83. Todesurteil

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Adrian P.O.V.

„Bringt sie in den Keller." sage ich schließlich.

Die Worte hängen in der Luft und während ich sie ausspreche, spüre ich ein Unbehagen, das ich nicht abschütteln kann. Doch ich zwinge mich, nicht wegzusehen. Es ist die einzige Option. Ich kann Avery nicht vertrauen und ich darf mir keine weiteren Schwächen leisten.

Die Männer packen Avery, diesmal nicht so grob, aber fest genug, um sie auf die Beine zu bringen. Sie wehrt sich nicht. Kein Schrei, keine Bewegung. Ihr Körper hängt schlaff in den Griffen der Männer, als hätte sie jede Kraft und jeden Willen aufgegeben. Es ist, als wäre sie innerlich völlig erloschen, als hätte die Panik und der Schmerz sie vollkommen taub gemacht. Und obwohl ihr Kreischen für mich unerträglich war, schmerzt mich ihre Stille genau so. Und ich hasse es, dass ich diesen Schmerz nicht unterdrücken kann.

Ich stehe da und beobachte sie, wie sie aus dem Raum geführt wird, ihre Schritte schwach und unregelmäßig. Etwas in mir regt sich, ein Gefühl, das ich nicht definieren kann. Vielleicht ist es Mitleid, vielleicht einfach nur Wut. Ich sollte sie hassen. Ich will sie hassen, und doch fühlt es sich gerade nicht so an.

Die Männer verschwinden mit ihr um die Ecke, und bevor ich es richtig begreife, beschließe ich, ihnen nachzugehen. Ohne nachzudenken, setze ich mich in Bewegung. Meine Schritte sind schwer, und während ich den Flur entlanggehe, kämpfe ich mit dem wachsenden Druck in meiner Brust.

Ich folge ihnen die Treppen hinunter in den Keller, die Wände werden kälter, der Raum dunkler, der Geruch feucht und alt. Die Schritte der Männer hallen von den Steinwänden wider, aber Avery gibt keinen Laut von sich. Kein Protest, kein Widerstand. Gar nichts.

Sie erreichen die Zelle, öffnen die schwere Metalltür und schleifen sie hinein. Sie lassen sie los und Avery sackt fast zu Boden, aber sie hält sich irgendwie noch auf den Beinen. Für einen Moment sieht es aus, als würde sie umkippen, doch dann setzt sie sich langsam auf das Bett, fast wie in Zeitlupe, als wäre selbst das zu viel Anstrengung. Sie lehnt sich an die Wand, ihre Augen starr auf den Boden gerichtet, aber es ist klar, dass sie nichts wirklich sieht. Sie ist nicht mehr da.

Ich bleibe draußen vor der Zelle stehen, die Hände in den Taschen, die Kälte des Kellers kriecht mir in die Knochen. Doch ich zwinge mich, nicht wegzusehen. Ich muss hinsehen, auch wenn etwas in mir sich sträubt. Das ist nicht die Avery, die ich gekannt habe. Nicht die Frau, von der ich geglaubt habe, dass sie anders ist. Sie ist eine Lügnerin, eine Verräterin. Aber warum fühlt es sich trotzdem so falsch an, sie hier so gebrochen zu sehen?

Ich sehe sie an, dieses zitternde, leere Wesen, und es ist schwer, mir vorzustellen, dass das die gleiche Frau ist, die mich so tief berührt hat.

Die Männer versperren die Zelle, drehen sich zu mir um, warten auf weitere Anweisungen. Ihr Atem ist schwer von der Anstrengung, aber sie sagen nichts. Ich blicke sie kurz an, dann zurück zu Avery. Sie rührt sich nicht.

„Geht." sage ich schließlich, meine Stimme leise, aber bestimmt. Die Männer zögern nur kurz, bevor sie nicken und ohne ein Wort verschwinden. Ihre Schritte hallen die Treppen hinauf, bis sie verstummen.

Ich bleibe allein im Keller, vor der Zelle, in der Avery sitzt. Die Stille ist fast ohrenbetäubend. Ich stehe da und zwinge mich, weiter hinzusehen, auch wenn ich nicht will.

Avery P.O.V.

Ich sitze auf der kalten Matratze, meine Beine angezogen, die Arme um mich geschlungen. Der Keller ist feucht, die Luft stickig und schwer, aber ich spüre es kaum. Mein Körper ist wie in einen Nebel gehüllt, taub, als wäre ich nicht wirklich hier. Alles, was ich fühle, ist Leere. Kein Schmerz, keine Angst, nichts.

Ich starre auf den Boden, die grauen, kalten Steine unter meinen Füßen. Im Augenwinkel nehme ich eine Bewegung wahr – Adrian.

Ich weiß, dass er mich ansieht, dass er mich beobachtet, doch ich kann ihm nicht in die Augen sehen. Es ist nicht, dass ich es nicht will – ich kann es nicht.

Dann höre ich ihn. Seine Stimme.

„Warum?" höre ich ihn fragen. Die Frage klingt fast verloren, nicht so hart und kalt wie erwartet. „Warum hast du das getan?"

Ich blinzle langsam, aber meine Augen bleiben auf dem Boden. Es ist, als würde der Nebel in meinem Kopf sich weiter verdichten, als würde ich die Bedeutung seiner Worte nicht erfassen können.

Ich merke, dass er noch immer dort steht, vor der Zelle, auf eine Antwort wartet, aber ich habe keine. Es gibt nichts mehr zu sagen. Kein Wort, das diesen Abgrund zwischen uns überbrücken könnte.

••

Adrian P.O.V.

Sie hat mich nicht einmal richtig angesehen, seit sie hier unten ist. Ihre Augen bleiben starr auf den Boden gerichtet, als wäre sie längst woanders, längst nicht mehr hier. Es ist, als ob sie alles ausgeblendet hat – mich, die Situation, ihre eigene Schuld.

Ich frage sie, warum sie das getan hat, aber keine Antwort kommt. Natürlich nicht. Sie bleibt still, als wäre ich Luft. Doch das Schweigen macht mich nur wütender.

„Du hast es also scheinbar schon geschafft, den Schlüssel wegzuschaffen..." sage ich schließlich, und meine Stimme ist lauter, schärfer als ich es wollte. Sie zuckt nicht einmal. Nichts. Keine Reaktion.

Ich fange an, laut meine Gedanken auszusprechen, auch wenn ich weiß, dass sie mir wahrscheinlich nicht zuhört. „Ich weiß, dass Dominic und du dahinterstecken. Ich war verdammt naiv, dich für unschuldig zu halten. Wie konnte ich auch nur für einen Moment glauben, dass du nicht Teil von all dem bist?"

Meine Worte hallen in dem kalten Raum wider, und ich merke, wie ich sie anstarre, als könnte ich durch ihre Haut hindurchsehen, als könnte ich die Wahrheit aus ihr herauszwingen, die sie so tief in sich vergraben hält.

Doch sie bleibt stumm. Taub. Es ist, als würde meine Wut an ihr abprallen, an dieser Mauer, die sie um sich herum aufgebaut hat.

„Ich weiß nicht, was du mit diesen Dokumenten vorhast. Willst du sie überhaupt? Oder reicht es schon, dass ihr herumerzählen werdet wie angreifbar ich bin?"

Ich sehe, wie sie leicht zittert, aber es kommt immer noch keine Antwort. Nichts.

„Ich hoffe ihr habt es euch gut überlegt bevor die Dokumente in Hände kommen wo sie nicht sein sollen. Denn weißt du was ich sichergestellt habe?" sage ich, meine Stimme jetzt tiefer. „Bei allen Safes gibt es einen Ordner. Einen Ordner mit den Namen aller Personen die jemals in meine Geschäfte verwickelt waren. Und weißt du, welche Person dort auch verewigt ist? Du."

Ich lasse die Worte sinken, beobachte sie genau, ob sie endlich reagiert. Aber sie bewegt sich kaum, nur ein schwaches Zittern durchläuft sie.

„Es ist dokumentiert, dass du in Dominics Geschäfte verwickelt bist. Wenn diese Dokumente in die Hände der Regierung kommen, kannst du dein Leben im Gefängnis verbringen. Wenn sie in die Hände des Kartells gelangen, dann hast du nicht nur mein Todesurteil unterschrieben" fahre ich fort „..sondern auch deines."

AveryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt