Long story short

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Han wartete vor der Haustür zu seiner und Minhos Wohnung.
Eingehüllt in einen dicken Wollmantel und einem Schal, der einem Teppich glich. Minho war nirgends zu sehen.
„Minnie hat gesagt, du wolltest uns sehen." In Han's Augen und auf seinen Lippen stand ein Lächeln.
Ich blinzelte ein wenig überfordert darüber ihn ohne seine zweite Hälfte zu sehen, doch nickte.
Mein Kopf puzzelte noch die Teile von vorhin zusammen. Seonghwas Brief. Die Bilder. Chaerins Geschichte und ihre Liste. Ihr Verlobter.
„Geht es dir gut?" Han machte einen Schritt in meine Richtung und strich mir fürsorglich eine vom Wind verwehte Strähne wieder zurecht.
Passend in diesem Moment wirbelte er meine halbherzig hochgesteckten Haare wieder durcheinander.
„Ja." Ich sah aus Han's treudoofen Rehaugen weg. Ich konnte mir nicht vorstellen, was er für schreckliche Dinge über sich ergehen lassen musste. Ich ging auf Abstand zu ihm

„Wo ist Minho?" lenkte ich das Thema um und blickte die Straße entlang. Keiner der Wagen, die ihn verriet, stand am Straßenrand oder war in unmittelbarer Nähe zu sehen.
Han seufzte und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Er musste eine der Traineegruppe übernehmen." Zuckte Han mit den Schultern. „Als dein Anruf kam, ist er grade bei ihnen angekommen. Er hat mich informiert, dass du auf den Weg bist. Ich soll dich zu ihm fahren." Han lächelte wieder breit und munter. Wie ein Sonnenstrahl kämpfte es sich mit voller Kraft durch den Regenhimmel um meinen Verstand.
Ich erwiderte es zaghaft und stakste ihm nach, als er durch den Schneeregen und den ekelig kalten Wind zu einem dunkelblauen Mini lief.
„Macht Kai dir Probleme?" harkte Han erneut nach meinem Stand nach, als ich ihm folgte.
„Nein er..." Eine positive Sache bewirkte Seonghwas Brief bis eben. Ich war abgelenkt von der Tatsache mit Kai im Bett gewesen zu sein, es genossen zu haben.
„Er lässt mir aktuell viele Freiheiten. Es... wir..." ich ebbte ab, als Han plötzlich stehen blieb und sich zu mir umdrehte.
Schwach lächelte er und neigte den Kopf. Er sah aus wie ein kleines Eichhörnchen, dass sich sorgen machte, nicht genügend Nüsse zum Überwintern gebunkert zu haben.
„Cheonsa, du kannst ehrlich mit mir sein, das weißt du. Ich bin nicht Taeyeon oder Suho." Seine kindliche, naive Maske fiel mit seinen Worten und mir gegenüber stand jener Han, der seinem Alter entsprechende Ernsthaftigkeit an den Tag legte. Sein Lächeln gefror, die Züge verhärteten sich, doch behielten jene Fürsorge bei, mit der ich aufwuchs.
Als ich Han nicht antwortete, mischte er sich neben mich und wir liefen im Gleichschritt zu seinem Mini.
„Weißt du, Cheonsa..." fing er an, als wir angeschnallt auf den Sitzen saßen und er den Gang einlegte, um auszuparken.
„Da wo ich herkomme, hat sich nie jemand um mich gekümmert."
Ich sah sein Kinderbild in der Halle der Guerrilla und wollte anfangen zu weinen. Er sah aus wie ein glückliches Kind, eines das von seinen Eltern geliebt wurde, bevor er ihnen entrissen wurden.
„Ich musste funktionieren. Jeden Tag. Ob ich wollte oder nicht. Mein Kopf...Ich kam nie zur Ruhe. Egal was mich bedrückte, lieber fraß ich es in mich rein, als jemanden sehen zu lassen, dass ich verwundbar bin." Lehrte er mich, in seiner Stimme so viel Schmerz und Leid, dass ich ihn am liebsten wieder zum Aussteigen gebracht hätte, ihn in die Arme nehmen wollte.
„Ich will nicht, dass du das gleiche machst. Auch... wenn mein Leben damals und deins jetzt zwei verschiedene Paar Schuhe sind."
Welche die dem jeweils anderem nie passen würden. In den einen warteten Nägel auf den Sohlen in dem anderen Säure. Beide Paare wollte man am liebsten meiden.
„Also rede, wenn dir etwas auf der Seele liegt. Du weißt, dass ich kein Wort nach draußen lasse."
Ich schmunzelte. „Maximal an Minho." Murmelte ich, worüber Han ebenfalls leise lachte. „Und er schweigt wie ein Grab."
„Ich... ich..." Stammelte ich. Was mir heute morgen bei Chaerim und Chan so leicht fiel zu erzählen, hing mir nun schwer im Magen, noch schwerer als bevor ich den Mund aufmachte.
Ich ballte meine Hände zu Fäusten und packte das Problem bei der Wurzel.
„Ich habe mit Kai geschlafen. Mehrmals." Beichtete ich und blickte aus dem Fenster.
„Wie war das für dich?" fragte Han sachlich, unvoreingenommen, den Blick ungetan auf die Straße gerichtet.
Ich wusste nicht was ich erwartete, aber nicht, dass er so ruhig blieb, wo Chaerim mir heute morgen bei nahe die Lichter ausknipste.
