88. Vernebelte Sicht

1.3K 76 69
                                    

Adrian P.O.V.

Ohne ein weiteres Wort öffnet Sofia schließlich die Zelle und schiebt Avery vorsichtig hinein. Kaum lässt Sofia sie los, gerät Avery ins Taumeln. Ihre Beine geben nach, und sie fällt hart auf ihre Knie. Der Anblick verpasst mir einen so schmerzhaften Stich in meine Magengrube, dass ich einmal scharf einatmen muss. Aber ich versuche dieses Gefühl herunterzudrücken. Ich muss es unterdrücken.

Ich sehe, wie Avery sich mit ihren Händen am kalten Boden abstützt, wie ihre Arme zittern da es ihr alle Kraft abverlangt.

Sofia stapft wortlos die Treppe hinauf und lässt mich allein mit Avery zurück. Ich bleibe stehen, mein Blick auf ihr gesenkt. Es ist merkwürdig still hier unten, und die Kälte scheint durch meine Haut zu kriechen. Sie kämpft sich mühsam auf ihre Füße, aber ich kann sehen, wie zerbrechlich sie ist. Wie alles, was sie ausgemacht hat, in diesem Moment vor meinen Augen zerfällt.

„Warum hast du mich verraten?" frage ich, meine Stimme brüchig und kaum mehr als ein Flüstern. Ich erwarte keine Antwort. Es ist fast, als würde ich die Worte eher an mich selbst richten, um zu verstehen, wie es so weit kommen konnte.

Avery ignoriert mich. Sie quält sich zum Bett, lässt sich darauf sinken. Ein leises Wimmern entkommt ihr, als sie sich hinlegt. Ihr Rücken mir zugewandt.

Ich merke wie meine Sicht verschwimmt. Wie mir die Tränen bei diesem Anblick unwillkürlich in den Augen aufsteigen.

Ich schüttle den Kopf, wende meinen Blick ab als könnte ich dadurch den Knoten in meiner Brust loswerden. Ich zwinge mich, mich von ihr abzuwenden und die Schritte zurück nach oben zu machen, obwohl es sich anfühlt, als würden meine Beine jeden Moment nachgeben. Mit jedem Schritt wird die Distanz zwischen mir und Avery größer, und es bleibt das Gefühl, dass ich etwas Unwiederbringliches hinter mir lasse. Ich beiße die Zähne zusammen und halte meinen Blick auf die Treppe gerichtet, als könnte ich so verhindern, dass die Zweifel mich einholen.

Oben angekommen drücke ich die schwere Tür hinter mir zu und lasse sie ins Schloss fallen. Der dumpfe Knall hallt durch die Stille der Villa, als wollte er die Leere unterstreichen, die sich in mir ausbreitet. Ich zwinge mich, nach vorn zu gehen, weiter, durch den Flur in den Wohnbereich.

„Mr. Sanchez..", begrüßt mich mein Arzt, der scheinbar schon auf mich gewartet hat und kommt mir entgegen. Sofia und Valentina sitzen auf der Couch. Valentina sieht mich mit einer Mischung aus Erwartung und Ungeduld an, ihre Hände ruhen auf ihren Knien, als wäre sie kurz davor, aufzuspringen.

„Warten Sie bitte schon Mal im Büro im Untergeschoss auf mich, ich muss noch etwas klären.", bitte ich den Arzt. Auf seiner Stirn bindet sich ein Runzeln.

„Mr. Sanchez, Sie haben eine Schusswunde. Wir sollt-"

„Ich habe gesagt ich muss noch etwas klären.", fahre ich ihn etwas strenger an. Er schluckt einmal nervös, nickt und verschwindet schließlich aus dem Wohnbereich im Flur.

„Was soll wir jetzt tun?" fragt Valentina kaum dass der Arzt weg ist, ihre Stimme schneidend und voller Anspannung. Sie hält meinen Blick fest, als würde sie die Antwort aus mir herauszwingen wollen.

Ich gehe im Raum auf und ab, meine Gedanken rasen. „Dominic ist tot.", sage ich schließlich und die Worte treffen härter, als ich erwartet hatte. „Das Erste, was wir tun müssen, ist jemandem zu finden, der den Tod vertuschen kann. Es muss wie ein Unfall aussehen... oder ein Überfall. Irgendetwas, das keine Fragen aufwirft." Meine Stimme klingt ruhig, aber ich fühle, wie der Druck in meiner Brust wächst, mit jeder Sekunde, die verstreicht. „Valentina du kümmerst dich darum."

Ich drehe mich um und fahre mir mit der Hand durch die Haare, versuche, einen klaren Gedanken zu fassen, aber es fühlt sich an, als würde mein Kopf unter der Last zusammenbrechen.

AveryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt