Aufhebung II

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Hicks war aufgeregt. Er wusste nicht, was jetzt passieren würde, doch der Fluch würde aufgehoben werden und Ohnezahn würde seinen alten Körper wieder bekommen. Er hatte keine Ahnung, wie der Überwilde das machen würde, ob es schmerzen geben würde, wie bei der Verwandlung in einen Nachtschatten. Hicks konnte nur Vermutungen anstellen.
„Bist du bereit?", fragte der Überwilde noch einmal, bevor er beginnen wollte. Hicks nickte. Er wusste nicht, was er jetzt noch in diesem Moment sagen sollte. In wenigen Augenblicken würde der Fluch aufgelöst sein und alles könnte fast so werden, wie es früher war.
Valka beobachtete das Spektakel von weiter weg. Wolkenspringer hatte sich zu ihr gesellt und warf einen skeptischen Blick auf den Nachtschatten.
„Du bist dir wirklich sicher, dass er dein Sohn ist? Ich meine der Nachtschatten kann dich auch reinlegen.", kam der Sturmschneid zu bedenken. Aber Valka erwiderte sofort.
„Ich bin mir ganz sicher. Er weiß Dinge, die nur einer aus Berk wissen kann. Ich habe mich mit ihm gestern unterhalten und ich weiß mit Sicherheit, dass dieser Drache mein verwandelter Sohn ist." Der Drache neben ihr sagte nicht mehr viel. Wenn sich Valka sicher war, dann konnte niemand, nicht einmal der große Überwilde sie davon abbringen. Wolkenspringer hatte zwar immer noch einige Bedenken, was den Drachen anging, aber es würde sich zeigen, ob er der Mensch sei, von dem gesprochen wurde.
„Und was wirst du machen, wenn er wieder ein Mensch ist? Wirst du uns dann verlassen, ich meine Drago Blutfaust ist immer noch da draußen und lauert. Wir könnten dich hier nicht entbehren." Der Sturmschneid machte sich Sorgen, dass Valka ihre Aufgabe vernachlässigen und sich lieber um ihren Sohn kümmern würde.
„Du musst dir keine Sorgen machen, Wolkenspringer. Wir werden Drago noch eines Tages in die Knie zwingen. Und mit Hicks an unserer Seite und einem Nachtschatten, haben wir neue Verbündete gefunden. Immerhin kann dieser Ohnezahn auch die Drachenmagie beherrschen und das äußerst gut. Da muss ich ihm meinen Respekt zollen, denn um einen Menschen in einen Nachtschatten zu verwandeln braucht es sehr viel Macht." – „Du willst ihn also mit in diesen Kampf einbeziehen. Ich glaube nicht, dass ihm das gefallen wird."
Valka dachte nach. Hicks gleich mit diesem Krieg gegen die Drachenjäger zu konfrontieren, wäre nicht gut. Erst einmal würde sie sich um ihn kümmern, denn er müsste sich sicherlich an seine alte menschliche Form gewöhnen. Er hatte ihr schließlich nicht gesagt, wie lange er schon verwandelt war.
„Wir warten erst einmal ab, was nun passieren wird." Mit diesen Worten beendete Valka das Gespräch und richtete seinen Blick auf den Überwilden. Die Brechung des Fluches müsste gleich erfolgen.
Hicks Aufregung stieg derweil ins unermessliche. Er wusste nicht, was auf ihn zukommen würde. Der Alpha merkte das. Scheinbar hatte der Nachtschatten zu viel Angst vor dem, was kommen würde.
„Hab keine Angst", sprach er sanft. „Es wird nicht wehtun Du wirst als Drache einschlafen und als Mensch wieder aufwachen." – „Gut. Ich versuche es."
Dann auf einmal fing der Alpha an, etwas zu sprechen, was Hicks nicht verstehen konnte. Es musste eine alte Sprache der Drachen sein, die längst in Vergessenheit geraten war. Er versuchte sich zu beruhigen, aber gelingen schien es ihm nicht. Sein Puls schoss in die Höhe. Um ihn herum verdunkelten sich die Höhlenwände. Schimmerte eben noch Mondlicht, wurde alles schwarz. Das Gras unter seinen Füßen verschwand und die Stimmen des Alphas klangen von immer weiter entfernt zu ihm herüber. Plötzlich befand er sich in völlig schwarzer Leere. Nichts außer die Klänge des Überwilden waren zu vernehmen. Kein Laut, kein Anzeichen, dass er sich noch im Drachenhort befand. Hatte es etwa fehlgeschlagen? War er tot? Würde er jetzt an Odins Tafel kommen? Hicks wusste keinen Rat.

„Ohnezahn, bist du da? Ohnezahn?"

Keine Antwort. Es schien, als ob der Drache im Geiste nicht mehr da war. Verschwunden.

„Ohnezahn! Hilf mir!"

Langsam beschlich dem Wikinger ein ungutes Gefühl. Er erforschte die tiefsten Abgründe seiner Seele. Ohnezahn war nicht mehr da. Eine Schrecksekunde verging, bis Hicks auf einmal einen Nachtschatten erblickte. Gegenüber ihn, fast wie ein Spiegelbild, stand ein weiterer schwarzer Drache genau so groß wie er. Doch die Augen waren anders. Hicks hatte dunkelgrüne Augen. Fast wie die Farben des Waldes. Dieser Nachtschatten hatte giftgrüne Iriden.
„Ohnezahn? Bist du das?" Der Nachtschatten blickte auf. „Hicks?" – „Ohnezahn! Du bist es! Ich..." Auf einmal verfiel Hicks in eine Art Trance. Nur wenige Augenblicke später verlor er völlig die Kontrolle über seinen Körper. Er konnte Ohnezahn von weitem noch rufen hören, dann umgab ihn Stille.

Valka senkte die Hand. Der Lichtblitz hätte sie fast geblendet. Sie kniff die Augen zusammen und versuchte, etwas zu erkennen. Das Licht verschwand nur sehr langsam. Doch dann konnte sie es sehen. Der Überwilde stand wie eben noch da. Auf dem Gras aber, lagen ein schwarz geschuppter Drache und ein nackter junger Mensch mit braunen Haaren. Der Drache schien schnell das Bewusstsein wieder zu finden, aber der Mensch blieb liegen.
Sofort eilte Valka zu ihm: „Hicks? Hicks?" Sie kniete sich vor ihm hin und versuchte ihn aufzuwecken. Aber ihre Versuche schlugen fehl.
„Er muss sich ausruhen. Er schläft. Die Drachenmagie hat ihm viel Kraft gekostet.", kam es vom Überwilden. „Gut dann bringt ihn in meine Behausung. Er soll sich ausruhen können. Ohnezahn, Wolkenspringer. Ihr kommt mit mir."
Valka nahm ihren Sohn und lud ihn mit Ohnezahns Hilfe auf Wolkenspringers Rücken. Kurze Zeit später flogen sie zurück in den Drachenhort. Hicks Mutter war überglücklich.

Der Fluch des NachtschattensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt