Kendra fühlte sich wie erschlagen, als sie am nächsten Morgen aufwachte. Sie hatte Kopfschmerzen, ihr war übel und sie wäre am liebsten noch liegen geblieben, doch ein Blick auf ihren Wecker sagte ihr, dass sie den Alarm um zwei Stunden verschlafen hatte. Mrs. Hawkins vermisste ihre Hilfe bestimmt bereits.
Abrupt setzte sie sich auf. Kurz wurde ihr schwarz vor Augen, sodass sie erst einmal sitzen bleiben und tief einatmen musste, bevor sie sich zutraute, aufzustehen, ohne dass ihre Beine unter ihr nachgaben.
Als sie an sich herunterblickte, stellte sie fest, dass sie eine fremde Strickjacke trug – und darunter nur ihre Unterwäsche.
Sie lief rot an bei dem Gedanken, dass Ryan, der bereits aufgestanden war, sie womöglich so gesehen hatte. Und wo war das Kleid, das sie von Malya geborgt hatte?
Auf nackten Fußsohlen lief sie hinüber zum Kleiderschrank und wählte eines der drei Outfits aus, die sie mittlerweile besaß und die glücklicherweise alle mit der langen Hose kombinierbar waren. Irgendwann sollte sie die auch mal waschen, aber nicht heute. Irgendwann nachts könnte sie die einmal zum Trocknen aufhängen.
Nachts.
Gestern Nacht war sie mit Luke unterwegs gewesen. Ob sie deshalb so lange geschlafen hatte, dass sie nicht einmal ihren Wecker gehört hatte?
Kendra überlegte, doch alles, was ihr einfiel, war, dass sie mit Luke essen gegangen war. Sie bekam Panik. Was war passiert? Hatte sie sich betrunken und jetzt eine Filmriss? War das womöglich der Grund, warum sie nur Unterwäsche trug und darüber eine Strickjacke, die nicht ihr gehörte? Hatte sich Houston mit Landon jetzt mit Luke wiederholt? Aber wäre sie dann noch hier in ihrem Bett aufgewacht, und nicht viel eher bei ihm? Das konnte es also schon mal nicht sein. Dennoch wurde sie das Gefühl nicht los, dass irgendetwas passiert war, was ihr unglaublich peinlich war.
Kendra beschloss, sich im Bad anzuziehen und dann Luke zu suchen und ihn direkt danach zu fragen. Doch als sie die Tür zu ihrem Zimmer öffnete, stieß sie beinahe mit Ryan zusammen, der scheinbar gerade hereinkommen hatte wollen.
Er stutzte kurz, fing sich jedoch schnell wieder. „Guten Morgen." Er schien gerade Zähne geputzt zu haben, denn der frische Geruch von Pfefferminz schlug ihr entgegen und erinnerte sie daran, dass sie heute noch keine Zahnbürste zu Gesicht bekommen hatte.
„Hi", nuschelte sie und wollte sich an ihm vorbeidrücken, doch er trat ihr in den Weg.
„Wie geht es dir?" Sein Stirnrunzeln verwirrte sie. Vermutlich störte er sich an ihrem Outfit. Ob er die Jacke als zu Luke gehörig erkannte?
„Ich würde mir erst was anziehen."
„Ist gut." Unter seinem Blick fühlte sie sich beinahe, als hätte sie gar nichts an.
Auf einmal fiel ihr siedend heiß ein, dass sie ihn gestern Nacht auch gesehen hatte. Bruchstückhaft kehrten Erinnerungen zurück. Sie war in einer kleinen Gasse und saß auf dem Boden. Er kniete vor ihr, aus seinem Blick sprach pure Sorge... um sie? Er hatte ihr hochhelfen wollen und irgendetwas gesagt, dass er sie nach Hause bringen wollte. Und dann... hatte er sie geküsst?
Kendra riss die Augen auf, um die Erinnerungen zu vertreiben. Das konnte nicht wahr sein. Ihr Gedächtnis musste ihr einen Streich spielen! Was immer gestern passiert war, das war es mit Sicherheit nicht gewesen!
„Kendra?"
„Ja? Ich bin gleich wieder da." Sie tauchte unter seinem Arm hindurch und ging mit schnellen Schritten in Richtung Bad. Sie meinte seinen Blick wie Pfeile in ihrem Rücken zu spüren, aber als sie sich umwandte, stand er nicht mehr auf dem Gang, sondern schien bereits ins Zimmer gegangen zu sein.
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Never Too Far
Teen FictionAls Kendra O'Ryan im Rahmen ihres Studiums einen Praktikumsplatz als investigative Journalistin in Houston angeboten bekommt, beschließt sie, anzunehmen - egal, wo es hinführt. Doch wer hätte gedacht, dass sie dort ausgerechnet Ryan Tucker wiedertre...