101. Solange sie es braucht

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Adrian P.O.V.

„Es ist okay," flüstere ich immer wieder, meine Wange leicht gegen ihr Haar gedrückt. Der Duft von ihr, vertraut und jetzt so voller Schmerz, erinnert mich daran, warum ich hier bin, warum ich nicht zulassen werde, dass sie das allein durchstehen muss. „Es ist okay, du bist nicht allein. Ich bin hier."

Avery weint weiter und die Tränen, die an ihren Wangen hinunterlaufen, durchtränken den Stoff meines Hemdes. Sie hält sich an mir fest, als ob sie Angst hätte, ich könnte plötzlich verschwinden. Ich lasse sie diesen Halt finden, lasse sie weinen, so lange sie es braucht.

Mit jedem Moment, der vergeht, spüre ich, wie die Anspannung in ihrem Körper langsam nachlässt. Ihre Atemzüge werden tiefer, regelmäßiger, auch wenn sie noch immer von Schluchzern unterbrochen werden. Mein Herz schmerzt bei jedem Laut, aber es gibt auch eine leise Erleichterung darin – sie lässt los, sie gibt sich dem Moment hin, und sie weiß, dass ich da bin, um sie zu halten.

„Ich bin so stolz auf dich.." sage ich leise, meine Stimme zittert ein wenig.

Sie reagiert nicht sofort, aber ich spüre, wie ihre Finger sich ein wenig lösen, wie sie den Griff um mein Hemd ein wenig lockert. Ihr Kopf bleibt an meine Brust gedrückt, und ich merke, dass sie noch nicht bereit ist, mich loszulassen, aber das muss sie auch nicht. Solange sie mich braucht, werde ich da sein.

Ich halte sie einfach in meinen Armen und bleibe regungslos, warte, bis sie den ersten Schritt macht, bis sie bereit ist, die Umarmung zu lösen.

Schließlich spüre ich, wie sie sich leicht zurücklehnt, ihre Hände lösen sich langsam aus dem Stoff meines Hemdes, und ein Zittern durchzieht sie, als ob der Verlust unseres körperlichen Kontaktes etwas in ihr auslöst.

Langsam lockere ich meine Arme, lasse sie ihren Raum finden und gebe ihr die Freiheit, sich ganz von mir zu lösen. Avery tritt einen Schritt zurück, ihre Augen sind gesenkt, und ich sehe, wie ihre Schultern sich erneut anspannen, als wäre ihr die Nähe plötzlich unangenehm gewesen. Sie umschlingt sich selbst mit den Armen, eine Schutzgeste, und vermeidet meinen Blick, als ob sie sich schämen würde.

„Avery...," beginne ich leise, aber sie schüttelt leicht den Kopf, bevor ich weitersprechen kann. Ihr Gesicht ist rot, ihre Augen sind immer noch von Tränen gerötet, und ihr Atem geht flach. Ich spüre den Stich des Unbehagens in mir, weil ich ahne, was sie denken könnte – dass sie sich zu viel hat anmerken lassen, dass sie sich angreifbar fühlt.

Ihre Lippen beben leicht, und ich sehe, wie sie hart schluckt, die Augen noch immer auf einen Punkt in der Ferne gerichtet, als wollte sie sich irgendwo festhalten, wo ich sie nicht erreichen kann. „Ich... ich hasse es," flüstert sie schließlich, und ihre Stimme ist kaum mehr als ein Hauch. „Ich hasse es, so schwach zu sein."

Der Schmerz, ihre Worte zu hören, durchzuckt mich, und ich muss tief durchatmen, um meine eigene Fassung zu bewahren. „Du bist nicht schwach." widerspreche ich, diesmal ein wenig eindringlicher.

Ein langer Moment der Stille folgt, und ich sehe, wie ihre Augen glasig werden, obwohl sie gegen die neuen Tränen anzukämpfen scheint. „Ich wünschte... ich wünschte, es würde einfach verschwinden.." sagt sie mit einer Stimme, die von Verzweiflung durchtränkt ist.

„Es wird mit der Zeit leichter werden.." sage ich sanft. „Und bis dahin, bin ich hier. Jedes Mal, wenn du mich brauchst."

Endlich dreht sie ihren Kopf zu mir, die Augen immer noch voller Schmerz, aber auch voll von etwas anderem – etwas Zerbrechlichem, das Hoffnung ähnelt. „Danke.." flüstert sie, kaum hörbar.

Ich nicke nur, sage nichts weiter.

Ich stehe einen Moment lang schweigend neben ihr, lausche dem sanften Rascheln der Blätter, das sich mit dem leisen Pochen meines Herzens vermischt. Der kühle Wind streift uns, und ich bemerke, wie Avery leicht zusammenzuckt und sich die Arme fester um den Körper schlingt.

AveryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt