Das Leben ist kein Wunschkonzert

SECHSUNDFÜNFZIG

Da ich nicht wirklich Lust hatte, die ganze Geschichte zu erzählen, entschied ich mich für die kurze Variante. Wortlos drehte ich mich mit dem Rücken zu meinem Lehrer und zog mir mein T-Shirt über den Kopf.

Ich hörte, wie mein Lehrer scharf die Luft einzog. "Vitus... Ich weiß gar nicht, was ich jetzt sagen soll.", stotterte er. Ich wusste genau, wie entsetzlich mein Körper aussehen musste. Mein gesamter Oberkörper war von Hämatomen bedeckt und mein Rücken von den relativ neuen Narben übersäht.

"Warum hast du denn nie etwas gesagt, Vitus?" fragte Herr Koch entsetzt, doch ich zuckte nur mit den Schultern, während ich mich wieder umdrehte.

"Wie würden Sie denn reagieren, wenn Sie jeden Tag zuhause geschlagen werden und davor Angst haben, dass der Tag kommt, an dem er sich nicht mehr zurückhalten kann und Sie dann doch mindestens halbtot prügelt. Und wenn Sie dabei noch wissen, dass zwar Ihr Vater Sie schlägt, aber er doch unschuldig ist, dann gehen Sie nicht unbedingt zu jemandem und erzählen alles.", erklärte ich meine Lage.

Ich merkte, wie geschockt mein Lehrer nach meiner Erzählung war, denn er brauchte einen Moment, bevor er sich wieder gefasst hatte.

"Vitus... Seit wann ging das denn so? Ich meine, wie lange hat keiner gemerkt, wie es dir geht?", fragte er perplex und ich antwortete trocken: "Ein paar Monate.".

Herr Koch schüttelte nur entsetzt den Kopf. Er sah so aus, als ob er noch mehr Fragen stellen wollen würde, doch Robin unterbrach ihn: " Das mit der häuslichen Gewalt ist sehr schlimm, aber das jetzige Problem ist, dass er aus dem Jugendwohnheim geschmissen wurde.".

Das Gespräch nach Lösungsvorschlägen lief relativ lange, doch irgendwann wurden wir unterbrochen, weil Marie und Frau Meyer die Sporthalle betraten.

"Hier bist du. Vitus wir haben dich gesucht. Was ist den hier passiert?", fragte Marie erstaunt und musterte Robin und seinen Kollegen.

"Lange Geschichte.", nuschelte ich und blickte entschuldigend zu Marie. Sie hatte sich wahrscheinlich Sorgen um mich gemacht. Ich hatte ihr gegenüber einfach ein schlechtes Gewissen.