Entsetzt starrte Ryan in das aufgewühlte Wasser, in dem Ash verschwunden war. Hatte er gerade wirklich einen ehemaligen Freund erschossen?
Doch die Erleichterung, dass es ihm gelungen war, zuerst abzudrücken, überwog alles andere.
„Ryan!"
Er sah zu Kendra hinüber, die mit tränenüberströmtem Gesicht noch immer auf der Bank im Heck des Motorbootes saß. Er rüttelte erneut an dem Seil, das ihn fest an das Steuerrad band. Kurzentschlossen zielte er mit der Pistole auf das kleine Stück Seil zwischen dem Lenkrad und seiner Hand, wandte den Kopf ab um sich vor den Funken zu schützen und drückte ab.
Hitze durchströmte seinen Körper, doch sofort fühlte er, dass er frei war. Er sicherte die Pistole, warf sie auf den Boden des Bootes und war mit zwei großen Schritten bei Kendra. Vor ihr kniete er sich auf den Boden und legte die Hände an ihre Wangen. „Geht es dir gut?"
„Ja." Sie nickte zitternd.
Ryan drehte ihren Kopf zur Seite und sah auf ihre Wange, die sich bereits langsam zu verfärben begann. „Sicher?" Eine ohnmächtige Wut wallte in ihm auf, als er daran dachte, wie er nichts dagegen hatte tun können, als Ash sie geschlagen hatte.
„Ja, sicher. Jetzt geht es mir gut." Sie schmiegte ihre Wange an seine Hand.
Ryan atmete tief durch. „In Ordnung. Kelsey?" Er wandte den Blick zur Seite.
Sie sah ihn an und zuckte nur mit den Schultern. Er hatte den Verdacht, dass sie nahe dran war, ebenfalls zu weinen, auch wenn sie es gut verbarg. Sie war niemand, der gerne schwach wirkte, vermutlich, weil sie immer die Erfahrung gemacht hatte, dass es nur Schmerzen brachte, sich vor anderen Menschen schwach zu zeigen.
Er rückte ein Stück zu Kelsey und löste den Knoten, mit dem ein Seil hinter ihrem Kopf befestigt worden war und konnte dann endlich den Kleidungsfetzen aus ihrem Mund entfernen, den Ash als Knebel genutzt hatte.
Kelsey beugte sich zur Seite und hustete. Erschöpft richtete sie sich wieder auf. „Danke", flüsterte sie mit rauer Stimme.
Ryan rang sich ein Lächeln ab. „Ich suche was, mit dem ich eure Fesseln aufmachen kann." Er wandte sich ab und begann, in Ashs Rucksack zu wühlen, als sich Motorengeräusche näherten.
Panisch richtete er sich abrupt auf, sodass das Boot gefährlich zu schaukeln begann.
Ein anderes, größeres Motorboot näherte sich ihnen schnell.
„Wer ist das?", fragte Kendra und auch aus ihrer Stimme sprach die Angst, Ash könnte Komplizen gehabt oder gar die Scotts mitgebracht haben.
Ash. Ryan wandte sich suchend um, doch er sah nirgendwo eine Leiche im Wasser treiben.
„Ich habe keine Ahnung", antwortete er verspätet auf Kendras Frage. Vorsichtshalber hob er Ashs Pistole wieder vom Boden auf und steckte sie sich hinten in den Hosenbund, bevor er weiter nach einem Messer oder einer Schere suchte. Wie er Ash kannte, hatte der auch an sowas gedacht.
Tatsächlich fand er in einem der Fächer des Rucksacks ein Messer. Gerade, als er sich damit zu Kendra und Kelsey umwandte, rief seine Freundin: „Es sind Neela und Jalen!"
Pure Erleichterung durchströmte ihn, als er die beiden an Deck des größeren Motorbootes stehen sah, das mittlerweile ein gutes Stück näher gekommen war.
„Geht es euch gut?", rief Neela ihnen zu.
Ryan nickte und reckte den Daumen in die Höhe, als Zeichen, dass sie unverletzt waren. Zumindest körperlich. Besonders was Kelsey anging, war das seelische eine ganz andere Frage.
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Never Too Far
Teen FictionAls Kendra O'Ryan im Rahmen ihres Studiums einen Praktikumsplatz als investigative Journalistin in Houston angeboten bekommt, beschließt sie, anzunehmen - egal, wo es hinführt. Doch wer hätte gedacht, dass sie dort ausgerechnet Ryan Tucker wiedertre...