93. Nächste Schritte

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Avery P.O.V.

Adrian steht vor mir, seine Brust hebt und senkt sich in einem unkontrollierten Rhythmus, seine Augen sind blutunterlaufen, und er sieht aus, als würde er unter der Last seines eigenen Versagens zerbrechen. Ich sehe ihn so, wie ich ihn noch nie gesehen habe – verloren und fast am Ende seiner Kraft.

„Avery... darf ich... darf ich ein Stück näher kommen?" Seine Stimme ist leise, fast flehend, und als ich ihn anschaue, sehe ich die Hoffnung und gleichzeitig die Angst in seinen Augen.

Ich nicke schwach, unfähig zu sprechen. Mein Körper reagiert von alleine, während meine Gedanken noch im Chaos sind.

Langsam macht Adrian einen Schritt um das Bett herum, als wäre jeder seiner Schritte eine vorsichtige Annäherung, um meine Grenzen nicht zu überschreiten. Doch plötzlich sehe ich, wie sein Blick auf den Boden fällt. In der Ecke, leicht zu übersehen, liegt noch immer das Päckchen Koks. Für einen Moment starrt er es einfach nur an, und ich spüre, wie sich seine ganze Haltung verändert.

Er bückt sich langsam, fast ungläubig, hebt es auf und seine Stirn legt sich in tiefe Sorgenfalten. „Hast du... hast du etwas davon genommen?" fragt er, und in seiner Stimme liegt eine Mischung aus Besorgnis und Stress.

Ich schüttle hastig den Kopf, die Tränen laufen noch immer über mein Gesicht. „Nein... ich habe es nur... ich wusste nicht....er...er hat es mir gegeben..."

Er presst die Lippen zusammen, als würde er innerlich mit sich kämpfen, dann verschließt er das Päckchen fest und steckt es in seine Hosentasche. „Okay." murmelt er leise, als würde er eher zu sich selbst sprechen. Sein Gesicht bleibt angespannt.

Dann tritt er wieder näher ans Bett, seine Bewegungen noch vorsichtiger als zuvor. „Darf ich... mich setzen?" fragt er erneut, und seine Stimme ist so sanft, dass sie fast zerbrechlich klingt.

Wieder nicke ich, obwohl mein Inneres sich unsicher anfühlt. Er setzt sich langsam auf die Kante des Bettes, aber in dem Moment zucke ich unwillkürlich zusammen. Es ist nur eine kleine Bewegung, fast unmerklich, doch sie bleibt nicht unbemerkt. Meine Unsicherheit, die Nähe, die Erinnerungen was in diesem Bett passierte – alles prallt auf mich ein.

Adrian merkt es sofort. Seine Augen weiten sich kurz, und ohne ein weiteres Wort steht er auf. Er weicht zurück, als würde er damit den Abstand schaffen, den ich gerade brauche, doch ich merke, wie die Luft zwischen uns noch schwerer wird.

Adrian bleibt stehen, sein Blick ruht auf mir, doch er wirkt unsicher, als ob er nicht weiß, wie er den nächsten Schritt machen soll. Ich sehe, wie sich seine Hände leicht an den Seiten verkrampfen, als würde er die Spannung in sich unterdrücken. Schließlich fragt er, seine Stimme leise und sanft, fast zaghaft. „Avery... kannst du mir sagen, wer es war?"

Kaum hat er die Frage ausgesprochen, schüttele ich heftig den Kopf, als würde ich die Worte von mir wegstoßen. „Ich... ich kann nicht," flüstere ich, doch meine Stimme bricht, und die Tränen, die ich so lange zurückgehalten habe, beginnen wieder unaufhaltsam über meine Wangen zu laufen. Die Bilder, die ich so verzweifelt zu verdrängen versuchte, tauchen wieder auf – wie ein Sturm, der mich mit voller Wucht trifft. Ich sehe sein Gesicht, spüre Hände auf mir, höre das Lachen, das in meinem Kopf widerhallt.

Meine Atmung wird schneller, unkontrollierbar, und ich fühle, wie Panik in mir aufsteigt. Mein Körper beginnt heftig zu zittern, meine Finger krallen sich in die Bettdecke, als könnte ich mich an der Realität festhalten, doch ich gleite immer weiter ab. Die Welt um mich verschwimmt, und alles, was bleibt, ist die Dunkelheit, die sich in mir ausbreitet.

„Avery... hey, alles ist okay," höre ich Adrians Stimme, aber sie klingt so weit entfernt, als würde sie mich durch eine dichte Nebelwand erreichen. „Du bist sicher. Ich bin hier." Er klingt verzweifelt, und ich sehe aus dem Augenwinkel, wie er hilflos dasteht, als ob er nicht weiß, wie nah er mir kommen darf, ohne mich noch weiter in die Panik zu treiben. Seine Hände zittern leicht, aber er bleibt stehen, unsicher, ob er mich berühren oder einfach nur da sein soll.

Plötzlich spüre ich etwas Warmes und Feuchtes an meiner Wange. Zeus hat sich an mich gedrängt, und leckt sanft über mein Gesicht. Seine raue Zunge und die sanfte Berührung bringen mich für einen Moment aus dem Strudel meiner Gedanken zurück in den Moment. Ich blinzele, spüre seine Wärme und das leise Schnaufen, während er weiterhin vorsichtig über meine Tränen fährt, als wüsste er genau, was ich brauche.

Mein Atem wird langsamer, und das Zittern in meinem Körper beginnt sich zu beruhigen. Ich atme tief ein, versuche, mich auf Zeus zu konzentrieren, auf das Hier und Jetzt. Langsam löse ich meine Finger von der Bettdecke und streiche über seinen Kopf. Der Kontakt mit ihm verankert mich irgendwie wieder in der Realität.

Adrian beobachtet die Szene, und ich sehe, wie sich seine Schultern ein wenig entspannen, als er merkt, dass ich mich beruhige. „Du musst mir nichts sagen, wenn du noch nicht bereit bist." Seine Stimme klingt fast beruhigend, aber ich merke, wie schwer es für ihn ist, mich so zu sehen – und nichts tun zu können.

Er sieht sich einmal um. Nachdenklich. Dann sieht er mich wieder an.

„Wenn du möchtest, kannst du in meinem Wohnbereich schlafen. Der Bereich ist mit einem Code gesichert. Da kommt niemand rein.", seine Stimme bricht. „E-es tut mir leid, dass du hier nicht sicher warst." Er presst seinen Handrücken gegen seine Lippen, als müsse er gegen eine aufsteigende Übelkeit ankämpfen.

Ich sehe ihn an. Unsicher was ich sagen soll, während ich mit Zeus Ohr spiele um mich zu beruhigen.

„Zeus darf natürlich mit dir mitkommen.", fügt Adrian hinzu und sieht abwechselnd mich und Zeus an. „Du kannst es dir gern überlegen."

Ich nicke wortlos.

Adrian P.O.V.

Avery nickt wortlos.

Ich sehe, wie Avery mich ansieht – wie zerbrechlich sie wirkt, wie sehr sie gerade mit sich kämpft und mir wird plötzlich klar, dass all das zu viel ist. Sie braucht Raum, Zeit. Ich kann es in ihren Augen sehen, in der Art, wie sie schwach auf dem Bett sitzt, als würde die Last der Welt sie erdrücken.

Ein Kloß bildet sich in meinem Hals, und meine Brust fühlt sich an, als würde sie unter dem Druck meiner eigenen Schuld zerbrechen. Doch ich weiß, dass meine Nähe ihr jetzt nicht hilft.

„Ich... ich werde gehen," sage ich leise, und es kostet mich all meine Kraft, diese Worte auszusprechen. „Aber ich bin hier, Avery. Immer, wenn du mich brauchst. Verstehst du?" Ich sehe sie an, mein Blick durchbohrt sie, weil ich sicherstellen möchte, dass sie mich wirklich hört. „Wenn etwas ist, egal was, komm sofort zu mir."

Sie nickt schwach, und ich sehe, wie erschöpft sie ist. Ihre Lippen formen ein leises, kaum hörbares „Danke"

Ich will noch etwas sagen, will ihr irgendwie mehr geben, als nur leere Worte, aber ich weiß, dass es keinen Sinn hat. Sie braucht Ruhe.

Ich drehe mich um und gehe langsam zur Tür.

Jeder Schritt fühlt sich an, als würde ich gegen mich selbst kämpfen – gegen den Drang, zu ihr zurückzukehren, sie zu trösten, sie in meinen Armen zu halten. Doch ich weiß, dass das jetzt nicht das Richtige ist. Als ich die Tür leise hinter mir schließe, bleibt ein dumpfer Schmerz in meiner Brust zurück, ein Gefühl der Ohnmacht, das ich nicht abschütteln kann.

Ich eile die Treppe nach unten, durch den Eingangsbereich ins Wohnzimmer. Valentina die eben noch angespannt auf der Couch gesessen ist, steht sofort auf.

„Wie geht es ihr?", fragt sie. Ihre Augen voller Sorge. Doch ich ignoriere die Frage. Weil mein Kopf bereits voll ist, mit den nächsten Schritten.

„Ich brauche deine Hilfe.", sage ich daher ernst.

AveryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt