Die Drachenwächterin

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Der nächste Morgen brach an. Hicks hatte es sich in der Höhle gemütlich gemacht und schlief seit dem Beginn der Reise wieder gut durch. Es hatte ihm viele Nerven gekostet. Immer wieder hatte er darüber nachgedacht, wie es wäre, aus dem Drachenhort abgewiesen zu werden. Nicht einmal in die Nähe des großen Überwilden zu kommen, um überhaupt eine Chance zu kriegen.
Doch nun hatten er und Ohnezahn es geschafft. Bald würde sie dem König aller Drachen gegenüber stehen und ihr Anliegen vortragen. Die Hoffnung war wieder ein Stück näher gerückt und wer weiß. Vielleicht würde all das hier schon sehr bald ein gutes Ende nehmen.
Einen Punkt gab es aber zu bedenken. Hicks war lange Zeit ein Drachentöter gewesen. Es war durchaus wahrscheinlich, dass der Alpha ihn lieber umbringen, als retten würde. Ob Ohnezahn dabei mit sterben würde, konnte der verwandelte Wikinger nicht sagen. Sicherlich würde ein in Rage geratener Drache auch das übersehen. Auch ein so großer und weiser wie der Überwilde. Es stand immer noch auf Messers Schneide und Hicks konnte sich keine Fehler erlauben. Es könnte sein Ende bedeuten und Ohnezahns gleich mit. Das würde er sich nie verzeihen.
Hicks drehte sich um und öffnete die Augen. Der Tag musste schon fortgeschritten sein. Zumindest konnte er die Laute anderer Drachen vor seiner Höhle wahrnehmen. Die Unterschiedlichsten Klänge erfüllten seine Ohren. Laute, die er nicht mal Drachen zuordnen konnte. Es waren sicherlich mehr Spezies hier vertreten, als in allen Drachenbüchern, die je geschrieben wurden, zusammen. Hunderte verschiedenste Arten, die friedlich miteinander lebten und sich nicht bekriegten. Da konnten sich so manche Wikinger eine Scheibe abschneiden, so viel stand fest.
Dann weiteten sich auf einmal die Augen des Nachtschattens, als er eine Figur mitten im Raum sah. Es war diese komische Drachenwächterin. Sie hatte ihre Maske abgenommen und schaute Hicks mit ihren tiefgrünen Augen an, als gäbe es nichts anderes auf dieser Welt.
Das bereitete dem verwandelten Wikinger ein wenig unbehagen. Klar wurde er immer noch von manchen Wikingern auf Berk schief angeschaut, aber so einen durchbohrenden, inspizierenden Blick, hatte nicht einmal Astrid drauf. Und das will was heißen. Als ob diese Frau gegenüber ihm jede seiner Schuppen einzeln abzählen wöllte. Eine komische Drachenwächterin, da musste Hicks nicht viel weiter nachdenken.
Vielleicht sollte er einfach zurückstarren. Mal sehen, wie sie dann reagieren würde, denn bisher stand sie einfach nur da und rührte raum einen Muskel. Nur das Auf und Ab ihres Brustkorbes verriet Hicks, dass sie überhaupt noch lebte. Wie konnte man auch so still dastehen?
Der Nachtschatten fixierte sie ebenfalls mit seinen Augen und versucht in diesem Blickwettbewerb die Oberhand zu gewinnen. Aber die Frau schien sich nicht mal dafür zu interessieren. Ihren Pupillen konnte Hicks entnehmen, dass sie langsam von Kopf bis zu seiner Schwanzspitze alles inspizierte und das auf das Gründlichste. Als hätte diese erfahrene Drachenwächterin noch nie einen Nachtschatten gesehen. Doch müsste sie Ohnezahn gekannt haben. Merkwürdig. So etwas hatte Hicks wirklich noch nie erlebt. Sie schaute sich seine Flügel an, um sich darauf wieder seiner Beschuppung zu widmen.
Jetzt reichte es Hicks. Knurrend und schnaubend signalisierte er Frau, dass er gar nicht darauf erpicht war, so angestarrt zu werden.
Und es zeigte tatsächlich Wirkung. Die Frau bewegte sich ein wenig und musste leicht schmunzeln. Wie bitte schmunzeln? Das war nun nicht gerade das, was sich Hicks gewünscht hatte, doch zeigte sie jedenfalls ein Zeichen, dass sie sich noch bewegen konnte.
„Du hättest mir auch sagen könne, dass du es nicht magst, von mir inspiziert zu werden. Du musste wissen, Nachtschatten, dass ich sehr gerne Drachen inspiziere, die ich noch gar nicht, oder sehr selten gesehen habe."
Ernsthaft? Die Frau redete mit ihm? Ja klar, wo sie doch Drachen sicher ganz genau verstehen konnte. Hicks musste ein wenig belustigt glucksen. „Ja vor allem sagen, als ob du mich verstehen könntest.", gab er von sich und die Drachenwächterin nickte.
„Ja natürlich kann ich dich verstehen. Der große Überwilde hat mir schließlich die Gabe geschenkt, mit allen Drachen reden zu können. Manchmal kommen sie auch zu mir, damit ich ihnen zuhören kann." Hicks war noch in seiner Phase, die ihm nicht glauben machen wollte, dass diese Frau tatsächlich Drachen verstehen würde.
Erst nach einer Minute machte es Klick. Die frau verstand ihn wirklich und das noch perfekt. Sie konnte seine Gedankensprache lesen. Was war das denn für eine Hexe?
Mit großen Augen starrte Hicks die Frau an und wusste nicht recht, wie er diese Situation einschätzen sollte. Er hatte schon so viel Sonderbares gesehen, aber ein Mensch, der sich mit Drachen unterhalten kann? Nein das konnte es doch nicht geben.
„Also du kannst mich verstehen. Na toll. Gibt es etwa noch mehr, was ich wissen muss?" – „Eigentlich nicht. Ich bin die Drachenwächterin und du bist ein Nachtschatten. Hast du eigentlich einen Namen?" Hicks war ein wenig skeptisch. Sollte er ihr seinen Namen preisgeben? Eher nicht. Also sponn er sich schnell was zusammen: „Ich...ich heiße Nachtschwinge." – „Also gut Nachtschwinge. Ein weiblicher Vorname für einen männlichen Nachtschatten. Habe ich auch noch so nicht gehört. Aber gut. Ich muss jetzt weiter. Schau dich erst einmal im Hort um. Hakenzahn wartet schon auf dich, denn er wird dir alles zeigen." Mit einem Grinsen verließ die Drachenwächterin Hicks Höhle und verschwand. Dabei wollte Hicks noch nach ihrem Namen fragen.

Der Fluch des NachtschattensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt