Einen winzigen Moment überlegte Ryan, bevor er antwortete. „Business. Ich stelle Kontakte zu einer anderen Firma her. Das ist der Grund, warum ich hier bin."
„Oh wow. Ich habe Menschen schon immer bewundert, die sowas machen. Wirtschaft und Geschäfte und so, das ist alles gar nichts für mich."
„Nicht jeder kann alles", erwiderte Ryan mit einem Zwinkern, der seinen spöttischen Unterton relativierte.
„Das ist jetzt schon nicht mehr ganz so charmant", neckte Alyvvia.
„Entschuldige bitte." Es machte Spaß, sich so locker mit ihr zu unterhalten.
„Also, wo kommst du her, wenn deine Arbeit der Grund ist, warum du hier bist?", wechselte sie das Thema.
„Aus einem kleinen Kaff im Norden Texas. Ich glaube, sie sind mittlerweile bei stolzen tausendfünfhundert Einwohnern."
„Oha." Alyvvia lachte. „Das klingt nach Spaß."
„Definitiv", erwiderte Ryan sarkastisch. „Es macht total Spaß, wenn dich gefühlt jeder kennt, aber auch niemand richtig. Aber Hauptsache, alle haben sich eine Meinung über dich gebildet."
Wie kam er dazu, ihr so viel zu erzählen? In letzter Zeit begann er komischerweise leichter, in einen gewissen Plauderton zu verfallen. Auch gegenüber Sawyer, Kayden oder sogar Brooklyn war ihm das schon passiert.
Aber war das wirklich schlimm? Solange er nichts von dem verriet, wer er wirklich war oder was er hier tat, müsste das doch in Ordnung sein, oder nicht?
„Okay, sowas ist wirklich nervig. Ich komme eigentlich auch nicht aus Houston, sondern aus Garden Ridge, das liegt ziemlich genau dreihundert Kilometer westlich von Houston. Wir haben knapp dreitausend Einwohner und glaub mir, da ist es auch nicht viel besser", erzählte Alyvvia. „Ich werde zum Beispiel ständig mit meiner Schwester verglichen. Und wenn ich mal wieder zum Wochenende in Garden Ridge bin, darf ich mir immer anhören, wie groß ich doch geworden bin, obwohl ich mit ziemlicher Sicherheit seit sechs, sieben Jahren nicht mehr gewachsen bin!"
Ryan lachte leise. „Bin ich froh, dass ich nicht in so einer Stadt aufgewachsen bin", gab er wieder mehr von sich preis, als er eigentlich erzählen wollte. Aber Alyvvia hatte etwas an sich, dass es ihm leicht machte, viel zu erzählen.
„Ach, also bist du doch eher ein Großstadtkind?"
„Schuldig im Sinne der Anklage. Aber nur bis ich dreizehn war."
„Das zählt ja kaum", zwinkerte Alyvvia. „Hast du Geschwister?"
„Einen großen Bruder." Maya ließ er außen vor. Es war zu schmerzhaft, über sie zu reden und jemand Fremdes musste das erst recht nicht wissen.
„Immer diesen großen Geschwister." Alyvvia begann mit einem der leeren Gläser zu spielen, die auf dem Tisch standen. „Mir wurde immer gesagt, ich würde meiner großen Schwester ähnlich seien, dabei ist das rein objektiv betrachtet einfach nicht wahr. Ich bin blond, sie ist braunhaarig, ich bin groß, sie klein. Ich habe blaue Augen, sie braune. Ganz ehrlich, ich sehe da nur Unterschiede."
„Vielleicht meinten sie ja eure Charakterzüge, die sich ähnlich sind?", schlug Ryan vor.
„Da ist es genau das gleiche. Aber das schlimme ist ja, dass man trotzdem irgendwie immer die Fußstapfen gepresst wird, die die älteren Geschwister hinterlassen haben."
„Was du nicht sagst", murmelte Ryan.
„Ist das bei dir anders?", wollte Alyvvia wissen.
„Ich schätze, mein Bruder und dich haben eine... spezielle Beziehung. Wir waren jahrelang zerstritten und hatten kaum Kontakt. Die Ähnlichkeiten dürften nur noch äußerlich sein." Da waren sie allerdings extrem. Maya hatte ihn früher immer mal wieder als jüngere Version von Josh bezeichnet oder angemerkt, sie könnten auch Zwillinge sein, die im Abstand von drei Jahren geboren worden waren.
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Never Too Far
Teen FictionAls Kendra O'Ryan im Rahmen ihres Studiums einen Praktikumsplatz als investigative Journalistin in Houston angeboten bekommt, beschließt sie, anzunehmen - egal, wo es hinführt. Doch wer hätte gedacht, dass sie dort ausgerechnet Ryan Tucker wiedertre...