„Denkst du es war richtig? Ein Fehler? Hat es etwas in dir verändert?" legte Han mir Fragen in den Kopf, über die mein Hirn sich anstrengte nachzudenken.
„Ich... ich weiß nicht, ob wir die gleiche Ansicht vertreten, wenn wir hier von Richtig oder Fehlern sprechen." Flüsterte ich und friemelte an meinen Händen herum.
Han schwieg einen Moment.
„Das beantwortet nicht meine Fragen Cheonsa." Lenkte er das Thema zurück.
Nun rang ich nach Worten und dachte eine lange Zeit nach. In dieser stellte Han das Radio an und ließ leise Musik laufen.
„Ich denke es war richtig. Aber das gleicht nicht aus, dass es trotzdem ein Fehler gewesen ist." Kam ich zu einem Entschluss und verfolgte mit meinen Augen wie die Regentropfen an der Fensterscheibe herabwanderten.
„Erleuchte mich." Harkte Han nach.
„Richtig weil... es zeigt dass ich Kai vertraue oder zumindest mehr zutraue und ich ihm das gleiche von mir preisgegeben habe. Ein Fehler, da ich Angst habe schlafende Hunde geweckt zu haben."
Han ließ sich meinen Gedanken im Kopf zergehen.
„Sag das nochmal ohne die Metapher."
Ich verfluchte ihn dafür heute genauso wie damals.
Wenn ich ihm damals davon erzählen sollte, wie es in meinem Kopf aussah und ich versuchte Bilder zu verwenden, ließ er mich alles wiederholen. Klar und ausformuliert, mit meinen Worten.
„Es war ein Fehler, weil ich Angst habe mich wieder in Kai zu verlieben, wenn es auch nur Nostalgie war, die in den letzten Tagen in mir aufkam."
Ich sah zu Han herüber, der die Lippen aufeinanderpresste und eine ganze Weile nichts sagte.
Er ließ mir Raum meinen Gedanken etwas hinzuzufügen.
„Er ist fast wieder wie früher, mir gegenüber. Genau das, was ich wollte, um ihn nach meinem Willen zu manipulieren aber... was ist wenn ich denke, dass genau das auf einmal falsch ist? Wenn er auf einmal Reue für damals zeigt und ich ihr verfalle."
Ich erinnerte mich an Kais und mein Gespräch nach Weihnachten, nach seinem Brief, wie er mir beichtete, dass er wusste, was mir angetan wurde. Dass er aber nicht wusste, dass ich so zugerichtet wurde.
Hätte ich ihn gebeten, wäre er vor mir auf die Knie gefallen. So etwas spielte er nicht.
„Würdest du wirklich so denken, würdest du dich das nicht fragen Cheonsa." Folgerte Han.
„Es ist okay so zu fühlen, wie du dich fühlst. Auch wenn du das nicht gewohnt bist und du das alles nicht kennst. Du bist verwirrt. Die Situation, in der du dich befindest, ist dir fremd." Er aktivierte den Blinker und bog an der Kreuzung ab.
„Ich bin mir sicher, die Tatsache, dass du Seonghwa nicht sehen kannst, spielt in deinem Salat auch eine große Rolle. Du suchst dir das, was er dich fühlen lässt bei Kai." Präsentierte Han mir seine Lösung die mir ganz und gar nicht gefiel. Ich prustete bitter auf und sah aus dem Fenster in die verregnete Stadt hinaus.
„Kai und Seonghwa sind zwei ganz verschiedene Paar Schuhe. Seonghwa und ich wir... ich... Ich liebe ihn." Auch wenn ich meine meine Gefühle für ihn ganz unten in meinem Kopf vergrub, mich zwang nicht mehr als nötig an ihn zu denken. Doch eben kroch er immer und immer wieder an die Oberfläche.
„Kai hast du auch geliebt. Du hast für ihn das gleiche gefühlt und verspürt wie für Hwa jetzt."
Seonghwas Spitzname riss den Rest der Wunde wieder ein.
Ich kauerte mich auf dem Beifahrersitz zusammen und wollte nichts weiter als dieses Gespräch endlich hinter mir zu haben.
„Dein Hirn versucht dich wieder auf das Hoch zu bringen, was du mit ihm teilst. Kai ist da die einzige Variable die ähnlich ist. Du meinst du hast Angst dich in ihn zu verlieben, die Chancen können genau so stehen, wenn du Seonghwa weiter austreibst." Analysierte Han weiter.
Ich würde zu gern wissen, wie sein Kopf arbeitete. Was in ihm vorging, um so schnell zu Schlüssen zu kommen, die mich frustrierten, die nicht das waren was ich wollte... die Wahrheit.
Ich wollte von ihm das gleiche hören wie von Chaerim. Wie falsch es war mit Kai zu vögeln, was für eine Schande es war Seonghwa so hintergehen.
Han jedoch kurbelte mich dazu an mir selbst ein Bild von meiner Situation zu machen. Für mich herauszufinden, was ich fühlen oder denken sollte.
Genauso hatte er mich damals gelehrt unter Menschen zu kommen, eine Moral zu entwickeln für die Menschen um mich herum.
„Ich kann Seonghwa nicht einfach wieder sehen, Han." Seufzte ich. Mein Blick wanderte durch das Auto und blieb am Rückspiegel hängen. An ihm herab baumelte ein Lufterfrischer mit einigen der Katzen von Han und Minho.
„Suho bringt ihn um."

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