38

2.2K 120 9
                                    

Ich starrte ins Dunkle nichts.
Die anderen Mädchen schliefen schon und ich lag seit mindestens zwei Stunden wach und konnte nicht einschlafen, weil mir zu viel durch den Kopf ging.

Ich dachte an Draco und an meine Mom und daran, dass sie schon wieder geweint hatte, als sie mich verabschiedet hatte.
Ich dachte an Terry und daran, wie sehr es ihn verletzte, dass Padma ihn hasste. Auch wenn er es nicht zeigte, ich sah die Blicke die er ihr zuwarf, sah die Hoffnung in seinem Blick, wenn sie sich einmal lächelnd an ihn wandte.
Und Draco.
Als ich daran dachte, was Terry gesagt hatte, darüber, dass er Draco den Klatscher nur ins Gesicht geschlagen hatte, weil Draco mich angesehen hatte und daran, dass Terry behauptet hatte, dass Draco die Augen nicht von mir lassen konnte, hatte ich das Gefühl, in meinem Bauch würde eine Welle gegen eine Klippe branden und das Wasser schäumend an der kahlen Felswand herunterlaufen. Das Gefühl war schön, aber es schmerzte. Es schmerzte, wenn ich daran dachte, wie herablassend Draco mich ansah, wie wütend er geworden war, als er mich gesehen hatte, dass er kein Wort mit mir gewechselt hatte, seit dieses Schuljahr angefangen hatte.
Ich fühlte mich ausgelaugt und kalt.
In meinem Inneren schien nichts als kalte, kahle Felswand zu sein, die die Wellen gegen sich schwappen ließ und das Wasser mit jedem einzelnen Mineral in sich abwies.

Ich stand auf und verließ den Schlafsaal, den Gemeinschaftsraum und den Ravenclawturm.
Auf den Gängen war niemand, weswegen niemand hörte, wie ich anfing zu singen.
Ich tat es nicht mit Absicht. Es war, als würde meine Zunge die Worte einfach so formen, meine Stimmbänder sich von alleine spannen und als würden meine Lippen sich ohne meinen Zwang öffnen. Und die Melodie kam aus mir heraus wie ein klarer, kleiner Bach der ruhig durch eine Wiese floss.
Ich hörte nicht, ob das, was ich sang gut war, aber es tat gut, durch irgendeine Art meinen Gefühlen freien Lauf zu lassen.

Ohne es zu bemerken, war ich zur Bibliothek gelaufen. Meinem Zufluchtsort, an dem es immer leise war, an dem jeder seinen eigenen Gedanken nachhing, ohne sie zu teilen. Dem Ort, an dem die Weisheit der Bücher auf die der Menschen traf, sich verband, für eine bestimmte Zeit lang ein Band herstellte, welches zerriss, wenn man das Buch zuschlug oder den Raum verließ.

Ich betrat den Raum und als ich die Tür leise hinter mir schloss, legte sich Stille über die, durch den Vollmond erhellte, Bibliothek.

Ich ging die Buchreihen entlang, ließ meine Finger über die Buchrücken gleiten und fragte mich, ob Draco noch wach war. Ob er vielleicht mit den selben Gedanken in seinem Bett lag oder gerade wie ich im nächtlichen Schloss herumstromerte.

„Nein", murmelte ich wie, um mich zur Vernunft zu bringen. „Er denkt nicht an dich, er schläft, wie alle anderen. Träumt von seinem Zuhause, seinen Freunden und vielleicht Pansy Parkinson. Er hasst dich!"
Aber Terry hat gesagt, Draco kann die Augen nicht von dir lassen! sagte eine leise Stimme in meinem Kopf. Am liebsten hätte ich gelacht, weil diese Stimme so albern war. Sich an das letzte Stückchen Hoffnung klammerte und darauf beharrte, als sei es das letzte, was sie im Leben hielt. Aber anstatt dass ich auch nur grinste, füllten sich meine Augen plötzlich mit Tränen. Vielleicht hatte Draco an genau dieser Stelle gestanden und...
„Stopp!", sagte ich wütend. „Hör auf. Hör auf!"
Ich fuhr mir mit beiden Händen in die Haare. Ich musste mich zusammenreißen! Ich war zwölf, verdammt!

Aber plötzlich musste ich daran denken, wie Draco roch. Wie es sich angefühlt hatte, ihn zu umarmen...
Eine Träne tropfte von meinen Wimpern und lief über meine Wange.

Was, wenn meine Mom genau in diesem Moment starb? Wenn sie ihren letzten Atemzug genau in diesem Augenblick tat?

Die Tränen liefen jetzt unaufhaltsam über meine Wangen und am liebsten wäre ich weggerannt. Irgendwohin, wo niemand hinkam und mich sehen konnte.
Aber stattdessen ließ ich mich, an das Bücherregal hinter mir gelehnt, auf den Boden sinken und vergrub den Kopf in den Armen.
Heiße Tränen tropften auf meine Hände und flossen über meine Finger um an deren Ende in schwarzen Locken zu laufen.

Es fühlte sich an, als würde ich stundenlang in der Bibliothek sitzen und weinen, aber irgendwann hörte ich, wie jemand neben mich trat.

Filch! war mein erster Gedanke. Dann drehte ich leicht den Kopf.
Terry.
Davis.
Michael oder Anthony.
Draco!?

Aber der, der sich neben mich setzte, war keiner von denen. Der, der sich neben mich setzte, war Damian Armstrong aus der Slytherin Quidditchmanschaft.
Als ich ihn erkannte, sprang ich auf und machte Anstalten wegzurennen. Doch dann sah ich wieder zu dem Drittklässler, der dort auf dem Boden saß und mich nicht ansah.

„Was willst du?", fragte ich und der Junge sah auf. Im Mondlicht leuchteten seien Augen grün.
„Ich weiß auch nicht....", sagte er unentschlossen. Ich wischte mir über die Wangen, bevor ich skeptisch auf Damian heruntersah.
„Warum bist du dann hier?"
Damian hob die Schultern.
„Ich weiß nicht."
Ich hob eine Augenbraue.
„Aha?"
„Ich konnte nicht schlafen."
Ach nee, ich dachte er hätte sich einen Wecker gestellt um genau jetzt aufzuwachen und in die Bibliothek zu gehen.
„Und?"
„Und dann bin ich eben hier her gekommen."
„Und dann hast du dir gedacht: Oh, eine Zweitklässlerin. Die weint gerade, setze ich mich doch neben sie."
Damians Lippen umspielte ein Grinsen.
„Genau, so wie immer."
Meine Mundwinkel zuckten, dann riss ich mich zusammen.
„Normale Menschen sehen eine weinende Person und denken sich, zu Recht, dass diese Person jetzt allein sein will. Vor allem, wenn sie diese Person nicht kennen!", sagte ich kühl. Damian zuckte die Schultern.
„Warum eigentlich? Wäre es nicht viel netter, sich immer dazuzusetzen und zu versuchen die Person zu trösten?"
„Schon mal überlegt das diese Person vielleicht nicht getröstet werden möchte?", fragte ich bissig. Damian hob grinsend die Hände.
„Entschuldige vielmals"
„Oh ja, da würde ich mich auch entschuldigen!", murmelte ich wütend, bevor ich mich umdrehte und zum Gehen wandte. „Idiot"
„Das habe ich gehört!", rief Damian mir hinterher und ich konnte das Grinsen auf seinem Gesicht förmlich vor mir sehen.

„Wer ist ein Idiot?"
Ich zuckte zusammen, als plötzlich jemand vor mir stand.
„Sind hier Nachts immer so viele Leu- oh."
Es war Draco. Und seine Stimme war tiefer geworden.
„W... was machst du denn hier?"
Draco sah mich schweigend an, dann zuckte er die Schultern.
„Warum bist du so wütend auf mich? Was habe ich dir getan?"
Draco sah mich immer noch mit verschlossenen Lippen an. Plötzlich blitzten seine Augen zornig auf.
Er sagte nichts mehr, als er sich an mir vorbeischob und im Dunkeln verschwand. Meine Hand kribbelte, als seine diese kurz berührte.

War das das einzige gewesen, was er zu mir gesagt hatte?
,Wer ist ein Idiot?'
Du Draco, du!, dachte ich wütend und wischte die Tränen von meinen Wangen, die schon wieder von meinen Wimpern tropften, bevor ich die Bibliothek wieder verließ und den Schmerz in meiner Brust ignorierte, der mich förmlich von Innen auffraß.

he's just a boyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt