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Ich wusste nicht, warum das mit Draco mich so beschäftigte. Er war nur ein Junge...

Eigentlich war er viel mehr als einfach nur ein Junge, viel mehr als ein einfacher Erstklässler, aber das wusste ich damals noch nicht... ich war klein, jung und dumm. So, wie eigentlich alle anderen Erstklässler es auch waren. Klein und dumm... nicht bereit zu sehen, was in der Welt um uns herum passierte, nicht bereit, die Augen zu öffnen und zu sehen, das es noch viel schlimmeres um uns herum gab, als fünf Punkte Abzug für ihr Haus. Wir waren klein und dumm, weil wir so viel Zeit damit verschwendeten, Regeln zu beachten, anstatt das Leben zu leben, was wir leben wollten und nicht das Leben, was uns die verdammten Regeln vorschrieben! Einige lebten ihr Leben mehr, andere weniger, aber es war noch nicht genug. Noch lange nicht! Dumbledore hatte uns versucht beizubringen, nicht nach den Regeln zu tanzen, aber natürlich war das eine schwere Aufgabe, denn Dumbledore wollte seinen Job nicht verlieren! Außerdem hatte er die anderen Lehrer, die ihm keinesfalls bei der Abschaffung sämtlicher, zeitverschwendender Regeln, beistehen würden! Und doch war Hogwarts der einzige Ort, an dem man weniger Regeln zu beachten hatte als sonst wo. In Hogwarts war man freier als woanders. Noch lange nicht frei, aber freier als als Muggel in einer Muggelschule und einem Muggelleben.

Aber trotzdem hatte ich das Gefühl, einen guten Freund verloren zu haben. Und dieses Gefühl verschwand nicht! Dieses Gefühl blieb, egal was ich mir einredete.

Am Nachmittag des einunddreißigsten Oktobers, saß ich auf dem Ravenclawtisch in der großen Halle und sah Terry dabei zu, wie er verzweifelt versuchte, seinen Apfel schweben zu lassen. Immer wieder fiel der Apfel auf den Tisch oder drehte sich einfach nur von links nach rechts. Es war zu lustig. Ich lachte immer wieder, weil Terry so ein angestrengtes Gesicht machte. Seine Stirn zog sich dann über der Nase zu steilen Falten zusammen und seine Augen verengten sich.
„Komm damit klar, du kannst es einfach nicht!", lachte ich gerade, als Draco die große Halle betrat und mich kurz musterte. Seine Augen blitzen, dann setzte er sich zu Pansy Parkinson, der arroganten Maus und Blaise Zabini, dem viel zu hübschen Slytherinangeber. Ich wollte nicht zu Draco sehen, nie wieder, aber heute war etwas anders. Sonst hatte ich mich immer unter Kontrolle bringen können. Ich hatte es sogar einmal geschafft, ihn ein ganzes Mittagessen lang nicht anzusehen und auch sonst war es mir gut gelungen, ihn so zu ignorieren, wie er es mit mir tat. Aber heute war es anders. Meine Aufmerksamkeit war von jetzt auf gleich nicht mehr auf Terry und seinem Apfel, sondern auf Draco. Seinen Händen, die eine Feder zwischen den Fingern drehten und dem Ring, der an seinem Ringfinger lag.
„Clarisse, schau! Es funktioniert!", rief Terry plötzlich und ich wandte meinen Blick von Draco zu Terry, der erfreut den Apfel in der Luft balancierte.
„Schön!", sagte ich und versuchte mir nicht anmerken zu lassen, wie wenig es mich gerade interessierte, ob Terry seinen verdammten Apfel jetzt schweben lassen konnte oder nicht. Ich sah wieder zu Draco. Sein Blick lag auf mir und für eine Millisekunde starrten wir uns an, dann wandte er den Blick wieder ab. Parkinson warf mir einen kurzen, abwertenden Blick zu, dann flüsterte sie den anderen etwas zu und die lachten. Blaise Zabini sah zu mir und winkte höhnisch. Draco sah mich an und es lag fast so etwas wie eine stumme Entschuldigung in seinen Augen, aber ich schüttelte nur kurz wütend den Kopf.
„Terry, ich gehe nochmal kurz in die Bibliothek, ja?", sagte ich, sprang vom Tisch und lief, ohne Draco und die anderen, die noch immer lachten, auch nur eines Blickes zu würdigen, aus der Halle. Was sollte das? War ich plötzlich zur Witzfigur geworden? Damit, dass Draco mich ignorierte, war ich besser klargekommen, als damit, dass er mich auslachte. Wütend stiefelte ich in die Eingangshalle, in der ich mich ratlos umsah. Wo sollte ich hin? Ich beschloss, den strömenden Regen draußen zu ignorieren und zu Hagrid zu laufen, mit dem ich mich in den letzten Wochen einigermaßen gut angefreundet hatte, weil ich einmal schutzsuchend in seine Hütte gelaufen war, als es draußen plötzlich anfing zu regnen und ich gerade allein auf dem riesigen Gelände Hogwarts' herumstromerte. Ich trat aus dem riesigen Schlosstor und Regen fiel mir vor die Füße. Der kleine Vorsprung über mir war das einzige, was mich noch vor dem Regen schützte. Kalter Wind wehte mir entgegen und ich wappnete mich schon dafür, durch den eisigen Regen hinüber zu Hagrid zu rennen, als das Tor erneut geöffnet wurde und jemand neben mich trat.
„Hey, tut mir Leid wegen eben, ich wollte dich nicht auslachen! Pansy meinte nur..." Draco verstummte.
„Warum redest du jetzt wieder mit mir?", fragte ich Draco müde.
„Ich... weiß es auch nicht! Ich wollte mich nur entschuldigen, dass die anderen dich ausgelacht haben..."
„Draco, du hast mich auch ausgelacht!", sagte ich und versuchte nicht so kraftlos zu klingen, wie ich mich plötzlich fühlte.
„Ich... ich weiß! Tut mir Leid! Ich wollte nicht... können wir nicht einfach... tut mir Leid, wirklich!"
Ich hatte keine Lust mich zu streiten, vor allem nicht mit Draco.
„Alles gut!", sagte ich und versuchte ein Lächeln auf meine Lippen zu zaubern.
„Wirklich? Ich meine... ich war wirklich nicht nett zu dir und vielleicht war das auch falsch und deshalb... also ich wollte nicht so beschissen zu dir sein, nur meine Eltern-"
„Draco, ich will es gar nicht wissen, ja? Alles okay!"
„Ich dachte... du bist sauer auf mich oder so..."
Ich musste lächeln. Draco erinnerte mich plötzlich an ein kleines Kind, was ein Glas kaputt gemacht hatte und jetzt zu seiner Mutter ging um sich zu entschuldigen. Mir wurde wärmer, als ich bemerkte, dass Draco auch noch diese andere Seite hatte. Die, mit der er nicht abwertend und kalt war, sondern die, mit der er verletzlich war wie jeder andere auch. Die, die zeigte das Draco auch nur ein Mensch war. Und verdammt, wir waren elf!
„Nein, bin ich nicht! Am Anfang, ja... aber alles gut. Wirklich!"
Draco sah mich einen Moment lang an, dann atmete er erleichtert auf und lächelte.
„Ich wollte mich nur..."
„Entschuldigen, ich weiß!"
Draco lächelte immer noch und ich hatte plötzlich das verwirrende Verlangen, ihn zu umarmen. Aber das ging natürlich nicht.
„Also ist... alles okay?"
„Ja, alles okay!"
Und so standen wir vor dem riesigen Schlosstor und lächelten uns an und die ganze Situation wirkte so unwirklich, dass ich lachen musste.
„Warum lachst du?", fragte Draco mich überrascht und ich schüttelte lachend den Kopf. Vielleicht lachte ich vor Erleichterung. Vielleicht lachte ich, weil das ganze so absurd war oder vielleicht lachte ich, weil ich glücklich war.
„Ich weiß es auch nicht!" Ich wischte mir eine Träne der Erleichterung aus dem linken Auge und lächelte.
Draco lachte.
„Okay, bist du so erleichtert, dass ich auch manchmal merke wenn es denen scheiße geht, die ich mag?"
Kaum hatte er das gesagt, starrte er mich entsetzt an. „Habe ich das gerade laut gesagt?"
Ich lachte und versuchte zu verbergen, wie glücklich mich diese Aussage machte.
„Ja, hast du!"
Dracos Wangen wurden rosa.
„Oh.", sagte er kaum hörbar. Ich lächelte.
„Also sind wir jetzt..."
„Klassenkameraden, die sich gut verstehen? Sowas wie... Fast-Freunde?", sagte Draco und die Röte verschwand wieder aus seinem blassen Gesicht.
„Okay.", sagte ich und hoffte, dass aus den Fast-Freunden noch Ganz-Freunde werden würden.
„Gut...", sagte Draco und sah mich kurz an. Dann umarmte er mich. Nur ganz kurz, ein bis zwei Sekunden lang, aber mein Herz machte einen Sprung. In seinen Armen fühlte ich mich sicher, geborgen, warm... aber so plötzlich die gekommen war, so plötzlich war die Umarmung auch wieder vorbei. Draco drehte sich um und ging wieder ins Schloss. Ich sah ihm hinterher und lächelte. Alles war gut! Und er hatte mich umarmt...

he's just a boyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt