Ryan konnte es sich nicht erklären, warum Kendras Worte ihn so sehr getroffen hatten. Er würde niemals freiwillig zum Gottesdienst gehen, echote ihre Stimme in seinem Kopf.
Er konnte sich beinahe bildlich vorstellen, wie sie sofort zu seinem Bruder rannte und ihm ihre Verschwörungstheorien erzählte, was er in dieser Kirche getan hatte. War es denn so unrealistisch, dass selbst solche Menschen wie er sich ändern konnten?
„Lilly, Grace! Geht bitte raus, wenn ihr mit einem Ball spielen wollt!"
Ryan wandte sich vom Fenster ab. Kayden Bradshaw stand mit in die Seiten gestemmten Händen in der Tür zum Esszimmer und sah die beiden kleinen Mädchen ermahnend an.
„Ihr schmeißt hier noch irgendwas um, und wir wollen doch nicht, dass unser Gast uns beim Aufräumen der Wohnung zusehen muss, nicht wahr?"
„Ist gut." Die für ihr Alter erstaunlich verständige Lilly, das älteste der drei Mädchen, nickte und nahm die Hand ihrer kleinen Schwester. „Komm. Nimm den Ball, wir gehen raus", forderte sie Grace auf.
Ryan sah den Mädchen zu, wie sie nach draußen in den Garten gingen. Als er sich umwandte, sah er, dass Kayden noch immer mit einem glücklichen Lächeln auf dem Gesicht in der Tür stand. „Sind sie nicht süß?"
Ryan nickte leicht. Kayden hatte eine ansteckende Freude, die ihm jedes Mal ein Lächeln aufs Gesicht zauberte. „Ihr habt wundervolle Mädchen", stimmte er zu.
„Sawyer sehnt sich langsam nach etwas männlicher Unterstützung hier im Haus." Kayden legte ihre Hände an ihren Rücken, was ihren schwangeren Bauch noch mehr hervorhob. „Aber mein Tipp ist ja, dass es noch ein Mädchen wird."
„Könnten die Ärzte das Geschlecht des Babys nicht schon bestimmen?"
„Theoretisch schon seit einiger Zeit, ja. Aber ich bin mir noch nicht sicher, ob ich es diesmal schon vorher wissen will." Kayden lächelte. Ein Zischen aus der Küche hinter ihr verkündete, dass einer der Töpfe überfloss. „Oh." Mit wenigen Schritten war sie beim Herd, nahm den Deckel ab, drehte das Gas runter und hob den Topf auf eine andere Platte.
Ryan folgte ihr in die Küche. „Kann ich dir helfen?" Er hatte keine Ahnung von Kochen, aber wenn Kayden ihm sagte, was er tun sollte, würde er das schon hinbekommen, da war er zuversichtlich. Das war wie Backen nach Rezept.
„Nein, danke." Kayden wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn, bevor sie nach einem Lappen griff. „Du könntest höchstens Sawyer aus seinem Büro holen und ihm Bescheid sagen, dass er in fünfzehn Minuten zum Essen kommen kann. Er will immer vorher wissen, wann er kommen kann, damit er seine Arbeit bis dahin einteilen kann. Er hasst es, bei etwas wichtigem unterbrochen zu werden und dann auch noch wegen so etwas Nichtigem wie essen." Eine unverhohlene Ironie schwang in Kaydens Stimme mit.
Ryan lachte leise. „In Ordnung." Er klopfte gegen das Holz des Türrahmens, bevor er sich auf den Weg in den ersten Stock machte, in dem Sawyer sein Büro eingerichtet hatte.
Seit vier Wochen kam Ryan nicht nur donnerstags zu seinen Treffen mit Brooklyn hierher, sondern auch sonntags nach der Gemeinde. Das gemeinsame Mittagessen mit der Familie war immer etwas, dass sein Stimmung hob und die Perspektive auf die vor ihm liegende Woche verbesserte. Die Bradshaws waren seine Oase in der Wüste der Undercover-Arbeit bei Blakes Gruppe.
Ryan klopfte an die Tür zu Sawyers Büro und öffnete sie auf dessen leises „Ja?" Sein Freund stand mit dem Rücken zu ihm am Fenster und blickte in den Garten.
„Kayden sagt, du kannst in einer viertel Stunde zum Essen kommen", gab er weiter, was die Frau seines Freundes ihm aufgetragen hatte.
„In Ordnung. Du kannst ruhig reinkommen, ich bin sowieso gerade fertig."
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Never Too Far
Teen FictionAls Kendra O'Ryan im Rahmen ihres Studiums einen Praktikumsplatz als investigative Journalistin in Houston angeboten bekommt, beschließt sie, anzunehmen - egal, wo es hinführt. Doch wer hätte gedacht, dass sie dort ausgerechnet Ryan Tucker wiedertre...