„Sie will bitte was?" Fassungslos sah Josh seinen Kollegen an.
„Keine Anzeige erstatten", wiederholte der.
„Hat sie gesagt, wieso?"
„Nein." Hogan zuckte die Schultern. „Sie wirkte ein bisschen abwesend, vielleicht wegen der Gehirnerschütterung."
Josh nickte, aber eigentlich wusste er die Wahrheit. Es war seine Schuld. Was hatte er sich nur dabei gedacht?
Er hätte die Diskussion einfach beenden können, hätte nicht immer weiter antworten und erst recht nicht so reagieren müssen! Wenn Kendras und seine Freundschaft jetzt in die Brüche ginge, hätte er sich das allein zuzuschreiben.
Sein Blick glitt suchend über die Menschen, die in der Notaufnahme herum wuselten und blieb endlich an Kendra hängen. Er war erstaunt, als er feststellte, dass sie in seine Richtung sah.
„Lieutenant?"
„Hm?" Abrupt wandte er sich wieder dem Deputy zu.
„Können wir dann jetzt fahren? Ich habe Dienstschluss und meine Frau wartet Zuhause mit dem Essen."
Josh warf einen Blick auf seine Uhr. Auch er hätte vor über einer Stunde bereits Schluss gehabt. „In Ordnung."
Den Großteil der Fahrt zurück zum Polizeirevier legten sie schweigend zurück, aber das war ihm nur recht. Hogan versuchte zwar zu Beginn immer wieder, ein Gespräch in Gang zu bringen, schien aber recht schnell zu dem Schluss zu kommen, dass Josh nicht nach reden zumute war. Was in gewisser Weise stimmte, in anderer Hinsicht aber auch nicht.
Er wollte, er musste, mit jemandem reden, aber nicht über belanglose Themen wie das Wetter oder einen nicht angezeigten Einbruch, sondern über das Mädchen, das sein Herz erobert und soeben entzwei gebrochen hatte.
Er wünschte, er könnte die letzten Minuten rückgängig machen. Schon vorher hatte er gewusst, dass er für sie nur ihr bester Freund war, also warum war er so dumm gewesen, sie zu küssen und damit alles aufs Spiel zu setzen?
Hogan parkte das Polizeiauto auf dem Grundstück des Reviers und verabschiedete sich dann von ihm.
Josh ging noch einmal hoch in sein Büro. Das Gespräch mit Ryan kam ihm schon unendlich lange her vor, obwohl es vor gerade einmal zwei Stunden gewesen war.
Josh ließ sich auf seinen Schreibtischstuhl sinken, die Ellenbogen auf die Knie gestützt und vornübergebeugt. Immer wieder echote die Frage in seinem Kopf, was er sich bloß dabei gedacht hatte.
Irgendein egoistischer Teil seines Herzens hatte wohl doch Gewissheit haben wollen, ob Kendra nicht doch etwas für ihn empfinden könnte, ob es da nicht doch diese winzige, geringe Chance gab, dass auch sie mehr in ihm sah als nur einen Freund.
Es war Wunschdenken gewesen.
Joshs Blick fiel auf das noch immer offene Telefonbuch. Mit einer wütenden Bewegung schlug er es zu. Noch vor zwei Stunden war sein größtes Problem gewesen, ob er seinem Bruder glauben könnte, dass er Christ geworden war, und jetzt?
Josh sah zu dem leeren Schreibtisch hinüber, der seinem Partner gehörte und der seit dessen Hochzeit endlich einmal aufgeräumt war. Josh hatte Marks Flitterwochen genutzt, das Chaos auf dessen Platz endlich einmal zu beseitigen. Mark.
Sein bester Freund würde ihm den Kopf abreißen, wenn er von der Sache mit Kendra erfuhr. Dummerweise war nicht die Frage, ob er es erfahren würde, sondern eher, wann und von wem.
Josh biss sich auf die Innenseiten seiner Wangen. Einerseits würde er am liebsten mit seinem besten Freund über alles reden, andererseits war es noch zu früh. Er war noch nicht bereit, sich anzuhören, was Mark ihm sagen würde. Immerhin ging es hier um seine Schwester und seinen besten Freund.
Josh stöhnte. Mehr Klischee ging wirklich nicht. Er würde viel dafür geben, wäre das alles in einer dieser typischen Teenieromanzen geblieben, anstatt für ihn zur Realität zu werden!
Josh stand auf, schloss sein Büro ab und machte sich im Auto auf den Heimweg. Seine Gedanken kreisten ununterbrochen um Kendra und das, was passiert war.
Was hätte er anders machen können, um das zu verhindern, was passiert war? Hätte er nicht so deutlich zeigen dürfen, dass er sich Sorgen gemacht hatte, als ein Notruf aus der Acapulco Lane eingegangen war? Aber dann hätte Kendra den Ernst der Lage nicht begriffen, dessen war er sich sicher!
Frustriert betrat Josh seine Wohnung. Es war wieder ein Ort, an dem bis vor drei Wochen noch Mark auf ihn gewartet hätte.
„Flitterwochen sind eine dumme Erfindung!", knurrte er wütend.
Er wollte seinen Freund nicht in der verbleibenden Zeit mit Neela wegen seiner Liebesprobleme stören. Zumindest schob er das als Ausrede vor, nicht einfach anzurufen.
In Wahrheit fürchtete er, dass Mark sich auf die Seite seiner kleinen Schwester stellen würde. Diese Seiten waren entstanden, als Josh Kendra einfach so geküsst hatte!
Was um alles in der Welt hatte er sich dabei gedacht?
Mit einer Flasche Bier in der Hand setzte Josh sich auf sein Sofa. Normalerweise waren Mark, Neela und Kendra seine ersten Adressen, an die er sich bei Problemen wandte, aber alle drei waren gerade keine Option.
Ryan würde sich trotz des Gespräches heute vermutlich nicht für seine Probleme interessieren. Ein Anruf von ihm könnte seinen Bruder außerdem womöglich in Gefahr bringen und das wollte er nicht.
Ernüchtert stellte Josh fest, dass er, wenn es darauf ankam, zu wenige Personen hatte, an die er sich wenden könnte.
Er seufzte und sah die Alkoholflasche in seiner Hand an. „Sieht so aus, als würden wir heute Abend zu zweit bleiben."
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Never Too Far
Teen FictionAls Kendra O'Ryan im Rahmen ihres Studiums einen Praktikumsplatz als investigative Journalistin in Houston angeboten bekommt, beschließt sie, anzunehmen - egal, wo es hinführt. Doch wer hätte gedacht, dass sie dort ausgerechnet Ryan Tucker wiedertre...