Fütterungszeit

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„So lange ist sie schon hier?" Hicks war erstaunt, dass ein Mensch schon so lange unter den Drachen leben konnte. Einige würden doch komplett wahnsinnig werden. Um ehrlich zu sein, wenn der verwandelte Wikinger seine Gedanken durchwühlte und sich an die erstem Momente mit dieser komischen Drachenlady erinnerte, hatte die Frau schon einen Schuss weg gehabt. Nicht, dass sie wahnsinnig oder verrückt wäre, aber die Frau hatte ihren Verstand wohl am Eingang zu diesem Drachenhort verloren.
Zirras nickte: „Sehr lange und sie kümmert sich liebevoll um alle Drachen. Man kann sie fast wie eine gute Freundin sehen. Einige Drachen erkennen sie fast sogar als ihre Mutter an. Sie scheint immer ein offenes Ohr für die Drachen zu haben und umsorgt die verletzten. Vor allen, seitdem die Drachenjäger immer mehr unserer Artgenossen verschleppt haben. Wenn du mich fragst ist das was ganz Großes am Laufen."
Der Nachtschatten legte seinen Blick schief. „Drachenjäger? Ich kenne diese Sorte von Menschen. Ich habe mal eine Insel überflogen, da haben die haufenweise ihre Schiffe vor Anker gelegt. Die haben ja noch nicht mal bemerkt, dass ihnen die Wikinger zu wenig Wechselgeld gegeben haben."
Doch jetzt war es der Skrill der Hicks verwundert anschaute. „Was in aller Welt ist denn Wechselgeld?"
Hicks musste das Thema ändern, denn der Drache ihm gegenüber sollte keinen Verdacht schöpfen. Er würde schon genug Ärger bekommen, wenn er vor den großen Überwilden treten würde. Ob er da leben überhaupt rauskommen würde, war fraglich.
„Ist...ist nicht so wichtig. Mal eine andere Frage. Wo gibt es hier eigentlich Fisch. So langsam bekomme ich Hunger." Der Skrill schaute ihn erst skeptisch an, beantwortete die Frage seines Gegenübers und wies ihm die Richtung. „Dort unten gibt es einige Meeresarme, die bis in den Hort hineinreichen. Dort kannst du dir einige Fische herausfangen, wenn du aber noch ein wenig wartest, kannst du zur großen Fütterung mitfliegen. Da wirst du definitiv schneller satt, als so."
„Wenn du meinst." Trotz dessen, dass Hicks Magen bald gen Walhalla reisen würde, wenn er nicht bald etwas zwischen die Zähne bekäme, geduldete er sich noch ein wenig. Denn wie Zirras davon schwärmte, musste die Fütterung viel für die Drachen abwerfen. Wie das wohl ablaufen würde?
Hicks hatte nicht bemerkt, dass immer mehr Drachen ein Auge auf ihn geworfen hatten. Immer noch mit misstrauischen Blicken und unüberhörbarem Gemurmel, tauschten sie die irrsinnigsten Gerüchte über ihn aus. Die feinen Ohren des Nachtschattens nahmen einiges davon auf, aber Hicks versuchte, es weitestgehend zu ignorieren. Ihm fiel es nicht leicht. So viele Drachenstimmen hatte der verwandelte Wikinger noch nie in seinem Leben gehört. Es könnten an die hundert gewesen sein und alles drehte sich um ihn. Das sollte er einige Tage aushalten? Na gute Nacht. Vielleicht sollte er sich einfach für die nächste Woche in seiner Höhle verstecken, aber was würde das bringen? Die Zeit würde vergehen und die Drachen reden weiter und zudem könnte er es vielleicht zu spät zu dem großen Überwilden schaffen. Hicks wollte ja bis zum Wintereinbruch wieder bei Astrid und den anderen Wikingern sein.
Astrid, sie würde sich sicher große Sorgen um ihn machen. Vielleicht weint sie sogar. Hicks konnte sich zwar nicht vorstellen, dass Astrid weinen könnte, aber möglich wäre es. Die harte Kriegerin hat ihre zarten Seiten, was sie schon des Öfteren bewiesen hat. Vielleicht würde sie die eine oder andere Träne vergießen. Aber Nachtklaue würde sie sicher trösten. Der junge Nachtschatten hat etwas knuddeliges an sich und man vergaß schnell den Kummer.
Hoffentlich würde er bald wieder der alte sein. Dann könnte er Astrid wieder in die Arme schließen und ihr sagen, wie sehr er sie liebte.
„Nachtschwinge? Hallo, noch geistig anwesend?" Zirras holte den verwandelten Wikinger wieder aus seinen Gedanken, während sich andere Drachen schon auf den Weg nach draußen machten. „Was, was ist denn jetzt los?", fragte Hicks verwirrt. „Die Fütterungszeit geht los. Komm schnell, oder willst du den Rest des Tages hungrig bleiben?" Mit diesen Worten stieß sich der Skrill vom Boden ab und erhob sich in die Lüfte. Nur kurze Zeit später folgt ihm Hicks und die beiden Drachen machten sich mit tausenden anderen auf zu den Gewässern vor dem Drachenhort. Der Überwilde, der eben noch an seinem Platz hockte und zu schlafen schien, war nicht mehr da. Vielleicht würde er es sein, der die Fütterungszeit einleiten würde. Hicks konnte sich aber dessen nicht sicher sein. Er würde abwarten und schauen, was kommen würde.

Der Fluch des NachtschattensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt