Flucht

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Ohne dass ich es gemerkt hätte, habe ich angefangen zu weinen. Mein Gesicht fühlt sich merkwürdig verzerrt an, und erst da merke ich, dass ich lächele. Ich lache und weine gleichzeitig, während ich auf dem Waldboden knie und den Brief umklammere, als wollte ich ihn umarmen. Ich stelle mir Jumps vor, zusammen mit einer Artgenossin, ich stelle mir vor, wie Draco in unserem Schlafsaal sitzt und mir bei Kerzenlicht diesen Brief schreibt, ich stelle mir vor, wie er nach einer Ewigkeit auf mich zu kommt, ich bilde mir ein, seine Schritte zu hören, fast schon sehe ich ihn vor mir...

Ich kann nicht aufhören zu weinen und die Tränen brennen auf meiner verletzten Haut und ich wünsche mir, sie würden all das Böse wegbrennen.

Ein heftiger Schlag gegen meine verletzte Schulter reißt mich aus meiner Traumwelt. Ich bin schneller auf den Beinen als der Schmerz in meinem Arm verebben kann und sehe mir gegenüber Jackson stehen, dessen Ausdruck zwischen Belustigung und Ärger schwankt. „Was treibst du hier draußen?", fragt er barsch, dann bemerkt er den Brief, den ich immer noch umklammere. „Und was ist das?" Mit einem Schritt ist er bei mir und reißt ihn mir aus den Händen. Entsetzt starre ich ihn an, dieses kleine Blatt Pergament bedeutet mir im Moment mehr als alles andere. In Jacksons Gesicht überwiegt nun deutlich die Belustigung. „Das ist ja süß", stellt er amüsiert fest, „Aber jetzt komm verdammt noch mal wieder mit, Greyback hat schon vermutet, dass du abgehauen bist."

Abhauen. Das Wort hallt in meinem Kopf wieder wie ein Echo.

Jackson streckt einen Arm nach mir aus, als würde er mich packen und mit zerren wollen.

Abhauen.

Ohne dass ich darüber nachdenken kann, drehe ich mich um und fange an zu rennen.

Kleine Zweige schlagen mir ins Gesicht und für einen Moment fühle ich mich wieder wie ein Wolf. Mein Herz schlägt in dem selben Rhythmus, in dem meine Füße über den Waldboden trommeln und ich höre, wie das Blut durch meine Adern rauscht. Hinter mir höre ich Jackson einen Fluch ausstoßen und seine schweren Schritte folgen mir. Doch ich blicke mich nicht um, ich sehe schließlich kaum, wo ich hin laufe, alles verschwimmt vor meinen Augen. Rechts von mir schlägt ein roter Fluch in einen Baum und ich spüre, dass ich Vorsprung gewinne. Irgendwo aus der Ferne höre ich Greyback etwas schreien, doch ich verstehe nicht, was er sagt, Jackson scheint ihm zu antworten, doch er ist immer noch hinter mir. Ich renne einen steilen Abhang hinunter und mein Fuß verhakt sich in einer herausragenden Wurzel. Ich schlage mit dem Gesicht auf dem Boden auf und spüre, dass ich mir die Lippe aufgeschlagen habe. Ein heiß glühender Blitz schießt nur knapp über mir vorbei. Diesmal ist er grün.

Ich lasse mir keine Zeit, springe auf und laufe so schnell ich kann weiter, ich laufe auch noch, als ich merke, dass Jackson mich längst nicht mehr verfolgt, und ich laufe auch noch, als ich so oft gestürzt bin, dass mir alle Muskeln weh tun, und als ich nicht mehr laufen kann, beginne ich zu kriechen und ziehe mich mit letzter Kraft über den Boden, Stückchen für Stückchen bis ich mich keinen Zentimeter weiter bewegen kann und mir schwarz vor Augen wird.

moon & miseryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt