15. Die Zeit läuft

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Avery P.O.V.

Die Zeit läuft

Ich atme einmal tief durch und schlüpfe in meine Rolle.

„Ich wollte mich entschuldigen.", beginne ich und gehe einen Schritt auf Adrian zu, den Teller Muffins in meiner Hand.

Er wendet seinen Blick wieder von mir weg und widmet seine Aufmerksamkeit den Zetteln auf seinem Schreibtisch.

„Wofür?", fragt er desinteressiert.

„Dass ich ohne Fragen und ohne Erlaubnis den Private Room verwendet habe. Das war nicht okay.", ich atme einmal theatralisch aus um meine Schuldgefühle zu untermalen.

„Ja. Das war dumm. Sehr dumm.", sagt er streng, sieht mich dabei jedoch nicht mal an.

„Ich weiß...und das tut mir leid..Muffin?", frage ich und halt ihm lächelnd den Teller Muffins entgegen.

Langsam wendet er seinen Blick hoch und sieht mich stirnrunzelnd an. Er sagt kein Wort und die Stille bringt mich fast um. Schlagartig wird mir heiß und ich fühle mich als hätte er mich an Ort und Stelle durchschaut.

Er atmet einmal langsam ein, lässt seinen Blick zu den Muffins gleiten.

„Stell sie ab. Ich habe gerade keinen Hunger.", sagt er kalt und lenkt seine Aufmerksamkeit wieder auf sein Bürozeugs.

Ich folge seinen Worten und stelle die Muffins auf dem Tisch ab. Ehrlich gesagt war ihr einziger Zweck, mir einen Grund zu geben in sein Büro zu dürfen. Diesen Zweck haben sie erfüllt.

Jetzt kommt Teil 2. Showtime.

„Na gut..", sage ich und atme bewusst angespannt ein. „Dann geh ich mal.." Ich halte mir an die Brust und nehme einen gequälten Atemzug, als würde ich keine Luft bekommen.

Adrians Blick hastet zu mir. Er scannt mich stirnrunzelnd einmal von oben bis unten an.

Um mein Schauspiel zu untermalen, greife ich abrupt zu seinem Schreibtisch um mich zu stützen, während ich noch einen gequälten Atemzug mache, untermalt von einem leichten Husten.

„Bist du krank?", fragt er kalt und sieht mich kritisch an.

Ich schüttle den Kopf. „N-nein..", sage ich gespielt zittrig. „M-mir ist nur etwas heiß..i-ch hab zu wenig getrunken...i-irgendwie ist mir schwindlig.."

Theatralisch greife ich mir an dir Stirn, als würde mein Kopf vor Schmerz explodieren.

Angespannt erhebt sich Adrian von seinem Stuhl.

„K-können S-sie mir vielleicht e-ein Glas Wasser holen?", frage ich zittrig.

Mein Herz pocht bis zum Anschlag, denn mein Plan steht und fällt damit, ob Adrian das Büro verlässt um mir ein Wasser zu holen.

Nachdenklich sieht er mich an. Seine Augen durchbohren mich förmlich, während ich jede Sekunde angestrengt versuche mein Schauspiel aufrecht zu halten.

„Es wäre das beste wenn du gehst. Setz dich in den Barbereich und sag James er soll dir etwas zu trinken geben.", sagt Adrian kalt und setzt sich wieder in seinen Schreibtischstuhl.

Shit. Nein. Shit. Shit. Shit.

Okay scheiss drauf. Dann eben richtig.

„O-okay...", sage ich noch einmal und beginne mich langsam Richtung Tür zu bewegen. Ich lasse meine Schultern hängen und versuche, so viel Schwäche wie möglich auszustrahlen. Adrian beobachtet mich aus dem Augenwinkel, sein Blick wachsam und ungeduldig.

Wenn das jetzt nicht klappt, habe ich keine zweite Chance.

Kurz bevor ich die Türklinke erreiche, lasse ich meinen Kopf leicht nach vorne sinken, als ob mir schwindlig wäre. Ich greife mir auf die Stirn und taumle ich ein wenig, meine Hand greift nach der Klinke, verfehlt sie absichtlich.

„Avery?" Adrians Stimme ist eine Mischung aus angespannt und gestresst.

Ich atme bewusst schneller, und dann, um das Schauspiel zu untermalen lasse ich mich schwer auf den Boden fallen, als hätte ich das Bewusstsein verloren. Der Aufprall tut weh, aber ich beiße die Zähne zusammen und bleibe reglos liegen.

Für einen Moment herrscht Stille im Raum. Ich höre nur das Ticken der Wanduhr und meinen eigenen, flachen Atem. Dann das Scharren eines Stuhls. Adrian steht auf.

„Avery?" Seine Stimme ist kalt, aber ich höre die Verunsicherung darin.

Er kommt näher, seine Schritte sind leise auf dem dicken Teppich. „Verdammt nochmal, was soll das jetzt? Steh auf."

Ich bleibe still und bemühe mich, ruhig zu atmen, was angesichts meines rasenden Pulses fast ein Ding der Unmöglichkeit ist.

Ich bete einfach, dass mein Schauspiel ihn überzeugt hat.

Seine Schritte kommen näher, und dann spüre ich seine Präsenz direkt über mir. Er hockt sich neben mich hin und schüttelt leicht meine Schulter.

„Avery!" zischt er, diesmal etwas lauter, und ich spüre, wie seine Ungeduld wächst. Einen Moment lang habe ich Angst, dass er mich einfach hier liegen lässt.

Doch stattdessen höre ich ein weiteres Seufzen. „Avery, wach auf", sagt er, und seine Stimme klingt plötzlich weniger scharf. Er schüttelt mich noch einmal, ein wenig kräftiger dieses Mal, aber nicht grob.

Ich bleibe reglos und zwinge mich, weiterhin flach zu atmen. Mein Herz rast vor Anspannung, aber ich darf mich nicht verraten.

Seine Hand rutscht zu meinem Nacken und hebt leicht meinen Kopf. Das Gefühl seiner Hand in meinem Nacken ist überraschend warm, und für einen Moment bin ich verwirrt. Jetzt, wo ich ihn so nah an mir spüre, scheint da etwas anderes an ihm zu sein – etwas, das ich nicht ganz einordnen kann.

„Avery...", murmelt er, fast als würde er überlegen, was er als nächstes tun soll.

Ich höre, wie er tief durchatmet, als ob er sich beruhigen muss. Er klopft mir leicht auf die Wange, nicht stark, gerade genug, um eine Reaktion hervorzurufen, aber natürlich bleibe ich regungslos.

Er versucht es ein paar Mal, und jedes Mal werde ich sicherer, dass er nicht weiß, was er tun soll. Es überrascht mich, dass seine Berührunge zögerlich sind, fast so, als würde er nicht wollen, dass er mir wehtut.

„Scheiße...", höre ich ihn leise fluchen. Er legt meinen Kopf wieder behutsam auf den Boden und dann richtet er sich auf. Ich spüre, wie er überlegt, hin- und hergerissen, ob er gehen oder bleiben soll. Meine Atmung bleibt flach, meine Augen fest geschlossen. Schließlich höre ich ihn aufstehen und zur Tür gehen.

Ich höre, wie die Türklinke heruntergedrückt wird, und die Tür öffnet sich mit einem leisen Quietschen. Seine Schritte entfernen sich, und dann schließt sich die Tür hinter ihm..

Ich halte die Luft an und warte ein paar Sekunden, um sicherzugehen, dass er wirklich weg ist. Dann schieße ich hoch. Mein Kopf dreht sich vor Aufregung, aber ich habe keine Zeit zu verlieren.

Ich muss jetzt sofort den Schlüssel holen bevor er zurückkommt.

Schnell gehe ich um den Schreibtisch herum und ziehe an der Schublade, von der ich weiß, dass der Schlüssel dort sein muss.  Meine Hand zittert als ich die Schublade öffne.

Als ich das Innere der Schublade sehe wird mir schlagartig übel.

Denn sie ist leer.

AveryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt