Kapitel 46

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Von einem regelrechten Klingelmarathon schrecke ich einmal heftig zusammen und muss erstmal wieder im Hier und Jetzt ankommen. Ich streiche mir einmal kurz übers Gesicht und schaue auf die Uhr, bevor ich zur Tür schlurfe und zur Gegensprechanlage greife.
„Ja bitte?" frage ich direkt, da ich auch echt keine Ahnung hab, wer um zehn noch vorbeikommen könnte.
„Hey, Leo, kann ich hochkommen? Es ist wichtig" höre ich Wincent runterrattern.
„Klar, komm hoch" murmle ich und öffne die Tür.
Ich höre, wie er die Treppen hochrennt und dann erstmal kurz durchatmen muss, als er vor mir im Flur steht.
„Ähm, du machst mir ein bisschen Sorgen" lache ich leicht ängstlich und lasse ihn erstmal rein.
„Alles gut... mehr oder weniger... Boah, ich muss wieder mehr Sport machen" schnauft er „Okay, geht wieder. Ich sag jetzt was und das wird zu neunzig Prozent komplettes Wirrwarr sein und keinen Sinn ergeben, aber es muss raus" plappert er einfach drauf los, wobei er nach den ersten paar Sätzen schon den Faden verloren hat.
Ich verstehe nur einzelne Fetzen ein wenig und versuche das im Kopf so ein bisschen zu ordnen. Irgendwas mit Fehler, Angst, seinem Job, mir, Kuss, Freunde, seine Ex, One Night Stands und dann bin ich komplett raus. Naja, bis er endlich mal zum Punkt kommt. Halbwegs...

„Leo ich kann nicht nur mit dir befreundet sein, das ist mir jetzt klar geworden. Ich verstehe, dass du dich gefühlt gestern erst von deinem Freund getrennt hast und darauf erstmal klarkommen musst, aber ich glaube auch, dass du etwas für mich empfindest. Ich laufe immer weg, wenn ich mal eine Frau kennenlerne, einfach weil ich keinen Bock habe, Kompromisse einzugehen und weil ich Angst habe vielleicht auch ein bisschen. Und ja, ich mache mir jetzt auch gleich in die Hose, weil ich dein Gesicht gerade einfach nicht lesen kann. Aber ich platze einfach wenn das nicht rauskommt! Bei dir fühle ich mich einfach wohl und ich habe keine Ahnung, warum das so ist, allein wenn du anwesend bist, bin ich happy, aber auch total aufgedreht zugleich. Ja, beim Konzert war ich doppelt so aufgeregt, weil ich wollte, dass es dir gefällt. Ich wollte dich beeindrucken. Okay, vielleicht war dieser Zuckerperlen-BH dazu nicht wirklich schlau, aber egal jetzt. Tatsache ist, ich weiß auch nicht genau, was ich für dich empfinde, aber ich weiß, dass ich fucking eifersüchtig werde, wenn ich dich mit einem anderen Typen sehe. Sollte ich nicht, immerhin sind wir NUR Freunde, aber ich werde eifersüchtig. Ich komme mir wie der dümmste Mensch auf Erden grade vor. Ich kenne immerhin deinen Standpunkt, was das alles angeht."
„Du kennst meinen Standpunkt von vor ein paar Monaten" werfe ich ein und ernte prompt einen komplett verwirrten Blick von ihm.
„Was? Wie?"
Wir stehen inzwischen in meinem Wohnzimmer, naja, ich stehe schon die ganze Zeit an meine Couch gelehnt, Wincent ist erst etwas aufgedreht hin und her gelaufen und hat mich nicht wirklich angesehen, seit er angekommen ist, starrt mich jetzt aber mit aufgerissenen Augen an.
„Ja, ich bin noch nicht lange getrennt, aber das hindert mich leider nicht daran, dass ich für jemanden Gefühle entwickle. Ich hab noch keine Ahnung, was ich will, wir kennen uns immerhin kaum, aber ich hab immer eine unglaublich schöne Zeit mit dir, ich fühle mich in deiner Gegenwart wirklich gut. Keine Ahnung, was das ist."
Wincent sieht mich immer noch einfach an und bewegt sich kein Stück. Dieser Anblick bringt mich ziemlich zum Schmunzeln und ich mache einfach drei Schritte auf ihn zu, um vorsichtig seine Hand zu nehmen.
„Ich mag dich echt" wiederholt er nochmal und sieht mir diesmal in die Augen.
„Ich dich auch" erwidere ich nur und nähere mich ihm noch ein kleines Stück.
„Ich bin bereit Kompromissen einzugehen, aber ich hab auch Angst, dass du dazu noch nicht wieder bereit bist und -bitte versteh das jetzt auf keinen Fall falsch- ich nur ein Lückenbüßer wäre."
„Wincent, ja richtig getrennt bin ich auch erst seit vier Monaten, aber du hast glaube ich kein wirkliches Bild davon, wie es vorher lief. Die Beziehung war schon länger gescheitert, auch wenn ich es mir anfangs nicht eingestehen wollte. Ich weiß nicht, was das hier ist und ich weiß nicht, was das werden kann. Wie wäre es, wenn wir uns erstmal besser kennenlernen, bevor wir irgendetwas überstürzen?"
Wincent fängt langsam an mich anzulächeln, streicht mir vorsichtig eine Haarsträhne hinters Ohr und lässt seine Hand dann direkt an meinem Gesicht liegen.

Schon wieder ist da diese Spannung, nur dieses Mal irgendwie anders... Vorsichtig nähere ich mich ihm wieder und stelle mich ganz leicht auf Zehenspitzen, bevor Wincent seine Lippen zärtlich auf meine legt und mich sanft küsst. Ich spüre direkt ein paar Schmetterlinge in meinem Bauch herum flattern und muss automatisch leicht in den Kuss hinein lächeln. Wincent grinst ebenfalls kurz, bevor er seine andere Hand an meine Taille legt und mich vorsichtig zur Couch schiebt.
„Wie war das mit dem Langsamen?" schmunzle ich, als ich die Lehne hinter mir spüre.
„Sorry, es ist grade irgendwie mit mir durchgegangen" murmelt er, löst sich etwas von mir und kratzt sich im Nacken.
„Das war nicht so gemeint, dass es mir nicht gefallen hat."

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