Lauf nicht weg

Kapitel 10

„Ich will nicht mehr" murmelt sie nach einer Weile, woraufhin ich sie fragend ansehe „Ich will nach der Zehnten abgehen und mit meinem Realschulabschluss ne Ausbildung machen."
„Warum sagst du das erst jetzt? Und warum willst du überhaupt abgehen?"
„Naja... Seit ein paar Monaten fällt es mir immer schwerer, morgens aufzustehen um in die Schule zu gehen. Früher hat mir Schule immer voll Spaß gemacht, aber in letzter Zeit ist einfach alles super scheiße. Clara ist weg, ich bin die einzige ohne Freund und will einfach nur noch da weg."
„Ach Süße, komm her" murmle ich.
Irgendwie hab ich das Gefühl, dass da noch was ist.
„Ist das alles?"
„Ja."
„Shay, ich merke, wenn du mich anlügst. Da ist noch was, hab ich Recht? Es hängt doch nicht nur damit zusammen, dass du keinen Freund hast."
„Man Wincent! Boah, du verstehst das nicht!" murrt sie und will schon wieder abhauen.
Gerade so bekomme ich sie noch am Handgelenk zu fassen und ziehe sie zurück in meine Arme.
„Shayenne, wenn du nen guten Realschulabschluss und danach ne Ausbildung machen willst, okay, ich unterstütze dich und Mum bestimmt auch, aber sei ehrlich mit uns."
„Es gibt keinen weiteren Grund!"
„Okay."
„Ich will einfach meinen Abschluss machen und dann ne Ausbildung! Da gibt's keinen tieferen seelischen Grund!"
„Shayenne, ist okay" bleibe ich ruhig, wobei meine kleine Schwester schon wieder aufgebracht durchs Wohnzimmer läuft „Aber bitte, bitte, bitte, bitte... jag mir und Mum nicht mehr so ne Angst ein, okay? Ich hab mir unglaublich Sorgen gemacht, Kevin wollte mich fast nicht fahren lassen und Mum hatte Schiss, dass du einfach zu mir nach München gefahren bist. So viel Angst hab ich in ihrer Stimme noch nie gehört, sie hatte eine regelrechte Panikattacke. Shay, bitte. Mach das nie wieder."
„War das echt so schlimm?" murmelt sie uns sieht mich vorsichtig an.
„Naja, als wir erfahren haben, dass du nicht in der Schule warst, fragt man sich, wo du den ganzen Tag warst. Ich hatte echt Angst, dass dir was passiert ist."
„Sorry" flüstert sie und versteckt ihr Gesicht an meiner Brust.
Wir kuscheln noch ein bisschen, bevor Shay doch mal nach oben geht, um Hausaufgaben zu machen, und ich mich nochmal an meinen Laptop setze.

Zwischendurch schreibe ich auch kurz mit Kevin, wann ich wiederkomme, und telefoniere mal mit Amelie wegen der Novembertour.
„Mit dem neuen Abgabetermin und den Proben wird's jetzt aber echt etwas eng."
„Ja, ich weiß, aber ich musste nach Hause."
„Anna hat mir schon so nen bisschen was erzählt, ist alles okay?"
„Geht so... äh du, wir reden ein Andermal, okay? Meine Mum kommt grad nach Hause."
„Okay, bis dann."
„Ach man, das klingt ja wie früher. Sorry, muss Schluss machen, meine Mama kommt."
„Wir haben wichtigeres zu bereden, als meine Tour."
„Hat sie mit dir geredet?"
„Ein bisschen, aber ich glaub da is noch mehr. Das will sie mir nur nicht sagen. Sie hat mir auch versprochen, sowas wie gestern, nicht mehr zu machen. Sei aber bitte nicht allzu sauer auf sie, okay?"
„Na schön, von mir aus" murmelt sie und lässt sich auf dem Stuhl neben mir fallen.
„Mum, sie braucht grade nur etwas Raum und Zeit, aber gleichzeitig auch uns und vor allem dich."
„Wann bist du jetzt wieder erwachsen geworden?" murmelt sie und schmunzelt mich leicht an.
„Ähm, also so richtig erwachsen werd ich, was einige Dinge angeht, denke nicht mehr werden."
Ich klappe meinen Laptop zu und lege einen Arm um sie, bevor ich ihr einen Kuss auf die Wange drücke.
„Sollen wir sie dann mal rufen?"
„Oder du gehst mal hoch, vielleicht sagt sie dir was, was sie mir nicht sagen wollte."
„Das ist denke eher umgedreht, aber ich versuch mal mein Glück."
Ich lächle sie nochmal etwas aufmunternd an, bevor sie aufsteht, mir einen Kuss auf den Kopf drückt und dann nach oben geht. Nachdem ich meine Sachen etwas zusammengeräumt habe, setze ich mich einfach aufs Sofa und scrolle etwas durch mein Social Media, bevor ich dabei ende, etwas mit Marco zu schreiben. Der ganze Frust mit Shay muss raus und wo geht das besser, als bei meinem besten Freund?
„Alter, klingt ja scheiße"
„Kannst du laut sagen... ich würd gern noch länger bleiben, aber muss auch wieder zurück nach München"
„Wie lang kannst du denn noch?"
„Höchstens noch bis übermorgen"
„Shit"
„Shay braucht mich aber"
„Sie hat noch eure Mum, sprich das nachher beim Abendessen an, sie wird es verstehen"
„Mach ich... die beiden kommen grad runter, wir hören uns"
„Jo!"
Ich packe mein Handy weg und kurz darauf liegt Shay wieder in meinem Arm, während meine Mum sich einfach neben mich setzt.
„Ich hab euch lieb" murmelt sie dann aber auch und zieht mich und Shay in ihre Arme.
„Was ist denn jetzt los?" lache ich leicht, lege aber auch nen Arm um meine Mum „Ich euch auch."