Abschied

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Die Todesser brauchen nicht lange, um die vielen Schutzzauber zu durchbrechen; die ursprünglichen sowie die neuen, die erst vor kurzer Zeit für dieses besondere Event erstellt wurden. Nicht, dass die Zauber nicht stark gewesen wären – es liegt schier an der unübersichtlichen Menge, den unfassbar vielen Gesichtern, verborgen hinter Masken und Kapuzen, und den hunderten, vielleicht sogar tausenden von Zauberstäben, die sich gen Hogwarts richten.

Zuhause, im Malfoy Manor, habe ich nie wirklich einen Blick dafür bekommen, wie viele Todesser es eigentlich gibt... Zu viele. Ich wische den gefährlichen Gedanken weg und konzentriere mich auf das Wesentliche.

Beleuchtet vom Licht vieler entzündeter Zauberstäbe stehen Isa und ich dicht aneinandergedrängt bei meiner Mutter. Wenigstens sie scheint gefasst. Abgesehen davon, dass ihre großen dunklen Augen auffällig oft hin und her huschen, sieht sie sehr ruhig aus. Isa sieht mit starrem Blick und verschlossenem Gesicht zum Himmel, ihre Hand fühlt sich kalt an.

Ich selbst hingegen... Meine Knie fühlen sich an, als knickten sie jeden Moment ein und am liebsten hätte ich mich an Isa gekuschelt und verlangt, dass sie mich festhält, bis das alles vorbei ist.

Um uns herum herrscht ein emsiges Summen an Stimmen, so viele und so unterschiedlich, dass das eine Wort in das nächste übergeht und sich in ein unverständliches Wirrwarr verwandelt. Die Luft kommt mir vor wie ein Zaubertrank, dem zu viele giftige Zutaten beigemischt wurde.

„Draco." Auf einmal steht Vater bei uns und seine starke Hand umklammert meine Arm. Es macht mich krank, ihn so zu sehen... Die zitternden Finger und das Zucken bei jedem kleinen Geräusch, er scheint mit den Nerven völlig am Ende zu sein. Seine grauen Augen springen hin und her. „Gleich gehen alle los", sagt er leise und sein unsteter Blick bleibt kurz bei mir hängen. „Draco", wiederholt er, „der Dunkle Lord hat eine Aufgabe für dich, für dich und die Jungen von Crabbe und Goyle."

Erstaunt sehe ich ihn an. Was für eine Aufgabe? Und mit Crabbe und Goyle hatte ich schon seit Ewigkeiten nichts zu tun. Ich will gerade nachhaken, da schiebt sich ein breiter Schatten über uns.

„Mitkommen", sagt die entsetzlich schnarrende und gehässige Stimme Fenrir Greybacks. Seine Hand schießt vor und reißt Isa von meiner Seite und er sieht mich schadenfroh an. „Jaah, Malfoy. Das ist ein Befehl von oben."

Ich will protestieren – das kann er nicht machen, er kann Isa und mich jetzt nicht trennen, das darf er nicht...

Auch Isa wehrt sich. Sie schlägt dem größeren Werwolf fest auf den Arm, doch er lacht nur und schleift sie hinter sich her.

Abschied. Darf ich mich noch nicht einmal verabschieden? Erschrocken und verwirrt starre ich auf das Menschengewimmel, in dem Isa verschwunden ist, und plötzlich kriecht Panik meine Wirbelsäule hoch. Was, wenn ich sie nun nie mehr sehe?

Plötzlich fliegt Isa auf mich zu – Ja, so kommt es mir vor. Sie duckt sich durch die Menschen und drängelt sich zu mir, sichtlich außer Atem und fliegt in meine Arme.

Ihre Lippen treffen auf meine, ich lege meine Hände an ihre Taille und ziehe sie dicht zu mir, wobei ich mir der vielen Menschen und der nahenden Gefahr nur zu gut bewusst bin... Vielleicht halte ich sie genau deswegen so fest.

„Pass auf dich auf", flüstert Isa und ich spüre ihren Atem auf meiner Haut.

„Komm zu mir zurück", erwidere ich, „Ich werde auf dich warten."

Für mehr bleibt keine Zeit: Greyback ist wieder da. Wütend und diesmal endgültig packt er Isa im Nacken und schleppt sie davon.

Wie betäubt wende ich mich wieder meinen Eltern zu. Ich hatte nicht vor, mich in dieser Nacht von Isa zu trennen... Ein und die selbe Frage hämmert durch meinen Kopf: Was, wenn ich sie nie wieder sehe? Was, wenn sie... stirbt? Oder ich? Was, wenn ich sie nie lebend wiedersehe, sie nie wieder küssen und im Arm halten werde?

„Draco? Hörst du mir zu?"

Ich blinzele und erkenne meinen Vater, der mich mit abgehetztem Ausdruck ansieht. Hat er mit mir gesprochen? „Entschuldige", sage ich dumpf, „Was hast du gesagt?"

Mutter legt ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter. „Der Dunkle Lord hat eine Aufgabe für dich. Unser Herr hat eine Vermutung, wo Potter hingehen wird..."

Mit großen Augen sehe ich sie an und will weiter fragen, doch Mutter hebt die Hand und ich lasse sie ausreden.

„Seiner Ansicht nach wird Potter versuchen, in den Raum der Wünsche zu gelangen. Dort, wo alles versteckt ist. Da dir dieser Ort so vertraut ist, sollst du mithilfe von Crabbe und Goyle dort warten, bis Potter kommt, und ihn gefangen nehmen. Die beiden werden vor dem Raum auf dich warten. Euch erwartet eine große Belohnung, solltet ihr dem Dunklen Lord behilflich sein können."

Ich blicke sie an und sehe sie doch nicht. „In Ordnung", sage ich tonlos. Wenn das keine spaßige Nacht wird.

~(Isa)

„Ich kann alleine laufen", fauche ich und versuche vergeblich, mich aus Greybacks schmerzhaftem Griff zu befreien.

Er packt noch fester zu und ich spüre, wie sich seine langen Fingernägel in meinen Nacken bohren. „Damit du wieder zu deinem kleinen Malfoy laufen kannst? Sicher nicht." Grob schiebt er sich durch die dichte Menschenmenge, die sich langsam ebenfalls in Bewegung setzt, und schleift mich wie ein ungehorsames Kind hinter sich her.

„Ich musste mich verabschieden", verteidige ich mich und Draco.

„Jaja", knurrt Greyback, „das könnt ihr auch später noch. Oder..." Ein diabolisches Lachen dringt aus seiner Kehle. „Vielleicht auch nicht. Ich an deiner Stelle wäre mir nicht sicher, ob der das hier heil übersteht... Die Malfoys waren noch nie die größten und tapfersten Kämpfer, wenn du mich fragst."

Mein Hals schnürt sich zu und plötzlich brennen meine Augen. Er hat recht. Wenn Draco etwas geschieht, dann... Ich presse die Kiefer zusammen und blinzele heftig. Ich werde nicht zulassen, dass Greyback mitbekommt, was für eine unkontrollierbare Angst in mir aufwallt.

Das ist der Preis der Liebe.

Plötzlich brechen wir aus der Masse aus und ich bin auf einmal nicht mehr von unzähligen vermummten Gestalten umringt, sondern von kühler Nachtluft. Die breite Menge an Todessern zieht geschlossen an uns vorbei.

Greyback bleibt so ruckartig stehen und lässt mich los, dass ich unsanft auf den Knien lande. Sein zorniges Lachen lässt mich die Fäuste ballen und langsam stehe ich auf.

„Was machen wir hier?", frage ich durch zusammengebissene Zähne und wische meine erdigen Hände an der Hose ab.

Er verschränkt die muskelbepackten Arme und blickt finster zu den Todessern, die mit ihren hell entzündeten Zauberstäben in der Dunkelheit wie eine Armee Leuchtfische aussehen. „Die Schutzzauber sind weg", erklärt Grayback lapidar, „Und die da marschieren jetzt alle vorne rein." Mit seiner Pranke deutet er auf den Strom. „Aber wir beide... werden erst ein wenig Verwirrung stiften gehen. Und damit im besten Fall einen kleinen Vorteil für unsere Seite raus hauen." Mit diesen Worten setzt er sich wieder in Bewegung – jedoch nicht ich Richtung des Lichts, sondern tiefer in die Dunkelheit.

Ich stolpere ihm hinter her. Als ich mit Draco unterwegs war, habe ich mich etwas überlegen gefühlt... weil meine Sicht im Dunkeln besser ist und ich ein weiter entwickeltes Gespür für Richtungen und Orte habe. Neben Greyback jedoch komme ich mir wieder schwach und unfähig vor. „Und wie genau machen wir das?", frage ich und versuche, nicht über irgendwelches vom Schatten verschlucktes Gestrüpp zu stolpern.

„Die werden draußen überall Wachen haben. Die rechen nicht mit zwei einzelnen Personen, die einfach über die Mauer steigen, aber genau das werden wir tun. Auf ein Zeichen hin werden wir eine der Wachen angreifen, sodass die Aufmerksamkeit kurz in unsere Richtung geht – in dem Moment wird unsere Seite den Hauptdurchgang stürmen."

„Klingt, als sollten wir drauf gehen", stelle ich fest.

Greyback lacht. „So skrupellos sind diese Weicheier von Potter-Freunden doch nicht. Wenn doch... Ich werde dich als Schutzschild benutzen."

Seine Schadenfreude klingelt in meinen Ohren und mir wird schlecht. Ich bezweifele keine Sekunde, dass er das wirklich tun wird.

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