Drachen reden viel, wenn der Tag lang ist.

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„Mich würde gerne wirklich interessieren, wie sie heißt." Hicks stapfte in seiner Höhle auf und ab und wusste nicht, was er tun sollte. Sie hatten den Drachenhort erreicht. Der Alpha war in Reichweite gelangt und die Hilfe schien fast nur noch eine Frage der Zeit zu sein, aber wie diese Frau hieß, wollte ihm einfach nicht aus dem Kopf gehen. Sie hatte etwas an sich. Etwas, was ihm irgendwie befremdlich und vertraut zugleich vorkam. Hicks hatte noch nie so etwas gefühlt, in seinem ganzen Leben nicht. Nicht bei Haudrauf, nicht bei Astrid und such nicht bei Ohnezahn, der ebenso ratlos war wie Hicks, als er dessen Gefühle verfolgen versuchte.
„Vielleicht solltest du dich erst mal hinlegen und eine Weile darüber schlafen.", schlug ihm der Nachtschatten vor, aber Hicks konnte keinen Gedanken an Schlaf fassen. Er wollte wissen, was es mit dieser Frau auf sich hatte. Immerhin schien sie schon sehr lange mit den Drachen zu leben. Sie sprach zu aller Überraschung deren Sprache. Da war irgendetwas faul. Zumindest vermutete Hicks das.
„Ich werde mich einfach mal im Drachenhort umsehen. Vielleicht kann ich bei anderen Drachen etwas über sie herausfinden und werde so schlauer, was meinst du?" – „Nun Hicks, sollten wir nicht warten, bis wir sie wieder treffen. Immerhin war sie so gastfreundlich zu uns, hat uns eine Höhle angeboten. Wir sollten unser Glück nicht auf die Probe stellen und andere Drachen über sie ausfragen."
Ohnezahn hatte zwar recht, aber Hicks Neugierde überwog. „Ich will doch nur ihren Namen wissen. Vielleicht schnappen wir ihn im Vorbeifliegen auf. Dann ist das kein Ausfragen mehr und theoretisch würden wir nichts Unrechtes tun. Ich bin halt neugierig und wenn man zufällig etwas aufschnappt, kann man doch eigentlich nichts dafür." – „Gut argumentiert, das muss man dir lassen."
Hicks war nicht mehr zu halten, der lief aus seiner Höhle in einen größeren Korridor und breitete seine Schwingen aus, bereit los zu fliegen und sich den Hort etwas genauer an zu schauen.
Nur kurz nachdem er gestartet war, sah er die vielen verschiedenen Drachen, die ihn musterten. Einen Nachtschatten hatte sie schon lange nicht mehr hier gesehen. Einige unter ihnen hatten schon sicher gedacht, sie seien gänzlich vom Angesicht der Erde verschwunden. Und nun wohnte einer mit ihnen Tür an Tür in diesem Hort. Viele waren interessier, andere eher misstrauisch. Konnte man andere Drachen charakterlich gut einschätzen, war vielen das Wesen des Nachtschattens hier verborgen. War er aggressiv? Konnte man mit ihm auskommen? Hielt er sich für etwas Besseres. All das konnte Hicks an ihren Blicken ablesen. Fast schon, als würde er nackt durch ein fremdes Wikingerdorf laufen. Es war ihm nicht ganz geheuer und für einen Moment überlegte er, wieder zurück in seine Höhle zu fliegen. Doch die Neugier siegte auch hier. Der verwandelte Wikinger versuchte einfach so gut es ging, die Blicke der anderen Drachen zu ignorieren.
Nach einigen Minuten eröffnete sich ein großer Lichtkegel vor ihnen. Sie waren wieder in diesem riesigen Dom aus Eis, den der große Überwilde geschaffen hatte. Viele Drachen tummelten sich hier, rasteten an heißen Quellen oder unterhielten sich über das neuste Geschehen im Hort. Man konnte Drachenkinder von einer Ecke in die andere fliegen sehen. Sie maßen ihre Kräfte untereinander. Manche Nadder spiegelten sich in Pfützen und in einem anderen Winkel konnte man flüsternde Tode sehen, wie sie neue Gänge und Höhlen für neue Drachen in den Fels schlugen.
Hicks war begeistert von diesem Ort. So viele Drachenarten beieinander in Frieden und Harmonie. Das hätten nicht mal die meisten Wikingerstämme untereinander vollbringen können. Eher schlugen die sich die Köpfe ein und zettelten einen Krieg nach dem anderen. So langsam kamen Hicks Zweifel, ob die Menschen wirklich so zivilisiert waren, wie sie immer vorgaben. Hier ging es weit menschlicher zu, als in den meisten Wikingerdörfern im ganzen Norden.
„Da ist ein guter Landeplatz. Da sind einige Drachen, mit denen du sicher reden kannst.", schlug Ohnezahn vor. „Stimmt. Ich kann sicherlich was dort aufschnappen.". Hicks setzte zur Landung an und fasste wieder festen Boden unter den Füßen.
Er befand sich auf einem Felsvorsprung. Einhundert Meter ging es hier herunter an bewachsenen Gesteinshängen. Hier oben hatten sich gut drei Dutzend Drachen platziert, die ein wenig um Schmelzwasser tranken und sich über die neusten Sachen im Hort unterhielten. Und Hicks gehört eindeutig zu den Gesprächsthemen. Er konnte es flüstern hören. Wie es schien, war er eine kleine Berühmtheit im Hort, bevor er es schon wusste. Einige Drachen beäugten ihn schon wieder misstrauisch, aber Hicks ließ sich nichts davon anmerken, schritt selbstbewusst voran und suchte ein wenig Kontakt zu den anderen. Es schwieg aber alles. So richtig wollten die anderen ihre Blicke von ihm nicht lösen.
„So jetzt lasst den Nachtschatten doch mal in Ruhe. Schließlich bin ich auch hier der einzige Skrill. Ihr seid ja wie Menschen, die einen Drachen im Käfig anstarren."
Ein junger Drache löste sich aus der Menge und Schritt auf den jungen Nachtschatten zu. Hicks wurde erst ein wenig mulmig zu Mute, hatte er vom Skrill bisher nur negatives gehört. Auch Ohnezahn schien sich ein wenig anzuspannen. Doch die Sorgen Beider waren unbegründet.
„Hallo. Du scheinst ja schon eine kleine Berühmtheit hier zu sein. Alle im Hort sprechen von dir. Aber das ist halb so schlimm. Drachen reden viel, wenn der Tag lang ist. Ich bin übrigens Zirras. Bin seit zwei Jahren hier und meines Zeichens der einzige Skrill in diesem Hort. Glaub mir. In den ersten Tagen wurde ich hier auch so angestarrt, wie du jetzt eben. Komm hier herüber und nimm erst mal etwas von dem Schmelzwasser hier. Du siehst ein wenig durstig aus."
Hicks folgte dem Skrill einfach. Scheinbar konnte man ihm fürs erste vertrauen. Für ein kleines Gespräch würde es auf jeden Fall reichen.

Der Fluch des NachtschattensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt