Ryan schulterte seinen Rucksack und warf einen letzten Blick auf Alyvvia. Eine unbeschreibbare Wut bemächtigte sich seiner.
Wer auch immer das getan hatte... sollte Ryan ihm jemals begegnen, würde der es bereuen, die junge Frau ermordet zu haben.
Ryan warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Es war kurz nach drei Uhr nachts, die halbe Stunde Zeit, die er Kendra gegeben hatte, war seit einigen Minuten um. Ob sie überhaupt noch am Leben war?
Energisch schob er diesen Gedanken zur Seite. Sie war jetzt nicht mehr sein Problem. Er hätte sie ja schlecht dazu zwingen können, mit ihm mitzukommen. Seine erste Priorität war jetzt, von einem der öffentlichen Telefone aus Brooklyn zu kontaktieren, dass sie sich nicht in Fort Worth sondern in Brendshire treffen würden und natürlich, hier wegzukommen.
Ryan öffnete die Tür seines Zimmers, und wäre beinahe in Kendra hineingelaufen. Er zuckte zurück und musterte sie irritiert. Sie wirkte... anders, ohne dass er genau sagen könnte, weshalb.
„Ich würde doch gerne mitkommen", sagte sie leise und senkte ihren Blick auf den Boden.
Er nickte und zog die Tür hinter sich zu. „In Ordnung."
Obwohl er sich fragte, was passiert war und wem oder was sie begegnet sein mochte, das ihre Meinung geändert hatte, wollte er nicht nachfragen.
Schweigend verließen sie das Gebäude, wo Ryan den Weg in Richtung seines Autos einschlug. Er hatte es einige Blocks von hier entfernt auf einem Parkplatz abgestellt.
„Wohin gehen wir?"
„Zu meinem Auto. Ich habe nicht vor, den Weg bis nach Whitingham zu laufen", antwortete er kühler, als er beabsichtigt hatte.
Kendra schwieg. Was war in der letzten halben Stunde passiert, dass sie auf einmal schwieg? Er hatte sie niemals sprachlos erlebt, aber anstatt die Stille genießen zu können, begann er, sich Vorwürfe zu machen. Würde er seinem Bruder nur noch das seelische Wrack seiner Freundin zurückbringen, obwohl er versprochen hatte, auf sie aufzupassen?
„Was ist passiert?", fragte er schließlich doch.
Kendra hob den Kopf. „Du hast recht, es ist gefährlich hier", gab sie beinahe tonlos zu.
Ryan verlangsamte seine Schritte, sodass sie zu ihm aufholen konnte. Ihm war bereits aufgefallen, dass sie sich näher an ihm hielt, als sie es getan hatte, als sie vom Bahnhof zu seiner Pension gelaufen waren. „Kenny, was ist passiert?", wiederholte er seine Frage.
„Ich wurde mit einem Messer bedroht", gab sie zu.
Im Licht der Straßenlaternen meinte er zu erkennen, wie ihre Wangen leicht rot wurden. „Und dann?", wollte er wissen.
Er konnte sich denken, weshalb sie bedroht worden war. Entweder sie hatte ausgeraubt oder vergewaltigt werden sollen. Er konnte nur hoffen, dass es sich um ersteres handelte. Wegen Josh. Es würde ihm das Herz brechen und das wiederum könnte Ryan nicht mit ansehen.
Müsste er wahrscheinlich aber sowieso nicht, immerhin durfte er dank Ash Cooper jetzt vor den verschiedensten Parteien fliehen.
„Ich konnte wegrennen."
„Das ist gut."
„Ja." Sie sah ihn wieder an und in ihren Augen meinte er noch immer die Angst zu erkennen, die sie gehabt hatte. Und etwas anderes, was er nicht deuten konnte.
„Ist das alles?", fragte er darum nach.
Ihre Augenlider flatterten kurz. „Also mir hat es für den Abend gereicht, mit einer Leiche und einem aggressiven, bewaffneten Kriminellen konfrontiert zu werden. Nicht jeder braucht fünf Morde, um einen Tag als gescheitert anzusehen."
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Never Too Far
Teen FictionAls Kendra O'Ryan im Rahmen ihres Studiums einen Praktikumsplatz als investigative Journalistin in Houston angeboten bekommt, beschließt sie, anzunehmen - egal, wo es hinführt. Doch wer hätte gedacht, dass sie dort ausgerechnet Ryan Tucker wiedertre...