Ryan Tucker starrte den Kopf des Mannes an, der vor ihm her lief. Der Wärter hatte eine Glatze, die zusammen mit der Hakennase mitten in seinem Gesicht die Assoziation eines Vogels weckte, der Grund warum der Mann von den Gefangenen Birdie genannt wurde.
„Wer ist diese Frau?", fragte er, unwillig, von Birdie mitten vom Frühstück geholt worden zu sein.
Wer zu Beginn eines Essens fehlte, der bekam nichts mehr ab, das war ihm bereits in den ersten Tagen seiner Haft klar geworden. Das Essen im Shadow Isle Detention Center war zwar nicht gut, ein Grund, warum Ryan es zu Beginn abgelehnt hatte, aber etwas anderes bekam man nicht. Und am Ende des Tages war doch alles besser als nichts.
„Du wirst herausfinden müssen, was sie von dir will, Tucker. Ich weiß nur, dass sie nach dir verlangt hat", antwortete Birdie auf seine Frage.
Ryan verdrehte genervt die Augen, während er dem Polizisten an den leeren Zellen entlang in Richtung Besucherraum folgte, hinter ihm ein weiterer Wächter, der aufpasste, dass er nicht floh.
„Sie wissen, wenn diese Frau ein Cop ist, rede ich nicht mit ihr", stellte er klar.
Wer auch nur in den Verdacht geriet, mit den Bullen zusammenzuarbeiten, war erledigt. Vielleicht würde er dann nicht einmal den nächsten Morgen erleben, man wusste ja nie, wie schnell sich so etwas rumsprach. Bei Ryans erstem Zellengenossen hatte es vier Stunden gedauert. Das hatte ihm zur Warnung gedient, niemals so zu enden wie Spider.
Tot.Denn er war noch nicht fertig mit dieser Welt.
„Warte erst mal ab, Tucker."
Ryan konnte die Genervtheit aus der Stimme seines Wächters hören, als der nach seinem Schlüsselbund griff und die Tür aufsperrte.
Sie betraten jetzt den Besucherbereich, in dem Ryan in den zwei Jahren, die er jetzt hier eingesperrt war, erst viermal gewesen war.
Nachdem sein Bruder es nur ein Jahr als Wärter im Shadow Isle ausgehalten hatte, war er ihn im letzten Jahr öfter besuchen gekommen, vermutlich aus schlechtem Gewissen, aber Ryan hatte sich nur selten dazu bereit erklärt, Josh zu sehen. Wozu auch?
Ryan bemerkte, dass der zweite Wächter, der hinter ihm gelaufen war, im Gefangenentrakt zurückblieb, sodass er jetzt mit Birdie alleine war.
Er hätte diese Möglichkeit zur Flucht nutzen können, aber irgendwo war er neugierig auf seinen Besuch. Eine Frau war selten im Detention Center, die meisten trauten sich hier nicht her. Zu recht, musste Ryan zugeben, immerhin waren hier eine Menge Verbrecher, die seit Jahren kein weibliches Wesen mehr zu Gesicht bekommen hatten, er selbst eingeschlossen.
Ryan konzentrierte sich darauf, nicht im gleichen Rhythmus wie Birdie zu laufen und seinen Fuß immer genau dann aufzusetzen, wenn der Wärter seinen gerade anhob. Alles andere wäre ihm vorgekommen wie ein stummes Einverständnis zwischen ihnen und das wollte er definitiv nicht vermitteln.
„Hier entlang." Birdie wies nach rechts und wartete, bis Ryan ihn überholt hatte.
Einem Gefangenen niemals den Rücken zuzukehren war eine der obersten Regeln, auch wenn Ryan bezweifelte, dass der doch recht gutmütige Ehemann und Vater von vier Kindern wirklich glaubte, dass Ryan ihm etwas antun würde. Immerhin hatten sie in den letzten beiden Jahren schon die ein oder anderen Gespräche geführt und manchmal sogar Schach gespielt.
Man lernte, mit seinen Wärtern auszukommen, aber Birdie war noch mit Abstand derjenige, von dem Ryan am ehesten sagen würde, dass er ihn nicht hasste.
Viele der anderen waren autoritär und empfanden nichts als Verachtung für den Abschaum der Gesellschaft, der in diesem Gefängnis zusammengepfercht wurde.
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Never Too Far
Teen FictionAls Kendra O'Ryan im Rahmen ihres Studiums einen Praktikumsplatz als investigative Journalistin in Houston angeboten bekommt, beschließt sie, anzunehmen - egal, wo es hinführt. Doch wer hätte gedacht, dass sie dort ausgerechnet Ryan Tucker wiedertre...