Abschied

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Eine Woche war ins Land gezogen. Die Tauwetterfestspiele waren vorbei und die Wikinger konzentrierten sich wieder darauf, die Felder zu bestellen, das Vieh auf bessere Weiden zu bringen und das Leben in der kleinen Wikingersiedlung am Laufen zu halten.
Raffnuss und Fischbein waren sich indes näher gekommen. Zusammen hatten sie sich nahe am Dorfplatz ein kleines Haus gebaut, in welchem sie seit einiger Zeit wohnten. Wie es aussah, hatte der Frühling seine positiven Seiten und das Dorf würde allmählich wieder fruchtbar werden. Einige Wikingerfrauen waren schon im Winter schwanger geworden, sodass es im Sommer einen kleinen Babyboom geben würde.
Hicks jedoch würde von dem nichts mitbekommen. Er bereitete sich auf seine Abreise vor. Der riesenhafte Albtraum würde ihn begleiten. Sturmpfeil blieb lieber hier. Sie wollte sich nicht in den Trubel des Drachenhortes begeben, wo ihre Schönheit sicher leiden könnte.
Der verwandelte Nachtschatten hatte sich in den letzten Tagen viele Gedanken gemacht, was ihn erwarten würde. Sicherlich würde es kein Leichtes werden, vor den Alpha zu treten, aber wenn es die einzige Chance sein würde, wäre es immerhin ein Weg, wieder ein Mensch sein zu können. Nächtelang hatte er sich alles durch den Kopf gehen lassen. Es würde schwierig werden, falls sie fliehen müssten. Ohnezahn hatte ihm erzählt, dass der große Überwilde die Fähigkeit besaß, anderen Drachen seinen Willen mittels Drachenmagie aufzuzwingen. Davor hatte der verzauberte Wikinger am meisten Angst, doch der Nachtschatten in seinem Unterbewusstsein versicherte ihm, dass bei zwei Seelen in einem Körper, die Drachenmagie anwenden konnten, der Überwilde auf Granit beißen würde.

„Hey Leute. Ich wollte noch einmal sehen, wie es unserem angehenden Reisenden geht." Grobian schlug die Tür zu Hicks und Astrids Höhle auf und begrüßte die versammelte Mannschaft herzlich.
Alle hatten sich ein letztes Mal um ein Feuer gesetzt und gegessen. Astrid sagte nicht viel sie lächelte den Dorfschmied an und deutete, sich zu ihnen zu setzen. Gustav und Nachtklaue machten Platz und Grobian machte es sich am Feuer bequem.
„Und alles bereit?" Hicks gurrte kurz und signalisierte dem Schmied, dass er fest entschlossen sei, diesen Fluch zu brechen. „So kenne ich doch meinen Hicks.", Gab er noch hinzu, bevor er sich eine Schüssel Suppe holte, die über dem Feuer in einem kleinen Kessel vor sich hin köchelte.
„Wir haben alles besprochen. Hicks will versuchen, zum Winter wieder hier zu sein. Noch bevor der erste Schnee fallen soll. Bis dahin werden wir nichts von ihm hören.", gab Astrid mit besorgtem Unterton von sich, als sie ein wenig mit dem Löffel in ihrer Suppe herum rührte.
Grobian blieb dies nicht verborgen. Er wusste um die Sorgen der jungen Wikingerin. Dass sie ihre große Liebe nie wieder sehen würde, doch er machte ihr Mut.
„Astrid. Hicks ist in Gestalt eines Nachtschattens. Er kann die Drachenmagie anwenden. Was soll da schon schief gehen? Solch einem mächtigen Drachen würde ich mich nicht mal stellen. Da hätte ich mir in meine Unterbuchse gemacht und wäre schreiend davon gelaufen."
Alle mussten ein wenig schmunzeln. Grobian schaffte es immer auch, die Menschen aufzuheitern, selbst wenn sie sich in der dunkelsten Stunde ihres Lebens befanden. Viele bewunderten es an ihm und nicht zuletzt wurde er hinter Haudrauf als der zweitmächtigste und einflussreichste Wikinger auf Alt-Berk gezählt. Und selbst nach dem Überfall, versuchte er der freundliche Schmied von nebenan zu bleiben. Muffel unterstützte ihn da tatkräftig.
„Du hast Recht Grobian. Hicks ist der stärkste Drache, den ich je gesehen habe. Da wird nicht viel schief gehen, stimmt's Nachtklaue?" Gustavs Nachtschatten schnaubte bestätigend. Der Kleine Drache hatte Hicks als eine Art Vaterfigur akzeptiert. Er kannte keinen Drachen, der mehr Stärke im Geist und im Körper besaß.
Das ließ auch Astrid aus ihren tiefen Gedanken entfliehen. Schlaflos hatte sie manche Nächte verbracht, weil sie sich so sehr um das Wohl ihres Lieben Hicks gemacht hatte. Jedoch hatten die anderen Recht. Hicks hatte bewiesen, dass er einen großartigen Nachtschatten abgab. Wer es bei den Tauwetterfestspielen nicht erkennen konnte, musste wirklich blinder als blind gewesen sein.
„Ihr habt Recht. Hicks wird schon nichts passieren." Astrid blickte auf und löffelte ein wenig von der Suppe.

Später am Tage war es endlich so weit. Hicks hatte sich bereit gemacht, los zu fliegen. Ohnezahn würde ihm den Weg weisen, um so schnell wie möglich zum Drachenhort zu kommen. Mehrere Tage, vielleicht sogar eine ganze Woche würden sie brauchen, bis sie an ihrem Ziel ankämen, doch für einen Nachtschatten war das keine Distanz. Auch der riesenhafte Albtraum hatte sich bereit gemacht. Er wollte für Hicks bürgen, wenn es brennzlich werden sollte. Nur hofften sie, dass es nicht so weit kommen würde.
„Bis du bereit?", sprach Ohnezahn aus den Tiefen von Hicks Gedanken. „Bin ich.", brachte Hicks von sich.
An einer Klippe stehend, machten sie sich bereit zum Abflug, als sie plötzlich gestört wurden: „Hicks warte noch einen Moment!" Es war Astrid, die ihn noch ein letztes Mal sehen wollte. Sie stürmte auf ihn zu, hielt sich an seinem Kopf fest und gab ihm noch einen kleinen Abschiedskuss auf die Nase. Sie Umarmte ihn und flüsterte in sein Ohr: „Das nächste Mal will ich wieder deine menschlichen Lippen küssen. Versprichst du mir das?"
Hicks brummte beruhigend. Mit einigen Tränen in den Augen löste sich Astrid von ihm und nahm ein wenig Abstand. „Komm bloß heil wieder du geflügeltes Reptil." Darauf gab Hicks ein Brüllen ab und stieß sich schließlich mit einem Flügelschlag in die Lüfte. Kurz darauf folgte ihm der riesenhafte Albtraum und beide verschwanden, als sie die Wolkendecke durchbrachen.
„Komm bloß heil wieder...", sprach die junge Hofferson noch einmal, bevor sie den Weg zurück ins Dorf wieder antrat. Das war nur das vorerst letzte Mal, dass sie Hicks sehen würde. In Neu-Berk hatte sie nun den Status des Oberhaupts inne. Hoffentlich müsste sie diesen Titel nicht zu lange tragen. Hicks sollte schnell wieder zurückkommen und als Mensch das Volk von Berk in eine neue Zukunft führen.
Aber sie wusste nicht, was noch kommen würde. Dunkle Mächte zeichneten sich am Horizont ab. Dunkle Mächte, die bald das Gefüge der nördlichen Welt ins Chaos stürzen würden.

Der Fluch des NachtschattensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt