Erwachen

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Es war schwarz um ihn. Kaum ein Geräusch war zu vernehmen und die Dunkelheit übermannte ihn. Hicks wusste nicht, was mit ihm passiert war. Ist er bei der Brechung des Fluches gestorben? War er jetzt auf dem Weg nach Walhalla? Fragen schossen ihn durch seinen Kopf, als er durch ein Geräusch aufwachte. Es hörte sich an wie zerbrochene Teller?
Nur einen Moment später öffnete Hicks die Augen. Er lag einem mit Schaffellen gepolsterten Bett. Über ihn waren Fels und einige Ranken zu sehen. Er konnte Wasser plätschern hören. Es drang Licht ein und als er seinen Blick nach links richtete, konnte er den Drachenhort sehen. Es war die Haupthöhle, wo sich viele andere Drachen tummelten. Es musste Mittag sein, oder Nachmittag. Auf jeden Fall stand die Sonne sehr hoch.
Dan wieder ein Geräusch: „Ohnezahn, Wolkenspringer. Ihr passt nicht beide in meine Wohnhöhle. Jeweils einer kann hier reinkommen, oder wollt ihr mir meine gesamten Teller zu Bruch gehen lassen." Es war die Stimme von Valka, die er vernahm. Nur einen Moment später versuchte er sich auszurichten, aber die Kräfte fehlten ihm noch.
Dann auf einmal ein Blick eines bekannten Drachen. Ohnezahn trat auf ihn zu: „Leute, er ist wach!", gab er Valka und dem Sturmschneid zu verstehen. Sofort ließ Hicks Mutter alles stehen und rannte zu ihm ans Bett.
„Hicks. Wie geht es dir?" Sie lächelte. „Ich habe mich das letzte Mal so gefühlt, als ich einen Met zu viel getrunken hatte." Hicks musste ebenfalls anfangen zu lächeln.
„Komm, kannst du dich aufrichten?" – „Ich kann es mal versuchen." Er stützte sich mit beiden Armen an der Bettkante und setzte sich vorsichtig hin. Da begriff er erst, dass er wieder Arme hatte. Seine Flügel waren weg und der Schwanz verschwunden.
„Ich...ich bin wieder ein richtiger Mensch. Das ist nicht zu fassen!" Hicks freute sich über alle Maßen. Sein Gesicht kannte nur noch das Grinsen, was sich jetzt abzeichnete. Freudentränen kullerten über seine Wangen und er nahm Valka in die Arme.
„Und du bist es wirklich. Mein Sohn. Diese Narbe da am Kinn. Die hat dir damals Wolkenspringer zugefügt, als ich von den Drachen mitgenommen wurde." – „Ach so?" Hicks strich sich übers Kinn. Nur eine kleine Erhebung in der Haut erinnerte ihn an die Narbe. Vater hatte immer verschwiegen, woher sie stammte.
„Jetzt lasst mich mal durch. Ich habe ihn zuerst wach gesehen." Eine vertraute Stimme erklang, als sich ein schwarz geschuppter Drache zu Hicks durchdrängelte.
„Ohnezahn! Schön, dich wieder in alter Form zu sehen. Und...ich kann dich verstehen!" – „Ja Hicks. Der Überwilde hat dir die Drachenstimme gegeben." Hicks fiel dem Nachtschatten um den Hals. Beide verharrten in der Position, bis beide sich wieder lösten und Valka das Wort ergriff.
„Du musst hungrig sein, Hicks." – „Ja. Das bin ich, aber jetzt ist roher Fisch wohl nicht mehr das Richtige." Erneut musste er lachen, er das gesagt hatte.
„Und wir müssen dir etwas zum Anziehen besorgen."
Es vergingen einige Stunden. Hicks hatte sich einige Sachen von Valka genommen und sie angezogen. Langsam kamen seine alten Kräfte wieder und er machte seine ersten Schritte in seinem alten menschlichen Körper. Sehr schnell hatte sich der junge Haddock wieder auf den Beinen halten können. Nun war es an der Zeit gewesen, sich mit Mutter und Ohnezahn zu befassen, sich bei dem großen Überwilden zu bedanken und den Nachhauseweg wieder anzutreten.
„Nun, Ist ja alles gut und schön, aber wie soll ich jetzt hier herunter kommen? Ich eine, vorher konnte ich mich einfach von der Klippe stürzen und die Flügel ausbreiten. Jetzt geht das nicht mehr so schnell." Hicks hatte ein wenig Bedenken, aber Valka hatte die Lösung schon parat: „Du reitest einfach auf Ohnezahn. Er wird dich sicherlich schon nicht runterwerfen. Immerhin ist er dein Freund." – „Das ist mir schon klar, aber ich will ihm keine Umstände machen. Er hat so viel für mich getan und hat wegen mir die Hölle durchlitten. Ich will nicht, dass er das machen muss."
Da schaltete sich der Nachtschatten ein: „jetzt hab dich nicht so, Hicks. Irgendwie musst du auch nach Hause kommen und per Schiff bist du von hier aus Wochen unterwegs. Das geht auch schneller, auf dem Rücken eines Drachen." – „Wo dein Freund recht hat, hat er Recht.", kam es von Valka zurück. Hicks blieb wohl nichts anderes übrig, als auf Ohnezahns Rücken Platz zu nehmen. Auch wenn er es nicht gerne tat.
„Na gut. Dann mal los." Der Nachtschatten stieß sich ab, breitete seine Flügel aus und beide erhoben sich in die Lüfte. Es war für Hicks das erste Mal, dass er den Flug aus dieser Perspektive betrachten konnte. Mit den Augen des Nachtschattens sah alles anders aus, viel schärfer. Erst jetzt begriff er, wie scharf die Sinne dieses Drachen waren. Dagegen sahen die Menschen fast schon verschwommen.
Nur einige Minuten später landeten sie vor dem großen Überwilden. Der hatte sich wieder in seinen seichten See gesetzt und döste friedlich vor sich hin. Sicher hatte ihm dieses Ritual viel Kraft gekostet und er musste Ruhen. Hicks wäre auch später noch einmal wieder gekommen, aber da drehte sich der gigantische Drache schon um und begrüßte seine Besucher.
„Hast du dich in deinen alten Körper wieder eingelebt?" – „Ja und ich bin dir unendlich dankbar. Ich stehe tief in deiner Schuld, großer Überwilder." – „Schuld ist relativ. Ich helfe allen Drachen, auch wenn sie einst Menschen waren."
Noch eine Weile redeten sie zusammen. Aber Tag war schon weit fortgeschritten und Hicks Kräfte waren noch nicht vollständig erneuert. In Valkas Wohnhöhle angekommen legte er sich in sein Bett und schlief bald darauf ein. Neben ihn, ein wachender Nachtschatten.

Der Fluch des NachtschattensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt