Kendra putzte sich zufrieden den Mund mit einer Serviette ab. Kurz nachdem sie die Stadt verlassen hatten, hatte Ryan sein Versprechen gehalten und ihr an einer Tankstelle Pommes Frites und eine Flasche Wasser gekauft, während sie auf Toilette gewesen war.
Ryan nahm immer wieder einen kleinen Schluck des Kaffees, den er sich gekauft hatte und anscheinend versuchte, sich einzuteilen.
Wozu andere Leute Koffein brauchten, reichte ihr in der Regel etwas zu essen. Sie fühlte sich schon jetzt deutlich munterer als noch vor einigen Minuten.
Ihr Vater hatte immer behauptet, Essen würde müde machen, aber bei Kendra hatte das schon immer die gegenteilige Wirkung gehabt – immerhin führte man dem Körper durch Nahrung neue Energie zu.
Sie beugte sich nach vorne zu dem viel zu kleinen Mülleimer unter der Radioanlage und quetschte ihre Serviette hinein. Ihr war bewusst, dass jetzt ihr Teil der Abmachung begann, aber wo sollte sie anfangen? Ein Gespräch mit Ryan zu führen hatte sie sich noch nie als angenehm vorgestellt. Aber vielleicht musste es das auch gar nicht sein, solange er nur wach genug blieb, um weiterzufahren.
„Also, Ryan", begann sie. Auch wenn der Seitenblick, den er ihr zuwarf, nur kurz war, machte es sie nervös. „Tu mir einen Gefallen und schau auf die Straße, auch wenn ich mit dir rede. Keine falsche Höflichkeit." Hups. Hatte sie das gerade wirklich gesagt? Ryans Schnauben zufolge schon. „Worüber möchtest du denn gerne reden?"
„Es ist dein Job, das Gespräch zu beginnen und am Laufen zu halten, Kenny, wenn ich dich an deinen Teil der Abmachung erinnern darf."
So etwas hasste sie, aber andererseits war das ihre Möglichkeit, etwas für Ash und seine Kollegen herauszufinden.
„Ist ja gut. Dann fang doch an, mir zu erzählen, weshalb du so früh aus dem Gefängnis entlassen wurdest. Hast du einen Wärter bestochen? Oder gleich den Richter? Oder war es Josh?"
Ihr bester Freund hatte schon immer eine Schwäche für seinen Bruder gehabt und war ungerechtfertigt nachgiebig mit ihm gewesen. Zu nachgiebig, wie Kendra fand.
„Ich finde es immer wieder erfrischend, zu hören, wie du über mich denkst, Kenny", antwortete er ironisch.
Kendra zuckte die Achseln. „Ich bin eben ehrlich. So bekommst du wenigstens mal gespiegelt, wie du auf andere wirkst."
„Ich weiß deine Fürsorge zu schätzen. Um auf deine Frage zurückzukommen: Ich wurde entlassen, weil mich eine Spezialeinheit der Polizei angeheuert hat, gegen meine ehemaligen Freunde zu ermitteln."
Okay, das kam unerwartet. Anscheinend hatte sie seine Loyalität wieder einmal zu hoch eingeschätzt. Oder war er seinen einstigen Kollegen gegenüber niemals loyal gewesen? Und konnte sie ihm diese Geschichte überhaupt glauben?
„Mir wäre es aber lieb, über etwas anderes zu reden."
Sie war erstaunt über die Art, wie er das sagte. Es klang so bittend, so... verletzlich. Vermutlich war das der Grund, warum sie zustimmte, das Thema zu wechseln, auch wenn ihr viele Fragen auf der Zunge brannten. Allen voran die, ob er wirklich die Wahrheit sagte. „In Ordnung. Willst du mir etwas über deinen Aufenthalt in Houston erzählen?"
Wieder warf er ihr einen kurzen Blick zu. Ja, es war um diese Uhrzeit kein Verkehr auf dem Freeway, aber das war noch lange kein Grund, sich nicht auf die Straße zu konzentrieren! „Eigentlich nicht. Für dich reicht es zu wissen, dass ich keinen der Morde begangen habe."
„Okay." Sie sah aus dem Fenster nach draußen, auch wenn sie nichts als Dunkelheit erkennen konnte.
Worüber sollte sie bloß mit Ryan Tucker reden? Sie hatten nichts, aber auch wirklich gar nichts, miteinander gemein. Wobei, da war etwas. Jemand. Aber wollte sie wirklich mit Ryan über Landon reden?
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Never Too Far
Teen FictionAls Kendra O'Ryan im Rahmen ihres Studiums einen Praktikumsplatz als investigative Journalistin in Houston angeboten bekommt, beschließt sie, anzunehmen - egal, wo es hinführt. Doch wer hätte gedacht, dass sie dort ausgerechnet Ryan Tucker wiedertre...