Der erste Tag

1.1K 61 2
                                    

Die ersten Sonnenstrahlen brachen durch das Fenster und erleuchteten langsam das Zimmer. Hicks hatte sich noch immer zusammen gerollt und behütete Astrid sanft in ihren Träumen. Der verwandelte Nachtschatten hatte seine Flügel um sie gelegt und bedeckte das blonde Wikingermädchen damit, während sie sich immer noch fest an seinen Bauch kuschelte. Sie schlief immer noch tief und fest, als Hicks schon seine Augen lange offen hatte. Schon seitdem die Sonne über dem Horizont stand, konnte er nicht mehr schlafen. Nicht aber, dass er schlecht geschlafen hätte und jetzt müde war. Nein. Irgendwie war diese Nacht, die erholsamste, die er jemals in seinem Leben bisher hatte. Noch nie hatte er so gut geschlafen, wie letzte Nacht. Vielleicht lag es einfach daran, dass er ein Nachtschatten war. Wahrscheinlich hatten Drachen nun mal solch einen guten Schlaf. Doch auch etwas anderes schien ihm aufgefallen zu sein.
Während Astrid sich immer noch zusätzlich in eine Decke kuschelte, lag er einfach hier auf dem kalten harten Boden und konnte trotzdem den besten Schlaf, seit er denken konnte, genießen. Ein wenig komisch kam ihm das schon vor, doch machte es schnell klick. Als er damals den getöteten Nachtschatten seziert hatte, musste sich das Messer durch ein dickes Unterhautfettgewebe schneiten, ehe er auf die Muskeln traf. Es schien fast so, als ob dieses Gewebe den Drachen von innen heraus warm hielt, ihn vor Unterkühlung schützte und noch polsterte. Er konnte ja schließlich hier einfach so da liegen und schlafen, während er merkte, dass Astrid an seinem Körper leicht zu zittern begann. Für sie musste es frisch sein. War ja auch klar, wenn der Herbst vor der Tür stand und schon jetzt nie Nächte unter Null gingen. Aber ein Nachtschatten schien damit keine Probleme zu haben. Wohl ein Vorteil, der sich aus der Verwandlung zog.
Aber erst jetzt wurde er aus den Gedanken gerissen, als er endlich merkte, dass Astrid fror. Ohne zu zöger, rückte er wieder ein wenig an sie heran und drückte vorsichtig seinen Flügel an sie. Sie sollte ja nicht ersticken. Mit einem Lächeln auf dem Gesicht, senkte der Drache wieder seinen Kopf und Hicks versuchte noch ein wenig zu dösen, während Astrid immer noch schlief. Es schien ihm schon zu gefallen, wie er jetzt auf seine Freundin aufzupassen vermochte. Er konnte sie behüten, wie er es vorher noch nie vermutet oder erträumt hätte. Wie sie sich an ihn schmiegte, um etwas von seiner Körperwärme ab zu bekommen. Das Bild würde sicher ewig in seinem Gedächtnis bleiben.
„Scheint dir ja zu gefallen, wie es so ist, ein Drache zu sein.", kam es auf einmal aus seinen Gedanken heraus. Wie es schien, sprach der erlegte Drache, welcher sich ja in seinen Gedanken fest gesetzt hatte, wieder mit ihm, wobei er während der Verwandlung wohl eher einen Rückzieher gemacht hatte. „Was. Nein! Ich will wieder ein Mensch sein! Wie kannst du nur es wagen, so zu reden Drache!", schrie er förmlich in Gedanken, denn er wollte Astrid nicht unbedingt aufwecken. „Warum hast du dann aber solche Glücksgefühle förmlich ausgeschüttet. Vergiss nicht Hicks. Ich bin in deinen Gedanken und wenn du etwas empfindest, spüre ich es auch. Es war Freude und ein kleiner Hauch von Glück der doch da gerade deine Seele durchströmte, also lüge mich nicht an!", sagte der Nachtschatten eher streng zu ihm. Doch Hicks ließ sich nicht klein kriegen. Es hatte ihm schon ein wenig Glück bereitet, wie er Astrid umringte und sie warm hielt, doch wollte er es auf keinen Fall vor dem Nachtschatten zugeben. „Nein niemals. Ich hasse diese Gestalt. Ich will wieder ein Mensch werden und auch ohne deine Hilfe, die du mir sicher nicht geben wirst, werde ich das schon schaffen." - „Dann sag doch was du willst. Deine Gedanken lügen nicht.", gab der andere in seiner Seele wieder von sich, als ob es ihn nicht weiter interessierte, als Hicks seine eigenen Gedanken leugnete. Für ihn war der ehemalige Drachentöter ein offenes Buch, was man nur lesen musste. Und das tat der Nachtschatten intensiv. Er wollte sich von seinem Wirt ein klares Bild schaffen.
„Und übrigens..", kam es jetzt überlegen von Hicks Seiten aus, „...mich haben alle Dorfbewohner akzeptiert, so wie ich bin, denn sie haben meine Verwandlung gesehen. Alle. Un mein Vater liebt mich auch noch genau so wie meine Astrid in meinen Schwingen hier. Was sagst du nun. Nachtschatten!" - „Ich weiß. Ich bin ja nicht dumm. Und es hat mich persönlich überrascht, dass sie dich angenommen haben. Doch für meinen Teil würde ich mich nicht zu früh freuen. Irgendwann werden es andere heraus finden und dann werden andere Wikinger von verschiedenen Inseln kommen, um einen zahmen Schmusedrachen, wie du es gerade bist zu erlegen. Nicht nur du verfolgst das Ziel, einen Nachtschatten zu töten, Hicks. Es gibt auch andere Wikinger, die dir nur zu gerne, das Herz heraus schneiden wollen. Und irgendwann wird der Tag kommen, an dem du gejagt werden würdest." - „Das werden wir noch sehen. Drache!"
Dann keine Antwort. So schnell, wie diese Stimme gekommen war, so verschwand sie auch wieder. Hicks hatte es wohl überstanden. Musste dieser Nachtschatten auch einem immer den Moment vergraulen, dachte sich der ehemalige Mensch und ließ es sich durch seine Gedanken gehen. Ihm war es scheiß egal, dass der Geist dieses Drachens da jetzt mithörte. Er wollte sich die Sache nur ruhig durch den Kopf gehen lassen, bis er doch zu einem Entschluss kam. In gewisser Weise hatte der Nachtschatten nicht ganz unrecht. Es gab ja da noch die Berserker und nicht zu vergessen Dagur, der ja diese Art von Drachen am liebsten über seinen Kamin aufhängen wollte. Da wurde Hicks schon so einiges Klar. Er musste Haudrauf dazu überreden, dass jeder Wikinger auf Berk so eine Art Schweigeurkunde unterzeichnen müsste, dass niemand auch nur ein Wort verlieren würde, dass Hicks jetzt ein Nachtschatten war. Ja genau. Als eine Art Vorsorge.
Und wenn auch immer jemand im Dorf neu war oder Besucher kämen, müsste er sich verstecken. Das wäre aber nicht das Problem gewesen, nicht für Hicks jedenfalls. Wenn er so weiter auf Berk leben könnte, ohne auch nur gestört zu werden, wäre das völlig in Ordnung. Hier hatte er doch alles. Seinen Vater, seine Freunde und vor allem seine Astrid, die er um alles in der Welt liebte. Zwar würde es wohl mit der Familiengründung etwas schwierig werden, doch Hicks würde da sicher schon noch eine Lösung finden. Wenn es unbedingt notwendig wäre, würde er sich auch diese magischen Fähigkeiten antrainieren und Astrid verfluchen. Natürlich nur mit ihrem Einverständnis. Hicks war ja gerissen und wenn er ein Ziel unbedingt erreichen wollte, dann konnte er das auch. Schließlich hatte er es auch zu einem schwarzen Tod gebracht. Und die wurden überall gefürchtet und geachtet. Warum sollte er auch nicht die Drachenmagie erlernen können. Er müsste nur noch diesen Drachen herum bekommen, damit er ihm das lehren würde. Und Hicks wusste schon wie, aber dachte er den Gedanken nicht ganz zu Ende. Einerseits wollte er nicht, dass der Drache davon etwas mit bekam und zum anderen räkelte sich etwas an seinem Bauch, was ihn leicht kitzelte.
Schnell richtete er seinen Kopf wieder auf, drehte ihn in die Richtung, woher die Bewegung kam und konnte Astrid erblicken, wie sie sich ein wenig streckte und blinzelnd, langsam die Augen öffnete. Ein süßes Bild, wie Hicks fand, denn ihre losen Haare lagen ihr überall im Gesicht herum und standen teilweise ein wenig ab. Ein Zeugnis davon, wie fest sie sich an ihn gekuschelt hatte.
„Gurrrr!", machte Hicks nur. Er wusste, dass er sie zwar verstehen konnte, jedoch verstand sie wiederum keine Drachensprache. Und in den Fußboden wollte er auch nichts ritzen, denn er wusste, dass er dann Ärger mit seinem Vater kriegen würde, der ihm die wieder die Standpauke hielt, dass er das Haus mit seine eigenen Händen erbaut hat und es nicht beschädigt werden sollte. Hicks hatte schon mal in die Dachbalken was geritzt und dafür riesen Anschiss bekommen. Und verstanden sich Astrid und er eh ohne Worte.
„Dir auch einen guten Morgen Hicks. Und hast du gut geschlafen?" Hicks erwiderte sofort mit einem kräftigen nicken, fragte jedoch auch sie, indem er leicht den Kopf nach vorn stupste. Dabei gurrte er und erhöhte die Tonlage am Schluss, damit es wie eine Frage klang. Astrid verstand sofort diese Geste. Das schien ja auch wirklich gut zu klappen.
„Also ich für meinen teil habe wirklich gut geschlafen Hicks. Habe ja ein wirklich gemütliches warmes Polster neben mir gehabt." Sie musste leicht lächeln. Und selbst Hicks konnte sich ein zahnloses grinsen nicht verkneifen. Moment. Keine Zähne?! Doch schnell erinnerte er sich daran, dass ich im Kiefer des Nachtschattens, den er zerlegte, Muskeln befanden, die die Zähne zum Schutz einziehen konnten. Ohne weiter auf diesen Eindruck zu reagieren, grinste er einfach weiter.
Schließlich befreite sie sich aus ihrer Decke und Hicks legte wieder seine Flügel an. „Nun gut Hicks, dies ist wohl dein erster Tag in deinem neuen Körper.", sagte sie eher etwas bedrückt zu ihm, als sie ihn noch einmal musterte, während sie sich aufrichtete, um in der Waschecke zu verschwinden. Dabei schaute sich Hicks noch einmal an. Ja, es war der erste richtige Tag, den er wohl als Nachtschatten verbringen müsste. Aber na gut. Schließlich musste er das irgendwie meistern, wie er immer einen Tag absolvierte, nur würde sich einiges ändern.
Astrid verschwand schnell in der Waschecke, als Hicks wieder das Kissen und die Decke mit seinem Maul auf das Bett legte und versuchte, es ein wenig zu richten. Zwar mit mäßigem Erfolg gekrönt, doch machte es doch am Ende ein wenig was her.
Als Astrid wieder fertig aus der Ecke zurück kam, schaute sie sofort zu Hicks und musste schmunzeln, als sie sah, wie sich der Nachtschatten bemühte, das Bett zu machen: „Also Hicks, du wirst ja noch ein richtiger Hausdrache, wenn du so weiter machst.", kam es belustigt von ihren Lippen, als sich der Nachtschatten sich umdrehte und sie nur schief anstarrte. Das sah schon irgendwie lustig aus, wenn Hicks das machte. Schon als Mensch konnten seine Blicke manchmal etwas merkwürdig sein. Doch wie er jetzt schaute, konnte man sich einfach nur wegschmeißen.
„Na los Hicks, lass uns Frühstücken!" darauf ließ der Nachtschatten die Bettdecke aus seinem Maul fallen und rannte förmlich die Treppe hinunter. Er hatte völlig verdrängt, wie ihm eigentlich der Magen knurrte. Fast hätte er Astrid dabei umgerissen, die immer noch etwas verwundert an der Treppe stand. Doch auch sie folgte ihrem lieben Nachtschatten, der sich schon unten im Hauptraum positioniert hat.
„Und Hicks, was gedenkst du als Drache, zu dir zu nehmen?" - „Gurrr?" erntete sie jedoch nur als Antwort, denn Hicks wusste auch nicht so genau, was er essen sollte. Immerhin gab es bei ihn als Frühstück immer ein gutes Stück Brot, einen geräucherten Fisch oder gepökeltes Fleisch mit einem frischen Schluck klaren Quellwassers. Und als Drache, hatte er eigentlich Null Ahnung, was er jetzt genau essen sollte, schließlich war das sein allererster Tag als Drache. Doch wie aufs Stichwort, stolperte Haudrauf durch die Haustür, mit einem großen Korb mit frischem Fisch. „Ähm Haudrauf, was willst du denn damit?" - „Dir auch einen guten Morgen Astrid. Na das hier ist für unseren frisch gebackenen Nachtschatten. Hicks muss schließlich auch etwas essen und da die Drachen sich immer über unseren frisch gefangenen Fisch hergemacht hatten, dachte ich mir, Hicks isst das sicher jetzt auch gerne." Mit diesen Worten stieß er den Korb um, sodass die Fische heraus fielen und über den Boden glitten. Einer direkte an Hicks Vorderpranken. Der schaute erst etwas angeekelt zurück. Hicks sollte wirklich einen rohen Fisch essen? Selbst bei dem Gedanken überkam dem jungen Nachtschatten der Brechreiz. Doch als auf einmal seine feine Nase den Geruch des Fisches vor ihm aufnahm, verschwand all dies. Es war der frische Geruch der See und des Salzwasser, der die schleimige haut dieses Meerestieres umgab und ihn für einen Drachen angenehmen Geruch, der bei Hicks großen Appetit auslöste. Schnell war ihm klar, dass hier auch wieder die Dracheninstinkte eine Rolle spielten, also zögerte er nicht lange, schnappte sich den Fisch und ließ ihn seinen Hals hinunter gleiten. Und es schmeckte ihm wirklich, während Astrid nur einen schiefen Blick von sich gab...

Der Fluch des NachtschattensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt