82. Schreie

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Avery P.O.V.

Die Männer schleppen mich zur Villa, ihre Hände fest um meine Arme, als ob ich ohne sie einfach zusammensinken würde.

Wahrscheinlich würde ich das auch.

Meine Beine gehorchen mir kaum noch, meine Gedanken sind dumpf, fast leer. Die Berührungen, die Griffe der Männer..es ist einfach zu viel.

Ich sehe die Lichter der Villa, aber es fühlt sich an, als wären sie unendlich weit weg. Sie zerren mich die Steintreppen hoch, meine Füße stolpern, aber sie halten mich fest genug damit ich nicht falle. Ich fühle nichts. Keine Angst, keine Wut. Nur Leere. Ich bin zu erschöpft, um irgendetwas zu empfinden. Nur diese eiserne Taubheit, die mich von allem abschirmt.

Als wir die Tür aufstoßen, schlägt mir die warme Luft der Villa entgegen. Ich werde grob durch die Tür geschoben. Mein Blick schweift einmal durch die Villa und dann sehe ich ihn.

Adrian.

Unsere Blicke treffen sich.

Ich sehe, wie sich etwas in ihm verändert, wie etwas in seinen Augen bricht. Früher hätte ich es gefühlt – diesen Schmerz, diese Enttäuschung. Jetzt? Nichts. Kein Entsetzen. Keine Reue. Nur diese tiefe, erdrückende Leere in mir.

Ich will weinen, schreien, irgendetwas fühlen. Aber es kommt nichts. Ich stehe einfach nur da, gefangen in diesem Moment, unfähig, irgendetwas zu tun. Seine Augen sagen alles, was Worte nicht könnten, und ich weiß, ich habe ihn verraten. Aber in diesem Moment bin ich zu leer, um das wirklich zu begreifen.

••

Adrian P.O.V.

Langsam stehe ich von der Couch auf. Ich gehe näher zu ihr.

Je näher ich komme, desto deutlicher sehe ich es: Sie sieht so erschöpft aus. Blass, die Augen eingefallen, ihr Körper zittert massiv unter dem Griff der Männer. Es ist, als wäre sie nur noch ein Schatten ihrer selbst. Ich starre sie an, frage mich, wie ich je so naiv sein konnte, ihr zu vertrauen.

Ihr Blick trifft meinen, aber da ist nichts in ihren Augen. Keine Entschuldigung, keine Erklärungen. Nur Leere.

Ich weiß es nicht mal was ich fühle. Wut? Schmerz? Mitleid? Alles vermischt sich zu einem dumpfen Knoten in meiner Brust, den ich nicht entwirren kann.

„Wie konnte ich nur denken...", beginne ich leise, aber die Worte sterben auf meinen Lippen.

Ich weiß nicht einmal, was ich sagen will. Wie konnte ich ihr vertrauen? Wie konnte ich so blind sein? Wie konnte ich denken dass das zwischen uns echt war?

Doch als ich sie weiter anschaue, dieses zitternde, gebrochene Wesen vor mir, weiß ich, dass es keine einfache Antwort gibt. Egal, wie sehr ich es will.

Hinter mir höre ich Schritte. Doch ich drehe mich nicht um. Mein Blick bleibt auf Avery.

„Ihr habt sie gefunden?", höre ich Matteo sagen als er sich neben mich stellt. Ich ignoriere ihn einfach.

„Ich frage dich das jetzt ein einziges Mal.", beginne ich an Avery gerichtet und habe im selben Moment Angst vor der Antwort. „Hat dich jemand gezwungen den Schlüssel zu stehlen?"

Avery die mich eben noch angesehen hat senkt ihren Blick zum Boden. Jeder Atemzug hört sich an als würde er ihr all ihre Kraft abverlangen. Sie schweigt.

„Ich hab dich etwas gefragt verdammt nochmal! Wurdest du von jemand anderem gezwungen den Schlüssel zu stehlen?", wiederhole ich nun lauter.

Die Verzweiflung in meiner Stimme ist nicht zu überhören. Meine Frage ist ein letzter verzweifelter Versuch die Erkenntnis zu verhindern, dass sie mich die gesamte Zeit verraten hat.

„Beantworte seine Frage.", mischt Matteo sich ein. Seine Stimme klingt so kalt und abwertend, dass es selbst in mir ein Unbehagen auslöst.

„N-nein...", flüstert sie schließlich schwach. „M-mich hat niemand dazu gezwungen."

Mein Herz sticht und die Übelkeit schwappt wie in Wellen über mich. Aber ich schlucke all diese Gefühle runter.

„Durchsucht sie.", sage ich ernst an die Sicherheitsmänner gerichtet, während ich meine Augen keine Sekunde von ihr nehme.

Einer der Männer nickt sofort. Ohne Zögern greift er nach den Taschen ihrer Jogginghose, durchsucht sie grob, wie er es immer tut. Doch in dem Moment, als seine Hände sie berühren, bricht Avery zusammen. Sie schreit, ein greller Laut, der durch den Raum schneidet wie ein Messer. Ihr Körper spannt sich an, sie wehrt sich, tritt nach ihm. Panik bricht aus ihr hervor, als hätte sie Todesangst. „L-lasst mich los!", brüllt sie von ganzer Seele.

„Stell dich nicht so an.", faucht Matteo sie an. Ich werfe ihm einen drohenden Blick zu.

„Verschwinde. Sofort.", befehle ich ihm. Mein Blick lässt keinen Raum für Diskussionen offen. Zum Glück gehorcht er und verschwindet aus meinem Sichtfeld.

Averys Kreischen trifft mich wie ein Schlag. Es ist nicht nur laut, sondern voller roher Verzweiflung. Es ist, als würde er tief in mich hineindringen, bis in die dunkelsten Ecken meines Bewusstseins. Für einen Moment schließe ich die Augen, als könnte ich dadurch das Geräusch abwehren, es ausblenden, mich von der Intensität dieser Panik schützen.

Aber es funktioniert nicht. Der Schrei bleibt.

„Hör auf!", brülle ich schließlich, meine Stimme schneidend und wütend, schärfer als ich wollte. Sie soll aufhören. Dieses Kreischen... es zerreißt mich. „Hör auf damit!"
Sie wehrt sich weiter, ihre Schreie zerfetzen die Luft, und mein Zorn kocht über. „Hör verdammt noch mal auf zu kreischen!" Ich gehe einen Schritt auf sie zu, die Fäuste geballt.

Ihre Angst ist so echt, so roh, dass ich für einen Moment unfähig bin, mich zu rühren. Vielleicht ist es auch einfach ein weiteres Schauspiel von ihr.

„Das hättest du dir überlegen sollen, bevor du den Schlüssel gestohlen hast!", schnauze ich sie an.

Vielleicht versucht sie so mein Mitleid zu bekommen. Doch das wird nicht funktionieren. Das werde ich nicht zulassen.

Die Männer durchwühlen ihre Taschen, ihre Bewegungen grob und gleichgültig. Avery schreit weiter, ihre Stimme heiser und verzweifelt, doch langsam klingt das Kreischen ab. Ihre Kraft lässt nach. Ihr Körper zittert immer stärker, als würde er unter der eigenen Last zusammenbrechen. Sie sieht aus, als könnte sie jeden Moment zu Boden sinken, als ob die Panik und der Widerstand sie völlig ausgezehrt hätten.

Einer der Männer tritt zurück, seine Hände leer. „Kein Schlüssel," sagt er ruhig, und für einen Moment bleibe ich stumm.

Ich sehe sie an, sie ist immer noch atemlos, das Gesicht bleich, die Schultern hängen tief. Sie hängt nur noch da, einzig und allein gestützt von dem Griff der Männer, als würde sie gleich in sich zusammenfallen. Das Zittern ihres Körpers, die Leere in ihren Augen – sie wirkt, als wäre jede letzte Kraft aus ihr gewichen. Für einen Augenblick bin ich unsicher, was ich tun soll.

Aber ich muss meine Gefühle beiseite schieben.

Sie ist nicht die Person für die ich sie gehalten habe. Sie ist nicht die Avery die ich dachte zu kennen. Sie hat mich hintergangen. Mich verraten.

„Was sollen wir mit ihr machen, Boss?" fragt einer der Männer.

Ich starre sie weiter an, länger als ich sollte. Mein Verstand rast, versucht einen klaren Gedanken zu fassen, aber ich zögere. Warum zögere ich überhaupt? Es ist egal, wie sie aussieht, egal, wie erschöpft sie ist. Ich darf jetzt nicht schwach sein. Sie ist nicht die für die ich sie gehalten habe.

„Bringt sie in den Keller." befehle ich schließlich den Männern.

AveryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt