kaltes Erwachen

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Als ich das erste Mal wieder bei vollem Bewusstsein bin, und nicht mehr in der Schattenwelt zwischen Schlaf und Wachsein hänge, sind die Schmerzen der Werwolfbisse beinahe verschwunden.
Aber... wieso lebe ich noch? Die Todesser, sie wollten mich doch umbringen, oder nicht? Und dann wird mir klar, weshalb ich noch hier bin.
Ein weiterer Werwolf in den Reihen des dunklen Lords. Ich werde ein zweiter Greyback sein müssen, wenn ich nicht fliehe oder auch wenn ich nicht sterbe. Zauberer und Hexen zu düsteren Kreaturen machen und sie dann auf die Seite des dunklen Lords ziehen. Das wird meine neue Aufgabe. Es ist, als würde sich in meinem Magen ein weiteres Loch auftun, eine weitere Wunde, diesmal jedoch ohne jede Hoffnung auf Heil. Ich bin ein Werwolf, eine Schattenkreatur und ganz sicher nicht mehr ich. Was Draco wohl dazu sagt, Draco, der doch magische Kreaturen immer so sehr verabscheut hat.
Und dann reißt ein unbeschreiblicher Schmerz mir das Herz aus der Brust. Draco kann gar nichts mehr dazu sagen. Draco ist tot. Weg, verschwunden, nicht mehr da und das für immer.
Verschwommen erinnere ich mich daran, was sein Vater sagte; Dass er beginnen wolle, damit ich zusehen müsse, wie Draco stirbt... Aber ich habe es nicht gesehen. Denn kurz vorher haben die Schmerzen und die Angst mich in die Schattenwelt gezerrt.
Und jetzt werde ich ihn nie, nie, nie mehr sehen können...
Plötzlich geht die Tür auf und eine Hauselfe kommt herein. Als das kleine Wesen sieht, dass ich wach bin, hüpft es besorgt auf mein Bett. Wo bin ich eigentlich?
„Miss muss liegen bleiben, liegen bleiben, Miss muss unbedingt liegen bleiben, wenn sie wach ist, dass hat Herrin der Nisa gesagt! Und der schwarze Mann hat das auch gesagt, alle sagen liegenbleiben!"
Mein Kopf dröhnt von der schrillen Piepsstimme der Elfe, doch das ist ja nicht ihre Schuld. Und wer ist der schwarze Mann? „Nisa heißt du?" Ich bin selbst erschrocken, wie rau meine Stimme klingt. „Wo bin ich?" „In Malfoy Manor, Miss!"
Der Name bringt einen stechenden Schmerz mit sich. Malfoy. Ich schließe einen Moment die Augen und versuche ganz ruhig tief durch zu atmen.
„Nisa. Kannst du mir sagen, was passiert ist? Ich dachte ich... ich würde sterben."
Die übergroßen, runden Augen von Nisa weiten sich vor Schreck. Angstvoll presst sie die dünnen Hände auf ihre riesigen Fledermausohren. „Nisa weiß nichts darüber! Nisa darf gar nichts wissen! Nisa weiß überhaupt nichts!" piepst sie eindringlich.
„Nisa holt jetzt die Herrin!" Und damit ist sie auch schon wieder davongetrippelt.
Ich versuche, mich aufzurichten. Ohne Erfolg. Wellen stechenden Schmerzes jagen durch all meine Glieder, und jetzt spüre ich auch sämtliche Verbände um meinen Körper.
Als sich die Tür zu meinem Zimmer zum zweiten Mal öffnet, ist es kein Hauself, sondern Narzissa Malfoy.
„Du bist also wach." „Mir brauchen Sie das nicht zu sagen." Ich mustere sie eingehend. Eigentlich sieht sie nicht so aus, als hätte sie in letzter Zeit besondere Trauer durchlebt. Andererseits – sie ist eine Malfoy. Man weiß ja nie, was für Zeug denen durch den Kopf geht. „Manchmal sollte man auch offensichtliche Tatsachen feststellen."
Ach ja, denke ich mit urpötzlichem Zorn im Blut, und wieso sagst mir dann nicht ist Gesicht, dass dein Sohn tot ist und damit meine Liebe? Heuchlerin!
Doch antworten tue ich nur: „Und manchmal auch nicht."
Und die Fragen, so viele, dass ich sie gar nicht alle aussprechen kann. Also fasse ich das alles in einer einzelnen Frage zusammen. „Können Sie mir sagen, was passiert ist?"
Wieso bin ich nicht tot?
Wieso ist Draco nicht hier, wo ich doch lebe?
Wieso wurde ich gesund gepflegt?
Was ist geschehen, nachdem ich das Bewusstsein verloren hatte?
Was passiert jetzt?
Bin ich jetzt für immer ein Werwolf, ein Monster, eine unkontrollierbare Bestie?
„Am besten beginne ich direkt da, von wo ab du weg warst.
Lucius hat Draco nicht getötet. Als..."
Narzissa redet immer weiter, von Jumps, Obliviate-Zaubern und Gedächtnissen, doch ihre Stimme wird erstickt von meinen rasenden Gedanken. Draco...ist...nicht tot? Er lebt? Ist sogar unverletzt? Und er ist nicht hier. Nicht bei mir.
„Wieso ist er nicht hier?" frage ich, ohne darauf Rücksicht zu nehmen, dass ich Narzissas Erzählung unhöflich unterbreche.
Sie schweigt einen Moment. „Mein Sohn hat- Er ist leicht verunsichert, wie er jetzt damit umgehen soll. Natürlich ist das kein Vergleich zu dem, wie du dich fühlen musst, doch auch für ihn ist es kompiziert. Du musst verstehen-" „Angst" stoße ich hervor, „Ihr Sohn hat Angst. Draco-" Meine Stimme kippt, als ich seinen Namen ausspreche. Ich räuspere mich. „Draco hat magische Tierwesen schon immer gefürchtet. Weil er sie nicht kennt. Und weil Tiere nicht darauf achten, was für ein Ansehen die Familie hat oder wer der Vater von sonst wem ist. Draco kann Tierwesen nicht kontrollieren, nicht wie bei fast allen Anderen. Und das macht ihm Angst. Und jetzt bin ich für ihn ein Monster geworden, jetzt hat er Angst" erwidere ich hitzig.
Ohne es zu merken oder zu wollen hat sich meine Stimme erhoben.
„Sie sollten sich noch etwas schonen, Miss von Greenskape. Ihre Lunge wurde leicht beschädigt, also sparen Sie sich den Atem."
Ungläubig starre ich auf den zweiten Besucher. Das muss der 'schwarze Mann' sein.
„Was tun Sie denn hier?" frage ich in nicht sehr höflichem Ton.
Snape tritt näher und stellt einen dampfenden Becher mit irgendwelchem Zeug auf einem Nachttisch ab, dem ich bisher keine Aufmerksamkeit geschenkt hatte.
„Ich bin einer der Wenigen, die des Wolfsbanntrank auf vernünftige Art und Weise zu Stande bringen. Also habe ich mich entschlossen, Hogwarts für drei Tage zu verlassen und meiner ehemaligen Schülerin ihr weiteres Leben zu erleichtern." Kühl wie eh und je. Aber es gibt wichtigeres. Wolfsbanntrank?
„Wenn dieser Trank schnell genug nach dem Biss verabreicht wird, kann die Verwandlung gemindert werden. Bei richtiger Wirkung sollten sich Sie bei Vollmond in keinen Werwolf verwandeln, sondern ich einen gewöhnlichen Wolf, allerdings werden sie nach wie vor in dem Zustand vergessen, wer Sie sind."
Ich lasse mich wieder zurück in die Kissen sinken. Immerhin, die Welt sah schoneinmal düsterer aus.
Ich werfe einen Blick aus dem Fenster. Draußen strahlt eine heiße Sonne.
„Wie spät ist es überhaupt?" „Vormittag" kommt die knappe Antwort von Snape. „Und wenn Sie das jetzt nicht trinken, hilft es nicht."
Ach richtig. Der Wolfsbanntrank. Ich atme tief ein und setze mich dann umsichtig auf.
Plötzlich bemerke ich, wie hungrig ich eigentlich bin. Mit einem einzigen Zug schlucke ich den gesamten Inhalt des Bechers – was auch gut ist, da das Zeug schmeckt wie flüssiger Sand oder Staub. Ich verziehe das Gesicht. Ekelhaft.
Für einen Moment habe ich nicht daran gedacht, weshalb ich hier liege, einen widerlichen Trank trinke und weshalb Draco nicht bei mir ist.
Doch jetzt wird mir schlagartig bewusst, dass er zwar lebt, mich nun aber niemals wieder ansehen oder gar berühren wird.

moon & miseryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt