Der Drachenhort I

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Es wurde nebelig um sie herum. Je näher sie sich ihrem Ziel näherten, desto schlimmer wurde es mit der Sicht. Als ob man diesen Ort nicht finden sollte, legte sich ein weißer Schleier über die Spiegelglatte See und verbarg jene Felsen, an denen schon etliche Schiffe ihr Ende gefunden hatten. Kein Wellenrauschen, keine Laute von Drachen, als wäre dieser Ort von den Göttern verlassen worden. Hicks konnte sich nur schwer vorstellen, dass es hier sein würde, wo er sich Erlösung von seinem Fluch erhoffte. Aber Hakenzahn und Ohnezahn machten ihm Mut. Diese Lage soll nur Drachenjäger abschrecken, damit sie sich ja nicht zu nahe an den Hort heran wagen.
Plötzlich stoppte der Riesenhafte Albtraum und setzte sich auf einen der spitzen Felsen, die mitten aus dem Meer hervorragten.
„Was ist?", frug Hicks, als er sich zu dem großen Drachen gesellte. Der schien skeptisch zu sein und schaute sich überall um, als würden sie verfolgt werden.
„Bleibt hier. Ich werde vorfliegen und die Lage auskundschaften. Es kommt nicht sehr oft vor, dass ein Nachtschatten den Drachenhort betritt. Ich werde erst die Wächterin des Hortes informieren. So lange wartet ihr hier auf dem Felsen, damit ich euch wieder finden kann."
Jetzt war Hicks ein wenig verwirrt: „Es gibt eine Wächterin?" – „Ja. Sie untersteht direkt dem großen Überwilden und entscheidet meist, wer in den Hort darf und wer nicht. Aber ich werde mir da keine großen Sorgen machen. Sie ist sehr hilfsbereit und wird euch sicher reinlassen. Wartet hier!"
Mit diesen Worten flog Hakenzahn weiter und verschwand alsbald darauf im Nebel.
„Das mit der Wächterin hättest du mir erzählen sollen, Ohnezahn." Hicks war etwas verwundert. Gleichzeitig war er ein wenig enttäuscht darüber, dass ihn sein Freund nicht darüber aufgeklärt hatte.
„Tut mir leid. Die Wächterin lässt eigentlich jeden Drachen durch, der Hilfe braucht, als habe ich mir da keine großen Gedanken gemacht, Hicks."
Obwohl Hicks ein wenig sauer war, konnte er schon seinen Freund verstehen. Scheinbar war diese Wächterin eine sehr freundliche Person. Abwarten, wann Hicks ihr begegnen würde.

Hakenzahn drang immer weiter vor, schon bald lichtete sich der Nebel etwas und der steinerne Eingang des Drachenhortes wurde sichtbar. Wenn es klar wurde, konnte man das ganze Ausmaß der eisigen Festung erst richtig begreifen. Fast so hoch, als würde es in die Wolken ragen und von der Fläche einer mittelgroßen Insel.
Er hatte diesen Ort vermisst. Lange war er nicht mehr hier gewesen, bevor er auf die Insel zog, auf welcher Riesenhafte Albträume lebten. Jetzt war wieder hier und genoss den Duft, der ihm entgegen wehte. Der Duft eines sicheren Zuhauses.
Plötzlich konnte er Flügelschläge vernehmen. Ein anderer, größerer Drache gesellte sich zu ihm. Mit vier Flügeln und dem drehbaren Kopf einer Eule konnte es sich nur um einen handeln.
„Wolkenspringer. Du hast mich entdeckt?" Der andere Drache gluckste vor Freude. „Natürlich. Deine Flügelschläge höre ich zehn Meilen gegen den Wind, oder hast du das etwa vergessen, mein Freund." Der Riesenhafte Albtraum brummte erfreut zurück und ließ sich etwas zurückfallen, um gleichauf mit seinem alten Freund zu sein.
„Und wie geht es dir, Ich habe dich seit dem großen Auszug der Albträume nicht mehr gesehen. Was machst du jetzt und warum bist du hier? Willst wohl einen alten Freund aus Kindertagen wieder besuchen."
Der Drache stutzte: „Nein deswegen bin ich nicht hier und gut geht es mir auch nicht sehr, denn ich habe Probleme, sehr sehr große Probleme, die ich mit der Wächterin und dem Überwilden klären muss. Es geht um die neue Heimat meiner Art."
Der Sturmschneid machte große Augen: „Was ist denn passiert?" Wolkenspringer war sich sicher gewesen, dass die Insel, die sie damals ausgesucht hatten, fernab der Handelsruten von Drachenjägern lag. Aber scheinbar war etwas vorgefallen, worüber der große Überwilde unterrichtet werden musste.
„Wir wurden von Drachenjägern angegriffen. Aus dem Hinterhalt haben sie uns einfach überrannt. Zahlenmäßig waren sie uns überlegen und sie hatten andere Drachen unter ihrem Kommando, die für sie kämpften."
„Was?!" Wolkenspringer war fassungslos. Beinahe hätte er aufgehört, mit den Flügeln zu schlagen. „Drachen, die auf der Seite von Drachenjägern kämpfen? Wo gibt es denn sowas? Wie ist das möglich?"
Hakenzahn schüttelte nur mit seinem Kopf. „Ich weiß es nicht, aber es gibt noch mehr. Du musst die Wächterin des Hortes holen. Wir haben einen etwas speziellen Drachen draußen vor dem Eingang, der ein sehr kompliziertes Problem hat. Nur der Überwilde kann ihm helfen, denn seine eigene Magie ist zu schwach."
„So so." Kam es von Wolkenspringer, der schon auf die nächste ungewöhnliche Nachricht von seinem Freund wartete. „War das alles, oder kommt jetzt noch ein neuer roter Tod, der sich wieder in dem Vulkan südwestlich von hier eingenistet hat." – „Nein das war es eigentlich mit den Nachrichten." – „Gut, dann werde ich Valka holen. Warte hier, bis ich wieder zurück bin. Dann holen wir erst einmal diesen Drachen hier rein und anschließend wirst du dem Großen Überwilden berichten. Das mit den Drachenjägern ist ein ernstes Problem und vor allem festigt es einen schlimmen Verdacht, den die Drachenwächterin und ich schon seit Langem hegen. Wenn sich das bestätigt, könnte der gesamte Hort in Gefahr gebracht werden."
Hakenzahn setzte sich auf einen Felsvorsprung, während Wolkenspringer Valka holte. Die ahnte nicht, was noch auf sie zukommen würde.

Der Fluch des NachtschattensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt