80. Kapitel

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„Ihr seid mir einfach zu gut." Kendra warf ihre Pokerkarten auf den Tisch. „Ich steige aus."

„Abgesehen davon, dass du sowieso nur noch zwei deiner Chips hast?", neckte Luke sie, der ihr gegenüber am Tisch im Gemeinschaftsraum saß und das Doppelte an Spielchips vor sich hatte wie zu Beginn des Spiels.

„Immerhin hat sie sich in den letzten zwei Wochen verbessert." Dass das ausgerechnet von Mike kommen würde, der zu ihrer Rechten saß, damit hätte sie nicht gerechnet. Aber wenn man bedachte, dass er sich mal wieder betrunken hatte, war sein genuschelter Einwurf gar nicht mehr so verwunderlich.

Es war beinahe zu einer Tradition geworden, abends gemeinsam Poker zu spielen. Mittlerweile musste Kendra jedoch zugeben, dass sie es schade fand, dass Ryan zu der Uhrzeit arbeiten musste und nie dabei sein konnte. Aber er hätte vermutlich sowieso keine Lust gehabt, mit zu spielen. Die Luft zwischen Luke und ihm war in den letzten zwei Tagen noch weiter abgekühlt. Die beiden sprachen nur noch das nötigste miteinander und ignorierten sich ansonsten so gut es ging.

Kendra warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. Es war kurz vor eins, die Zeit, zu der sie sich angewöhnt hatte, ins Bett zu gehen. Sie erhob sich. „Die nächste Runde müsst ihr leider ohne mich spielen. Ich werde jetzt ins Bett gehen", verkündete sie.

Die vier Männer, mit denen sie Poker gespielt hatte, sahen auf.

„In Ordnung. Schlaf gut", antwortete Luke mit einem verstehenden Lächeln und auch die anderen wünschten ihr eine gute Nacht.

Kendra holte ihr Schlaf- und Waschzeug aus ihrem Zimmer und machte sich dann auf den Weg ins Bad. Sie war über jeden Tag froh, den sie nicht duschen musste. Seitdem sie beim ersten Mal duschen das Gefühl gehabt hatte, beobachtet worden zu sein, hatte sie nun immer Angst, das könne sich wiederholen. Das war der Grund, warum sie sich auch diesmal so schnell duschte, wie sie konnte, bevor sie ihren Schlafanzug anzog, der aus einer Jogginghose und einem übergroßen T-Shirt bestand, und die Duschräume wieder verließ.

„Kendra." Mike lehnte im Flur an der gegenüberliegenden Wand und betrachtete sie mit einem lüsternen Blick von oben bis unten.

Sie bekam eine Gänsehaut. „Mike", sagte sie so kalt, wie es ihr möglich war. Sie plante nicht, in irgendeiner Form höflich zu sein, sollte er wiederholen, was er vor gut anderthalb Wochen versucht hatte. Seitdem hatte sie nicht allzu viel mit ihm zu tun gehabt, und wenn, dann waren immer noch andere Menschen dabei gewesen.

„Warum ignorierst du mich? Das finde ich nicht gut." Er stieß sich von der Wand ab und kam näher. Sein Blick war eindeutig der eines Betrunkenen.

„Ich ignoriere dich nicht." Sie konnte ihn einfach nicht ausstehen, und wenn sie ehrlich war, hatte sie Angst vor ihm. Besonders wenn er betrunken war, was an den meisten Abenden der Fall war, vorausgesetzt, er musste am nächsten Morgen nicht früh aufstehen.

„Natürlich tust du das. Hast nur noch Augen für deine beiden Jungs." Mike trat weiter auf sie zu und versperrte ihr so den direkten Weg zurück in ihr Zimmer.

„Das sind nicht meine beiden Jungs."

Mike lachte rau auf. „Du hältst sie dir beide warm. Kluges Mädchen."

Kendra schüttelte den Kopf. „Das stimmt nicht, Mike. Und ich würde jetzt gerne ins Bett gehen."

„Ryan ist doch noch gar nicht da." Mike wankte für einen kurzen Augenblick, fing sich dann jedoch wieder.

Kendra kniff die Augen zusammen. „Falls du andeuten willst, dass ich was mit Ryan habe: Das stimmt nicht."

„Ihr schlaft in einem Zimmer und du willst mir sagen, dass da nichts war?" Mike stieß auf und sofort schlug Kendra der ekelhafte Geruch von Alkohol in die Nase. „Junge, der hat ja Geduld." Er lachte auf.

Never Too FarWo Geschichten leben. Entdecke jetzt