augen weicht, und tief in mir entwickelt sich eine befriedigende Ruhe, die mit jedem Augenblick stärker wird.

Doch plötzlich spüre ich starke Hände an meinen Schultern, die mich rückwärts reißen, mit einer Entschlossenheit, die ich im ersten Moment kaum wahrnehme.

Ich kämpfe gegen den Griff, will mich aus diesen Armen befreien, wieder auf Mattheo losgehen, ihn endgültig zum Schweigen bringen. Doch die Hände halten mich fest, und eine vertraute Stimme dringt durch den Nebel in meinem Kopf.

„Adrian! hör auf!" Es ist Hunter, seine Stimme fest, aber auch besorgt, als würde er mich zum ersten Mal wirklich so sehen, wie ich in diesem Moment bin - am Abgrund.

"Hör auf damit! Hör mir zu!", brüllt er.

Ich versuche, die Wut zurückzudrängen, während Hunter mich hält. Sein Griff ist hart, und er dreht mich zu ihm, zwingt mich, ihn anzusehen, obwohl mein Blick immer wieder zu Mattheo zurückwandert, der hustend und keuchend am Boden liegt.

„Das ist genau das, was er will, Adrian." sagt Hunter scharf und hält mich fest, damit ich mich nicht wieder auf Mattheo stürze. „Er will, dass du die Kontrolle verlierst. Lass ihn nicht gewinnen."

Ich blinzle, sein Gesicht verschwimmt vor mir, und langsam, ganz langsam kehrt die Realität zurück. Die Worte sickern durch den Zorn, der wie ein schwerer Nebel in meinem Kopf hängt. Ich höre Hunters Stimme, seine Worte dringen endlich zu mir durch und ich spüre, wie mein Atem stockt, wie der Raum um mich herum wieder klarer wird.

Ich spüre das Gewicht meiner eigenen Wut, die sich langsam in Erschöpfung verwandelt.

Mattheo liegt immer noch auf dem Boden, hustet und keucht, doch in seinen Augen ist ein dunkles, zufriedenes Funkeln, als hätte er genau das erreicht, was er wollte. Ich sehe zu Hunter, der mich immer noch fest im Blick hat, und langsam wird mir klar, wie nah ich daran war, ihm genau das zu geben, worauf er die ganze Zeit aus war. Ich atme tief durch, versuche die Reste der Wut in mir zu ersticken, und nicke Hunter schließlich zu, als Zeichen, dass ich wieder bei Sinnen bin.

Es dauert einen Moment, bis ich die Kontrolle wiedererlangt habe, aber ich weiß, dass Hunter recht hat. Dieser Bastard hat genug von mir bekommen. Doch ich werde ihm nicht den Triumph lassen, mich völlig in den Abgrund zu ziehen.

„Ich muss hier weg... Sperr die Zelle wieder zu.", sage ich zu Hunter und stürme an ihm vorbei Richtung Treppe.

Ich laufe die Treppe hoch, meine Schritte hart und unregelmäßig, während Mattheos Worte in meinem Kopf widerhallen wie ein widerliches Echo, das ich nicht abschütteln kann. Jeder Satz, jedes verachtende Lachen hat sich tief in mein Bewusstsein eingebrannt, als ob er mir Narben in die Seele gebrannt hätte. Mein Atem geht schwer und die Wut, die ich unten im Keller gefühlt habe, ist noch immer da, aber jetzt vermischt sie sich mit einem nagenden Gefühl der Hilflosigkeit, das ich kaum ertrage.

Oben angekommen, gehe ich in den Wohnbereich, direkt auf die Vitrine zu, in der die teuren Whiskeyflaschen aufgereiht stehen. Ich zögere nicht und greife nach einer der Flaschen, die ich eigentlich für Momente reserviert hatte, die es wert sind, gefeiert zu werden.

Ohne nachzudenken, schraube ich die Flasche auf, fühle das kalte Glas unter meinen Fingern, und setze sie direkt an die Lippen. Der erste Schluck brennt, schneidet mir wie eine Klinge die Kehle hinunter, aber es ist ein Schmerz, den ich in diesem Moment willkommen heiße. Ich schließe die Augen, lasse das Brennen wirken, als könnte es die dunklen Gedanken und Bilder in meinem Kopf auslöschen. Doch es hilft nicht. Es macht nichts ungeschehen, nichts einfacher. Alles bleibt – die Wut, die Bilder von Avery, die in meinem Kopf wieder und wieder auftauchen, von dem, was er ihr angetan hat.

AveryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt