Kapitel 198

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Wieder zuhause genieße ich den restlichen Tag mit meinem Sohn in vollen Zügen. Kein Social Media, nur mein kleiner Junge und ich. Die Öffentlichkeit hat keine Ahnung, dass ich Vater bin. Ich hab mich nie bereit gefühlt das bekannt zu machen. Es wären zu viele Fragen gekommen, auch nach Leo. Jeder Gedanke an sie tut noch immer so weh. Kilian ist mein größtes Glück und ich liebe es, Vater zu sein, Zeit mit ihm zu verbringen ist ein Privileg für mich. Er ist mein Zuhause. Mein Rückzugsort. Niemals hätte ich mir vor vier Jahren erträumt heute alleinerziehender Vater zu sein. Wobei komplett alleinerziehend eben auch nicht zutrifft. Erstens habe ich die Unterstützung von Familie und Freunden -sowohl meine, als auch Leos- auf meiner Seite und zweitens habe ich meine Frau noch nicht aufgegeben. Ja, es tut weh, an sie zu denken, ich vermisse einfach alles von ihr, aber ich glaube immer noch fest daran, dass sie irgendwann wieder zu uns zurück kommt... Sie kann doch nicht das ganze Leben ihres Sohnes verpassen. Sie kann mich doch nicht für immer alleine lassen... Ich glaube an sie, wirklich! Aber gegen diese Gedanken kann ich leider nichts tun. Manchmal kommen sie einfach hoch. Ich hatte ja schon vorher mit Verlustängsten zu kämpfen, diese Situation hat das einfach nicht besser gemacht. Am schlimmsten sind nicht einmal die Albträume, die ich manchmal habe. Das schlimmste an denen ist einfach, dass sie fast exakt der Realität entsprechen. Meistens nur noch grauenhafter. Aber wirklich schlimm sind die Träume, in denen sie immer noch bei mir ist. Oft träume ich von einem bestimmten Szenario. Beim Aufwachen fällt mein Blick sofort auf meine wunderschöne Frau, die mich wunderschön anlächelt. Ohne, dass einer von uns ein Wort sagt, lehnt sie sich zu mir und wir versinken in einer kleinen Knutscherei. Zumindest bis Kilian ins Zimmer kommt und zu uns aufs Bett springt. Ein Morgen, der perfekter nicht sein könnte. Aber sobald ich wieder zurück in der Realität bin, liegt Leo nicht mehr neben mir. Außer mir liegt keiner im Bett. Ich liege noch immer auf der rechten Seite. Auf ihrem Nachttisch liegt noch immer das Buch, was sie angefangen hatte. Ihr Teil des Schranks ist noch immer voll. Ich kann mich nicht davon lösen.

„Papa!" werde ich von meinem Sohn aus den Gedanken gerissen.
Ich schüttle kurz den Kopf, muss mich orientieren, dann sehe ich zu Kilian runter, der an meiner Hand zieht und sich ranhängt. Er sieht mich aus diesen wunderschönen Augen seiner Mutter an und lacht so herzlich wie sie es auch immer tat.
„Ja?" schmunzle ich und ziehe ihn so hoch, dass ich ihn richtig auf dem Arm habe.
„Können wir noch an den Strand fahren... bitte?"
„Es ist schon spät, Kilian" seufze ich „Es gibt jetzt gleich Abendbrot und dann geht's ins Bett.
Kilian setzt natürlich den ultimativen Hundeblick auf, aber nein... Strand ist heute echt nicht mehr drinnen.
„Morgen, okay?"
„Direkt morgen früh?"
„Nur nicht zu früh, aber okay."

Es wird also der typische Vater-Sohn-Abend bei uns und nachdem ich Kilian ins Bett gebracht habe, setze ich mich nochmal an meinen Rechner. Zumindest bis ein Anruf von Amelie reinkommt. 
„Was gibt's?" gehe ich müde ran.
„Hey, ich wollte nochmal mit dir quatschen nach gestern Abend... Wie geht's dir?"
„Mir geht's ganz okay" seufze ich „Der Tag mit Kilian tat extrem gut."
„Ich hatte gestern wirklich Angst um dich, Wincent. Das war keine gute Idee mit der Tour, glaube ich."
„Du bist nicht mehr in meinem Management, du hast mit den Touren doch eigentlich nichts am Hut."
„Ja, aber du bist mein bester Freund. Leo würde nicht wollen, dass du dich so kaputt machst."
„Du redest von ihr, als sei sie tot" murmle ich.
„Das ist sie nicht... Ich glaube, du solltest mal wieder zur Therapie gehen. Psychisch geht es dir schon so lange nicht mehr gut. Du musst dir die Zeit nehmen, die du brauchst."
„Ich hab mir Zeit genommen und ich nehme mir auch viel Zeit."
„Für Kilian nimmst du dir viel Zeit und das ist richtig, das ist wunderbar, du bist ein wundervoller Vater für deinen Sohn, aber du musst dir auch Zeit für dich nehmen... Was machst du grade?"
„Ich hab eben Kilian ins Bett gebracht und wollte jetzt noch nen Film schauen."
„Ja, ist klar. Den ersten Teil glaube ich dir, aber du sitzt grade bestimmt an deinem Schreibtisch oder so. Das ist nicht gesund..."

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