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Am nächsten Morgen brauchte ich weniger als eine Minute um mich umzuziehen und in den Gemeinschaftsraum zu rennen. Ohne auf die anderen zu warten rannte ich aus dem Gemeinschaftsraum und lief so schnell es ging hinunter zur Großen Halle. Dort angekommen stießen ich auf einen leeren Raum. Es war niemand da. Ich war zu früh.

Keuchend ließ ich mich auf eine Bank am Ravenclawtisch fallen und starrte auf das Eingangsportal, durch das jetzt ein paar Frühaufsteher trudelten.
Darya setzte sich neben mich.

»Du siehst aber ganz schön fertig aus«, sagte sie und schaufelte sich Rührei auf den Teller. Ich zuckte die Schultern.
»Habe nur zwei Stunden geschlafen«
»Schlau... woran lag's?«

Ich kam nicht dazu ihr zu antworten, denn in diesem Moment betrat Billie die Große Halle.

Sie sah blass aus, noch blasser als sonst. Unter ihren Augen lagen tiefe Schatten, ihre Lippen waren aufgeplatzt und ihr Blick huschte umher.

Ich sprang auf, lief auf sie zu und schloss sie in die Arme, bevor sie mich überhaupt bemerkt hatte. Unsicher hustete sie, doch ich ließ nicht von ihr ab. Ich dachte nicht einmal daran. Fest drückte ich sie an mich, sog ihren Geruch ein, von dem ich zwischenzeitlich gedacht hatte, ich würde ihn nie wieder riechen und irgendwann erwiderte sie die Umarmung. Schweigend standen wir da, aneinander gedrückt, die Augen geschlossen, unfähig etwas zu sagen.

Als wir uns wieder voneinander lösten, spürte ich, wie eine Träne an meinen Wimpern zog. Schnell wischte ich sie weg.

»Du weißt ja nicht, was ich für Angst hatte«, flüsterte ich und Billie zuckte die Schultern.
»Ist ja nichts passiert«
»Aber das wussten wir ja nicht! Ich dachte, du wärst...« Ich brachte es nicht über mich, meine Gedanken auszusprechen.

Betreten sah Billie zu Boden, als ich aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahrnahm. Meine Augen huschten zu Damian, der Billies Hinterkopf anstarrte. Scheinbar hatten sie sich heute morgen noch nicht gesehen.

»Billie, ich glaube...« Noch bevor ich den Satz zu Ende sprechen konnte, drehte sie sich um, als hätte sie Damians Blick gespürt und er kam mit großen Schritten auf uns zu und umarmte sie. Überfordert versteifte Billie sich, ihre Augen wurden groß, ihre Hände zitterten ein wenig. Damian vergrub sein Gesicht in ihren Haaren und machte keine Anstalten sie loszulassen. Seine Augen waren geschlossen, seine Lippen aufeinander gepresst.

Noch immer erwiderte Billie seine Umarmung nicht, doch Damian drückte sie fester und schließlich vergrub sie ihr Gesicht an seiner Brust und holte zitternd Luft.

Ich konnte meinen Blick nicht von den beiden nehmen, wie sie da standen, als hätten sie nie etwas anderes getan als sich zu umarmen. Als wäre es nicht ihre Routine, sich den ganzen Tag zu streiten. Als würde Billie ihn nicht ständig anschnauzen, als wäre er nicht manchmal kurz vor dem Verzweifeln, weil sie ihn nicht an sich heran ließ. Als wären die beiden weit mehr, als das, was sie eigentlich waren.

Damian murmelte etwas und Billie schluchzte leise auf. Sie schluchzte!

Und dann war der Moment auch schon wieder vorbei und Billie löste sich aus Damians Armen, drehte sich um und wischte sich, während sie zu den Mädchentoiletten lief, hastig über die Augen.

Ohne irgendjemanden anzusehen verschwand sie die Treppe hinauf.

Damian sah ihr hinterher, dann wandte er sich an mich.
»Sie hat mich nicht von sich gestoßen, Clarisse. Sie hat sich sogar näher an mich gekuschelt!« Seine Augen leuchteten und er lächelte ein wenig. »Vielleicht sollte sie öfter entführt werden«

Ich lachte ein bisschen und versuchte mir unauffällig die Tränen aus den Augenwinkeln zu wischen.
»Du nicht auch noch«, ertönte eine bekannte Stimme und ich sah zu Draco, der mich ein bisschen unbeholfen angrinste.
»Warum auch?«, fragte ich und schniefte ein bisschen.
»Pansy hat heute morgen auch geheult. Aber ich weiß nicht, warum«

he's just a boyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt