Meine Mutter

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„Das hätte ich nicht erwartet." Als sich Hicks satt wieder in seine Höhle im Drachenhort begab, war er bis oben voll mit Fisch. Noch nie in seinem Leben hatte er so viel von dem Zeug gewesen. Für ihn war es ein Wunder, dass er sich mit so einem vollen Magen überhaupt in der Luft halten konnte.
„Der Alpha kann sowas. Er durchschwimmt für einige Minuten die Tiefen der Meere und sammelt mit seinem riesigen Maul die Fische ein. Die Drachen brauchen nur noch zu zuschlagen und werden schnell satt.", gab Ohnezahn aus den Gedanken von sich.
„Schon sehr interessant, wie die Drachen hier leben." Hicks hatte es sich auf seiner Steinplatte gemütlich gemacht und wollte fürs Erste ein kleines Schläfchen halten, aber die Ruhe war ihm nicht lange vergönnt. Er wollte gerade in das Land der Träume abtauchen, da wurde er von der Berührung einer Menschenhand wieder geweckt.
„Was ist denn jetzt los?" Hicks schmatzte und schaute sich um. Lange dauerte es nicht, bis er feststellte, dass diese verrückte Drachenlady wieder in seiner Höhle war. Was die wohl wieder wollte, fragte sich der verwandelte Wikinger, als er sie genervt anstarrte. Eigentlich wollte er jetzt schlafen und sich ein wenig an seine Astrid und das neu errichtete Dorf erinnern, aber der Drachenhort schien nie zu schlafen. Und vor allem nicht diese komische Frau. Was wollte sie bloß von ihm? Hatte sie noch nie einen anderen Nachtschatten gesehen? Hicks schwor sich, nachdem das Problem mit der Verwandlung gelöst sein würde, die Frau ordentlich auszufragen.
„Habe ich dich gestört?" Die Drachenfrau schaute Hicks freundlich an und wollte ihn über die Flanke streicheln. Der Nachtschatten zuckte weg, stand auf und begab sich in die andere Ecke seiner Wohnhöhle.
„Musst du immer gleich alles anfassen, wenn es mit Drachen zu tun hat?", kam es genervt von Hicks. Er mochte es nicht, einfach so an gegrapscht zu werden, wie sie es mit anderen Drachen tat. S etwas macht man doch nicht, ohne vorher zu fragen.
„Es tut mir Leid. Ich wollte dich nicht kränken." Die Frau mit den braunen Haaren nahm ihre Hand zurück und setzte sich im Schneidersitz vor Hicks.
„Erzähl mal Nachtschwinge. Wie hast du den Drachenhort hier gefunden und was willst du eigentlich vom großen Überwilden?" – „Du bist ganz schön neugierig, was?" Hicks war zwar neugierig, was die Dame anging, aber dass sie ihn den Schlaf geraubt und betastet hat, wie einen Hundewelpen, nahm er ihr doch noch ein wenig übel.
„Nun ich muss schon wissen, wo du herkommst. Die Drachenjäger nehmen immer mehr zu und bald weiß ich nicht mehr, was ich tun soll. Ein Nachtschatten ist da schon was ganz besonderes, denn die wurden sehr gerne gejagt." Der Blick der Frau senkte sich und eine Träne floss aus ihrem linken Auge. „Ich weiß langsam nicht mehr, was ich tun soll, deswegen." Das erweichte Hicks das Herz. Er nahm eine andere Position ein und betrachtete die Drachenfrau mit Sorge. Das schien ihr sehr nahe zu gehen.
„Was ist los?", fragte Hicks besorgt.
„Ich will wissen, ob du wegen der Drachenjäger hier bist und den großen Überwilden deswegen um Hilfe fragen willst." Hicks wartete mit der Antwort. Auch Ohnezahn konnte nicht gleich etwas sagen, aber der Nachtschatten in den Gedanken des anderen hatte eine Idee: „Wir sagen ihr erst mal nicht die Wahrheit. Wir schweigen." – „Macht sie das nicht nur noch neugieriger? Ich kann diese Frau nicht sehr gut einschätzen.", warf Hicks zurück. „Du bist ein ehemaliger Drachenjäger und noch einer der tödlichsten überhaupt. Wir sollten unser Glück nicht überstrapazieren."
Ohnezahn hatte Recht. Wenn sie jetzt alles preisgeben würden, könnte eine Rückverwandlung ins unmögliche rücken. Hicks sammelt sich und begann mit der Drachenfrau zu reden: „Ich kann dir sagen, dass es nichts mit Drachenjägern zu tun hat. Aber kann ich auch nicht mit dir sprechen, weswegen ich eigentlich hier bin. Bitte verstehe das, das ist eine Angelegenheit zwischen mir und dem großen Überwilden."
Valka senkte ihren Blick: „Ich verstehe schon. Du gibst nicht gerne Preis, was du willst und wer du bist. Sei trotzdem weiter willkommen in diesem Hort. Wir sind wie eine große Familie, wenn du verstehst. Halte dich deswegen fern von den Drachenjägern, falls du uns wieder verlassen willst. Jeder Drache ist für mich, wie ein Familienmitglied und ich will nicht wieder welche verlieren." – „Was heißt wieder?", hakte Hicks nach. Er legte den Kopf schief und versuchte sich in diese Frau hineinzuversetzen.
„Nun ich war mal eine Frau in einem Wikingerstamm. Wir töteten Drachen, doch ich wollte immer, dass dieses Schlachten ein Ende haben könnte. Ich wollte die Drachen erforschen und ihnen helfen, aber ich hatte einen Ehemann und einen Sohn, der damals noch ein Baby war. Wir waren eine kleine, glückliche Familie. Doch eines Abends, brach ein Drache in unser Haus ein. Genau in das Zimmer meines Sohnes. Erst dachte ich, dass alle Recht hatten und ich in meinem Unrecht bestätigt werden würde. Als ich aber in dem Zimmer meines Sohnes ankam, da sah ich, dass der Drache meinem Kind nichts angetan hatte. Er betrachtete die Wiege und machte nicht einmal den Eindruck, als ob er meinen Sohn etwas hätte antun wollen. Ich ließ mein Schwert sinken und wollte mich zu den beiden gesellen, da kam mein Mann ins Zimmer gestürmt. Bis an die Zähne bewaffnet wollte er den Drachen erlegen, aber konnte fliehen und nahm mich dabei mit. Dieses Drachen hast du auch schon gesehen. Es ist Wolkenspringer. Meine alte Familie habe ich nie wieder gesehen. Es war auch vermutlich besser so, denn ich gehörte nicht richtig in dieses Dorf. Lieber sollte mein Junge nicht wissen, wer seine Mutter genau war. Und sein Vater, er sollte das nächste Stammesoberhaupt werden, eine Frau, die die Drachen beschützt wäre wohl sehr fehl am Platz gewesen."
Die Drachenlady beendete ihre kleine Erzählung. Hicks hatte währenddessen aufmerksam zugehört und verstand, warum diese Frau so traurig war. Den Sohn nie wieder zu sehen und den Mann, den sie allen Anschein nach auch liebte.
„Das muss dir immer noch sehr nahe gehen, oder?", kam es von Hicks, der sie nun mehr verstehen konnte. Die Drachenfrau nickte nur und machte keine weiteren Anstalten. Sie stand auf und lies den Kopf hängen. „Ja, aber hier ist mein neues zu Hause. Von hier aus kann ich mit dem großen Überwilden die Drachen retten, die den Jägern tagtäglich zum Opfer fallen. Von hier aus planen wir unsere Angriffe auf deren Flotten."
Dann stand sie aus ihrem Schneidersitz auf und lief zum Ausgang. „Ich muss noch etwas mit dem Alpha bereden. Ich denke mal, dass er in einigen Tagen Zeit für dich haben wird."
Sie wollte gerade aus der Höhle gehen, da frug sie Hicks noch etwas: „Wie ist eigentlich dein Name?" Die Drachenfrau drehte sich um und sagte kurz: „Valka Haddock." Dann stürzte sie sich vom Felsvorsprung, landete auf Wolkenspringer und beide flogen in Richtung der Haupthöhle.
Hicks blieb währenddessen wie angewurzelt stehen. Nein, das konnte nicht sein. Aber die Geschichte passte. Vor etwa 20 Jahren wurde seine Mutter von Drachen entführt.
Ein merkwürdiges Gefühl aus Verwunderung, Überforderung, Angst und Glück strömte durch seinen Körper. Auch Ohnezahn entging es nicht.
„Hicks, kennst du sie etwa?" – „Ja, Ohnezahn. Diese Frau ist meine Mutter!"

Der Fluch des NachtschattensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt