Der Angriff

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Hicks richtete sich so schnell auf, wie es nur sein Müder Körper von ihm abverlangte. Die Situation war ernst. Sehr ernst. Sie könnten heute Nacht ihr Leben verlieren, wenn sie es nicht schafften, von hier zu fliehen. Kämpfen wäre zwecklos, denn Hicks wusste gar nicht, wie er sich in diesem Körper während eines Kampfes zurecht finden sollte. Wie der Bewegungsapparat sich gestaltete. Er hatte einfach keine Erfahrung.
„Los komm Hicks, wir müssen weg hier, die kommen gleich an unser Haus an und wenn sie dich sehen, dann können wir nur noch um die Gnade der Götter beten!"In Astrids Augen spiegelten sich Angst und Sorge gleichermaßen. Sie schien fürchterliche Angst zu haben, besonders, da Rotzbacke unter den Gefangenen sein müsste und die hätte, wenn er die blondhaarige Wikingerin erst einmal ausgemacht hätte, grauenvolle Dinge mit ihr getan. Und schon das er sie fast vergewaltigt hatte, war ein Trauma für sie gewesen, dessen Wunden noch nicht ganz verheilt waren.
Ihr Herz hämmerte gegen die Brust. Immer schneller wurde der Takt, der ihre Lebenspumpe zu Höchstleistungen brachte. „Los Hicks, ich habe schnell einige Sachen gepackt. Haudrauf hat uns gesagt, dass wir uns im Wald verstecken sollen, bis das hier ein Ende hat, doch die sind in der Überzahl. Ich weiß nicht, was wir jetzt tun sollen?", kam es erneut völlig aufgelöst von ihr. Sie wusste mit der Situation gar nicht um zu gehen. Grundlos wurde Berk überfallen, die Häuser angezündet, die Männer getötet und die Frauen geschändet. Ein Horror, den man sich nicht ausmalen konnte, doch er passierte gerade hier vor ihren Augen. Und dann noch, dass Dagur diese Bande anführte.
Sicherlich würde er vor nichts halt machen, um dieses Dorf dem Erdboden gleich zu machen, doch was sollte Hicks noch unternehmen. In seinem Nachtschatten Körper konnte er nicht kämpfen. Jedenfalls noch nicht und so schloss die reine Logik schon, lieber einen Rückzug zu machen, bevor ihnen und vor allem Astrid etwas schlimmes zustoßen würde. Die war schon die Treppen runter gerannt, als Hicks ihr folgte. „Los schneller Hicks, sonst sind sie bald an diesem Haus. Haudrauf und Grobian tun schon ihr bestes, doch lange können sie den Massen nicht stand halten." kam es nochmals eindringlich von Astrid, deren Herz das Blut in Kombination mit einer Überdosis Adrenalin so intensiv durch ihren Körper pumpte, dass sie dachte beinahe einen Herzinfarkt zu bekommen. Ihr Atem wurde immer schneller und heftiger. Sie konnte sich nicht beruhigen. Wenn nun Rotzbacke unter den Massen war? Was würde dann mit ihr geschehen? Sicherlich hätte er ihr die schlimmsten Dinge angetan, die man sich nur vorstellen konnte. Schon allein dieser Gedanke ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren.
Es war kaum eine Woche her gewesen, da hatte sie auf dem Bett, völlig entkleidet, gelegen und gebangt, dass er es nicht tun würde. Und dem war auch so. Hicks war in das Zimmer gestürmt und hatte ihn gestellt. Anschließend wurde dieser Dreckskerl auf die Insel der Verbannten gebracht, wo er sich sicher mit Dagur zusammen getan hat. Mit höchster Wahrscheinlichkeit würde er an der Stelle weiter machen wollen, wo er von ihrem Hicks unterbrochen wurde. Rotzbacke kannte keine Skrupel. Dies hatte sie sich jetzt bewusste gemacht. Und wenn er sie finden würde...ach am liebsten wollte sie gar nicht daran denken. Sie musste es verdrängen. Hicks war doch bei ihr und der würde sie schon beschützen.
„Gurrrr!" Hicks hatte sich nun endlich nach unten begeben. Sein Schweif schlug unruhig hin und her auf dem Boden und verdeutlichte, wie angespannt der ehemalige Mensch in dieser Situation war. „Ja Hicks. Mir geht es genau so. Aber nun los in die Wälder. Dort können wir uns erst einmal vor den Kerlen hier verstecken. Wenn sie wieder verschwunden sind, können wir auch wieder zurück kommen."
Hicks gefiel der Plan schon ganz gut, doch wollte er auch seinen Vater nicht alleine im Kampfe lassen. Es war eine Qual für ihn, dass er nichts tun konnte, um ihm im Kampfe bei zu stehen. Hoffentlich würde alles gut gehen. Hoffentlich könnten sie bald wieder nach Berk aus den Wälder der Insel zurück kommen und das Dorf wäre noch heil geblieben. Hoffentlich würde sein Vater den Kampf heil überstanden haben. Er musste es einfach, denn Haudrauf war das einzige in der Familie von Hicks, was noch geblieben war. Seine Mutter wurde von Drachen einst verschleppt und schließlich für tot erklärt. Er war damals zwar noch ein kleines Baby gewesen, doch belastete es Hicks, dass er nie seine richtige Mutter kennen gelernt hatte. Warum war die Welt so unfair zu ihm gewesen? Warum konnte er nie die Nähe einer Mutter spüren, die ihn sicherlich versorgt hätte. Besser zumindest als Haudrauf,. Doch lag an dem Familienoberhaupt viel, was Hicks schätze und geerbt bekommen hatte. Seine Starrköpfigkeit.
Aber Hicks wurde abermals aus seinen Gedanken gerissen, als Astrid die Tür zum Dorf öffnete. Und was er da sah, verschlug dem Nachtschatten die Sprache. Die Häuser auf Berk brannten ohne Ausnahme. Überall das Geschrei und der Gestank des Todes, der sie wie ein schwarzer Schleier über das gesamte Dorf legte. Dies war ein schwarzer Tag für Berk. Wenn es die tapferen Krieger dieses Dorfes überhaupt schaffen würden, diesen Angriff auf zu halten, dann nur unter großen Verlusten. Wie gerne hätte Hicks jetzt die Gestalt eines Menschen angenommen und wäre in das Getümmel der Schlacht gestürzt. Sicherlich hätte er dutzende vielleicht hunderte von ihnen töten könne, bevor sie überhaupt etwas gemerkt hätten. Doch jetzt stand Flucht auf dem Plan. Nichts anderes als die Flucht von diesem Ort, der sich in ein Bild des Schreckens verwandelt hatte. So unauffällig, wie es nur ihnen möglich war, traten sie vor das Haus, um in den hinten anschließenden Wald zu gelangen, Von dort aus könnten sie im Schutze der Dunkelheit sich zum Krähenkliff durchschlagen, wo sie, so dachten sie jedenfalls, sich erst einmal in Sicherheit wiegen könnten. Doch wie lange würde das wohl anhalten. Wenn es diese Bastarde wirklich schaffen sollten, Berk in ihren Besitz zu bekommen, dann würden sie sicher die ganze Insel nach Flüchtlingen der Schlacht durchkämmen, und sie umbringen. Ohne jede Gnade würden sie dann den Schwertern ihrer Peiniger zum Opfer fallen, was sie auf jeden Fall verhindern wollten. Doch keiner von beiden wollte auch nur so weit denken. Noch hielt der Optimismus inne in den Seelen der beiden. Denn so lange sie sich nun heimlich davon machten, hatten sie noch nicht die Aufmerksamkeit der feindlichen Krieger auf sich gelenkt, obwohl sie schon gefährlich nahe an das Haus des Häuptlings gekommen waren.
Als sie endlich die Waldgrenze erreicht hatten, blickte Hicks noch ein letztes Mal zurück. Astrid hatte sich derweil auf seinen Rücken gesetzt, damit Hicks im Sprint eines Nachtschattens viel schneller im Dickicht des Unterholzes verschwinden hätte können. Sicher war der Plan zwar nicht, wenn nämlich ein feindlicher das Knistern im Holz merken würde, doch blieb ihnen nichts anderes übrig.
Hicks schaute noch ein letztes Mal zum Dorf. Von dem Waldrand aus konnte das ganze Geschehen überblicken. Er sah seinen Vater auf dem Dorfplatz kämpfen. Gegen Dagur diesen Mistkerl. Und das schlimmste an der ganzen Sache war noch, dass der Berserker richtig gut kämpfte. Haudrauf hingegen fing schon an ein wenig zu schwächeln, was Hicks mit Angst betrachtete. Es jagte seinen Puls in die Höhe und brachte ihm das ungute Gefühl, dass er vielleicht seinen Vater das letzte Mal sehen würde. Und wie recht er damit behielt.
Nur wenige Augenblicke später nutzte Dagur eine gute Gelegenheit und entwaffnete Haudrauf. Hicks wollte einen Brüller los lassen, dich Astrid hinderte ihn daran, indem die mit ihren Armen versuchte, sein Maul zu zu halten. Mit mäßigem Erfolg. Es kam wie ein Wehklagen aus Hicks heraus. Doch noch war dieses Horrorszenario nicht vorbei gewesen. Plötzlich erhob der Berserker sein Schwert und stach auf den entwaffneten Häuptling ein. Nur kurze Zeit später blieb Haudrauf leblos auf dem Boden liegen, während Dagur siegessicher die Hände in die Lüfte hob und lauthals einen Freudenschrei ausstieß.
Der Schmerz und die Trauer, die Hicks gerade in diesem Moment empfand, zerrissen sein Herz. Tränen rollten über die Augen des Nachtschattens, als er sah, wie sich Dagur das Schwert seines Vaters nahm und mit jenem auf andere Berkianer einstach.
Wie gerne hätte Hicks ihnen jedoch geholfen. Wie gerne hätte er dieses Schwein von einem Berserker aufgespießt. Aber warum? Er könnte sich noch immer in das Getümmel der Schlacht stürzen.
Er wollte gerade zum Sprint ansetzen, als er plötzlich aufgehalten wurde. „Nein Hicks, wir müssen hier weg. Ich habe es genau so gesehen wie du, doch wir müssen uns zurück ziehen. An Dagur kannst du immer noch Rache üben.", sagte sie selbst unter Tränen, denn genau wie er konnte er nicht mehr darauf hoffen, dass ihre Mutter hier lebend aus dem Massaker heraus kommen würde. Doch sie hatte recht. Jetzt einen unüberlegten Rachefeldzug zu führen könnte für beide katastrophale Folgen haben. Nein, Astrid hatte Recht, sie mussten sich erst einmal zurück ziehen. Der Tod gehörte nun mal in der Schlacht zum Berufsrisiko der Wikinger dazu, doch noch immer konnte es Hicks nicht richtig fassen.
Aber was blieb dem zum Nachtschatten gewordenen Menschen anderes übrig. Also schlug er Kurs Richtung Wald und rannte so schnell wie er konnte ins Dickicht. Hicks sprintete so schnell er konnte. Astrid indes hatte sich geduckt und ein wenig Schutz hinter dem Kopf des Drachen gefunden, den sie liebte. Entgegen kommende Äste waren nicht das Problem. Die schmerzen hielt sie aus. Viel größer waren jedoch die inneren Scherzen, die sie plagten. Was würden diese Bastarde bloß mit ihrer Mutter anstellen. Hoffentlich gäbe es für sie einen schnellen Tod und sie müsste nicht die Schande erteilt bekommen, wie so viele andere Frauen, die wohl jetzt in dieser Nacht im Dorf leiden mussten.
Immer tiefer drangen sie in die Wälder Berk vor. Das Krähenkliff war nun nicht mehr weit gewesen und damit auch der Sicherheit versprechende Talkessel, indem sie sich erst einmal beruhigen und die Geschehnisse von dieser Nacht verdauen würden. Sicherlich würden sie eine Weile brauchen, um sich zu beruhigen, doch waren sie beide Wikinger. Sie mussten es verkraften. Sie mussten sich sammeln und einen Racheplan entwickeln, oder erst einmal über eine Flucht von Berk nachdenken. Aber wo sollten sie dann hin? Und vor allem wie? Hicks könnte ja das fliegen erlernen, doch wann könnte es mit Sicherheit klappen. Vielleicht könnte der Nachtschatten in Hicks Gedanken helfen, so dachte es sich zumindest Astrid. Sicherlich könnte er ihnen helfen, dass sie erst einmal auf eine sichere Insel kommen würden. Doch ihn zu überzeugen, da Hicks ihm solch schlimme Sachen angetan hatte, könnte sich als Hindernis heraus stellen.
Als sie endlich angekommen waren, stieg Astrid von Hicks ab und der Nachtschatten gönnte sich einen Schluck Wasser aus dem See. Er war erschöpft, dass er den ganzen Weg von Berk bis hierher gerannt war. Und trotzdem, dass sie so weit weg waren, konnten sie die orangene Rauchsäule aufsteigen sehen, die von den feuern in Berk in diesen Ton gefärbt worden war. Es bereitete Hicks Herzschmerzen, dass er seinen Vater nie wieder sehen könnte, doch wusste, er, dass Haudrauf immer ein guter Mensch gewesen war. Und diese kommen nach Walhalla, so wie alle sicher aus Berk dahin kommen, die heute in diesen Stunden fallen. Und der Nachtschatten war der Beweis. Sein Geist würde dort weiter leben und sicher über ihn wachen. Vielleicht tat er es jetzt schon genau in diesem Augenblick. Das beruhigte den ehemaligen Drachentöter ein wenig und gab ihm die Hoffnung, dass doch nicht alles verloren war. Sie hatten immer noch Sich und Astrid und um die musste er sich jetzt kümmern. Sicherlich sie müssten von Berk fliehen, doch dazu müsste er fliegen können.
Aber nun war erst einmal Astrid wichtiger. Sie hatte sich in einer Ecke zusammen gekauert und fing an zu weinen. Ja das starke Wikingermädchen, dass nie nach außen hin Schwäche zeigt, fing auf einmal an zu weinen. Hicks bemerkte dies sofort und begab sich vom See herüber zu der blonden Wikingerin, die in der Ecke kauerte. Schnell hatte sich Hicks um sie gelegt, als er versuchte sie mit einem sanften Brummen zu beruhigen.
„Ach Hicks es ist alles so schlimm. Dein Vater ist tot und meine Mutter ist es sicher auch schon. Was sollen wir bloß jetzt machen? Sollen wir fliehen?" Hicks überlegte kurz und kritzelte etwas in den Boden. „Erst einmal leben unsere Eltern in Walhalla weiter Astrid. Sie werden über uns wachen. Das versichere ich dir. Und zweitens: Wir werden einen Weg finden, Rache zu nehmen und uns erst mal zurück zu ziehen. Vielleicht kann ich den Nachtschatten um Hilfe bitten." Astrid schaute zu ihm auf. Doch nicht für lange. Bald fielen beide in einen traumlosen Schlaf...

Der Fluch des NachtschattensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt