Mit einer scharfen Bremsung brachte Deputy Hogan den Dienstwagen am Straßenrand zum Stehen. Josh stieg aus, noch bevor sein Kollege den Motor ausgeschaltet hatte und lief zu dem Rettungswagen, der vor dem Haus stand, in dem Kendra wohnte.
Sie saß hinten im Krankenwagen und ließ die Beine baumeln, während sich einer der Rettungssanitäter um eine Wunde an ihrem Kopf kümmerte.
„Kendra!" Mit schnellen, raumgreifenden Schritten lief er zu ihr. „Was ist passiert?"
„Nichts schlimmes, mir geht es gut", wehrte sie ab, aber die genervten Blicke, die die beiden Sanitäter sich zuwarfen, sprachen eine andere Sprache.
Josh wandte sich an die Frau, die gerade Kendras Platzwunde an der Stirn notdürftig versorgte. „Wie geht es ihr?", wollte er wissen.
Aus dem Augenwinkel sah er, wie Kendra die Augen verdrehte, weil er ihr nicht glaubte.
„Sind Sie ein Verwandter?", wollte der Sanitäter wissen.
„Ein Freund." Er wusste, dass Kendra ihn als ihren besten Freund bezeichnete, aber seine beste Freundin war Neela. Kendra hatte einen Sonderstatus, denn sie war die Frau, der seit einiger Zeit sein Herz gehörte.
Der Sanitäter warf Kendra einen fragenden Blick zu, die sich geschlagen gab und mit einem Nicken den Kopf in den Händen vergrub.
„Sie hat einen Schlag auf den Hinterkopf bekommen. Nichts schlimmes, aber Kopfverletzungen müssen wir immer ins Krankenhaus bringen. Vielleicht können Sie ja ihre Freundin überreden."
„Du willst nicht ins Krankenhaus?", wandte Josh sich direkt an Kendra. Kopfverletzung, hatte der Sanitäter gesagt. Das konnte alles sein, von einer Platzwunde, über Gehirnerschütterung bis Schädelprellung oder noch schlimmerem, an das er gar nicht erst denken wollte.
Kendra schnalzte verärgert mit der Zunge.
Josh drehte sich zu den Sanitätern um. „Geben Sie uns zwei Minuten, dann können Sie sie mitnehmen."
Der Sanitäter nickte und trat mit seiner Kollegin einige Schritte zur Seite, wo sie begannen, sich leise zu unterhalten.
Josh verschränkte die Arme und sah Kendra abwartend an. „Also, was ist passiert? Bei uns kam ein Notruf wegen Einbruchs rein?"
„Eigentlich hatte ich einkaufen gehen wollen, aber mir ist auf halber Strecke aufgefallen, dass ich mein Geld zuhause gelassen hatte, deswegen bin ich zurückgegangen. Ich habe gesehen, dass die Eingangstür offen stand, habe den Notruf gewählt und bin dann reingegangen, um zu sehen, ob der Einbrecher noch da ist", erklärte Kendra, als wäre das völlig selbstverständlich.
Josh schüttelte halb ungläubig, halb missbilligend den Kopf. Hatte sie eine Ahnung, in was für eine Gefahr sie sich da gebracht hatte? Vermutlich nicht.
Kendra wartete kurz, ob er irgendetwas sagen würde, aber als er schwieg, fuhr sie fort: „Ich bin gerade in Richtung Wohnzimmer gegangen, als mir jemand von hinten auf den Kopf geschlagen hat. Und als ich wieder aufgewacht bin..."
„Du warst bewusstlos?"
„... war er weg", beendete Kendra ihren Satz. „Aber soweit ich es sehen konnte, fehlt nur etwas Bargeld. Ich habe ihn scheinbar davon abgehalten, noch mehr mitgehen zu lassen." Sie wirkte beinahe stolz.
Begriff sie nicht, in welche Gefahr sie sich begeben hatte? Der Einbrecher hätte ihr sonst was antun können!
„Du hast dich dabei selbst in Gefahr gebracht, Kendra!" Er wusste nicht mehr, wann er sie zuletzt nicht mit ihrem Spitznamen angeredet hatte. An ihrem Blick sah er, dass sie es bemerkt hatte. Hoffentlich begann sie jetzt zu begreifen, wie ernst die Sache war!
„Es ist doch nichts passiert."
Oder auch nicht.
„Nichts? Du hast eine Kopfverletzung, das ist definitiv nicht nichts!" Aufgebracht und frustriert, dass sie es nicht einsehen wollte, fuhr er sich durch die Haare.
„Du musst da echt nicht so ein Drama drum machen, Josh!" Kendra verdrehte die Augen.
„Ich habe nicht umsonst gesagt, dass man eine Ausbildung machen sollte, bevor man anfängt, Polizeiarbeit zu machen." Er stemmte die Arme in die Seiten. „Hast du überhaupt eine Ahnung, was ich mir für Sorgen gemacht habe, als der Notruf zu deiner Adresse reinkam?"
„Tut mir leid, ich hätte dich auf deiner Privatnummer anrufen sollen", entschuldigte sie sich.
Ihm entglitten seine Gesichtszüge, als er bemerkte, dass das ihr voller Ernst war. Dieses Mädchen! „Nein, hättest du nicht! Du hättest einfach nicht ins Haus gehen sollen, solange du nicht sicher warst, dass der Einbrecher raus war!"
„Aber dann hätte er womöglich etwas wertvolleres mitgehen lassen!"
Ernsthaft? Das war ihr wichtiger als nicht verletzt zu werden? Aber mit Argumenten war sie zurzeit wohl nicht zu überzeugen, also warf er einen neuen Aspekt in eine der unnötigsten Diskussionen, die er je geführt hatte, ein.
„Es geht ums Prinzip, Kenny. Du kannst dich nicht immer so leichtfertig in Gefahr begeben! Das ist genau der Grund, warum du lieber nicht nach Houston gehen solltest."
Er stellte ein Bein neben ihr auf dem Krankenwagen ab und wünschte sofort, er hätte es nicht getan, als er die Nähe zu ihr im Kribbeln seiner Haut beinahe körperlich spürte, obwohl sie sich nicht berührten. Aber jetzt musste er es durchziehen und seine Gefühle so gut es ging unterdrücken. Er vergegenwärtigte sich, dass das hier die kleine Schwester seines besten Freundes war. Das half normalerweise, um etwas Abstand zu gewinnen und seine Gefühle zu unterdrücken.
Kendra verschränkte ihre Arme vor ihrem Bauch. Ihr Blick verdunkelte sich sichtlich. „Wieso bist du so gemein?"
„Ich bin nicht gemein, ich habe mir Sorgen um dich gemacht", verbesserte er sofort. Es war ihm wichtig, dass sie den Unterschied begriff.
„Das scheint bei dir ja ein und dasselbe zu sein. Du könntest dich auch freuen, dass es mir gut geht!" Sie holte tief Luft, was ihm ein Stirnrunzeln entlockte. Hatte sie Schmerzen? War ihr übel? Dann würde sie doch wohl etwas sagen, oder?
„Ich freue mich ja auch! Aber ich muss auch daran denken, was hätte passieren können." Da sie das ja anscheinend nicht tat. Er fuhr sich durch die Haare, wandte sich halb verärgert, halb irritiert von ihr ab, nur um sich wieder zu ihr umzudrehen.
„Du benimmst dich wie Mark!"
Begriff sie denn nicht, dass er nicht wie ihr Bruder für sie sein wollte? Er holte Luft, um etwas zu sagen, hielt aber inne, als er sah, wie Kendra sich zusammenkrümmte. „Was ist los?"
Kendra presste die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf.
„Ist dir schlecht?" Das war die einzige Erklärung, die er finden konnte.
Kendra nickte.
Josh richtete sich auf und winkte eilig die Sanitäter heran.
„Miss O'Ryan?" Der Mann beugte sich vor und sah ihr in die Augen. „Können Sie uns sagen, was Ihnen fehlt?"
„Mir ist übel", krächzte Kendra. Ihre Stimme hörte sich grauenvoll an, weil sie anscheinend versuchte, einen Würgereiz zu unterdrücken.
„Sie muss ins Krankenhaus." Der Sanitäter nickte seiner Kollegin zu, die seiner stummen Aufforderung nachkam und nach vorne zur Fahrerkabine des Rettungswagens ging.
Josh zwang sich, ruhig zu bleiben und vor Kendra nicht panisch zu werden, auch wenn sich in seinem Kopf alle möglichen Szenarien abspielten, was ihr wohl fehlte.
Er legte eine Hand auf Kendras Knie, um sie zu beruhigen, auch wenn das seinem eigenen Bauch nicht gerade gut tat, der von einer Armee Schmetterlinge überwältigt wurde.
„Wir sehen uns im Krankenhaus."
Kendra schwieg, klammerte sich aber mit ihrem Blick hilfesuchend an ihm fest, während der Sanitäter ihr ins Innere des Krankenwagens half, wo sie sich auf die Trage legte.
Josh schloss die Türen von außen und dann fuhr der Rettungswagen an.

DU LIEST GERADE
Never Too Far
Teen FictionAls Kendra O'Ryan im Rahmen ihres Studiums einen Praktikumsplatz als investigative Journalistin in Houston angeboten bekommt, beschließt sie, anzunehmen - egal, wo es hinführt. Doch wer hätte gedacht, dass sie dort ausgerechnet Ryan Tucker wiedertre...