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Ich halte den Kopf gesenkt und versuche mir nicht anmerken zu lassen, dass mir fast die Augen zufallen. Seit Tagen habe ich kaum geschlafen. Nicht zum ersten Mal frage ich mich, warum die Todessersitzungen fast immer mitten in der Nacht stattfinden. Einzig und allein die bedrohliche Stimme des dunklen Lords hält mich wach. Ich habe das Gefühl, ich sitze schon seit Stunden auf diesem unbequemen Stuhl und lausche irgendwelchen Neuigkeiten, die mich glücklicherweise nicht weiter betreffen. „... ist ein weiterer Gefangener bei uns. Wurmschwanz!", donnert Voldemort und ich zucke zusammen. „Hol ihn hierher. Es wird Zeit für eine weitere Befragung." Vorsichtig hebe ich den Blick so weit, dass ich erkennen kann, welchen armen Tropf Wurmschwanz dieses Mal anschleppen muss. Hastig schaue ich wieder auf meine Hände, als ich erkenne, dass es sich um Garrick Ollivander handelt. Der Zauberstabmacher ist schon so lange Gast bei uns, dass es mich wundert, dass er überhaupt noch lebt. Als ich das erste Mal auf ihn traf, mit elf Jahren, fand ich den Mann unheimlich mit seinen blassen Augen. Heute tut er mir Leid. Der bloße Anblick seiner verfilzten Haaren und dem ausgemergeltes Gesicht füllt mich mit Schrecken. In seiner Haut möchte ich wirklich nicht stecken.
Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie Voldemort sich erhebt und gemächlich um die Tafel schreitet. Ich ziehe den Kopf ein, als er direkt hinter mir ist und halte den Atem an, bis er weiter geht.
„So viele Fragen, die du mir nicht zufriedenstellend beantwortet hast... Auch nach der langen Zeit nicht, die ich dir gnädigerweise zum Nachdenken gelassen habe. Meinst du nicht, so ein Verhalten verdient eine gerechte Strafe?" Ollivander flüstert etwas, doch es ist zu leise, als dass ich es verstehen könnte. Vielleicht bittet er um Gnade, denn Voldemort erwidert: „Oh, aber ich bin gnädig, alter Mann. In meiner Gnade habe ich dich am Leben gelassen. Der Tod ist die schlimmste aller Strafen." Bei diesen Worten kriecht ein kalter Schauer über meine Haut. Ich habe so viel von Voldemorts ,Gnade' gesehen, dass ich mir grauenhaftere Dinge als den Tod vorstellen kann. Und das, obwohl ich früher immer große Angst vor dem Tod hatte.
„Wenn du klug bist", fährt der dunkle Lord fort, „Nimmst du deine Strafe als... Ansporn, noch etwas gründlicher zu überlegen, ob du nicht bessere Antworten für mich bereit hast. Wenn das nicht der Fall sein wird... werde ich mir etwas Neues für dich ausdenken müssen. Aber für jetzt..." Von Neuem beginnt er, um seine Todesser herum zu gehen. Hastig senke ich den Kopf noch etwas tiefer. Als Voldemort weiter spricht, klingt leise freudige Erwartung aus seiner Stimme. „... wird es wohl wieder der Crutiatus-Fluch werden." Ich höre, wie er beinahe direkt hinter mir stehen bleibt. „Gibt es... irgendwelche Freiwilligen?" Weiter links von mir ertönt ein Schrei. „ICH, mein Lord! Ich werde dem alten Mann zeigen, was passiert, wenn man dem dunklen Lord nicht gebührend dient! Oh bitte, lasst mich es tun!" Bellatrix. Natürlich. Meine wahnsinnige Tante vergöttert den Crutiatus-Fluch; besonders dann, wenn sie ihn selbst ausführen darf.
„Ich bewundere deine Ambition, Bellatrix", antwortet der dunkel Lord ohne einen Hauch Bewunderung in der Stimme, „Aber du beherrschst dein Werk bereits perfekt. Ich würde gerne jemanden auswählen, der noch nicht so viel Übung hat. Wie wäre es mit dir..." Die kurzzeitige Stille liegt tonnenschwer in der Luft. „... Draco?" Wie eingefroren starre ich auf die umbrabraune Tischplatte vor mir. Ich kann hören, wie der dunkle Lord neben meinen Stuhl tritt. Langsam, so langsam wie möglich hebe ich den Kopf und wende mich dem dunklen Lord zu, jedoch ohne ihm ins Gesicht zu blicken. „I- Ich, Herr?" „Es wird Zeit", erklärt Voldemort mit bedeutungsvoller Stimme, „Dass du ein wenig Übung darin bekommst."
Der Stuhl scharrt laut über den Boden, als ich mich erhebe. Vor dem dunklen Lord stehend beuge ich den Kopf wieder tiefer, sodass es fast schon an eine Verneigung grenzt. Widerwillig gehe ich um den Tisch herum auf den Zauberstabmacher zu. Ohne zu blinzeln schaut der alte Mann mich an, während ich mit gezogenem Zauberstab vor ihm stehe. „Oh, ich erinnere mich an diesen Zauberstab", verkündet er mit einer Stimme, die so dünn ist wie ein Band, das kurz vor dem Reißen steht. „Ach ja?", frage ich und versuche, überheblich zu klingen. Der alte Mann nickt. „Ich erinnere mich an jeden einzelnen Stab, den ich in meinem gesamten Leben verkauft habe." Mit einer zittrigen Hand deutet er ungefähr in die Richtung meines Zauberstabs. „Weißdorn und Einhornhaar, exakt zehn Zoll lang und federnd, ja, sehr flexibel. Der Zauberstab sucht sich den Zauberer, ja, ja." Ich werfe einen nervösen Blick in die Richtung des dunklen Lords. Seine aufkommende Ungeduld liegt in der Luft wie ein Donnergrollen.
Fest entschlossen umklammere ich meinen Zauberstab. Ich muss es einfach tun. Der Alte wird das schon überleben. „Crucio!", spreche ich den Fluch mit energischer Stimme. Ollivander krümmt sich, als hätte ihn ein massiver Schlag in den Magen getroffen, doch er bricht nicht zusammen. Er stößt auch keinen markerschütternden Schrei aus, wie es die Opfer von Bellatrix Flüchen immer tun. Unruhig erhasche ich einen Blick zu den Todessern, die schweigend abwarten. Doch die Ruhe währt nur einen Wimpernschlag lang. „Du kannst es nicht", kreischt Bellatrix, „Du musst es so meinen, du musst es wollen, du dummer Junge. Wenn du es nicht kannst, erledige ich es für an deiner Stelle, dich erledige ich gleich noch dazu! Ich kann es dir sicher beibringen, oh, ich werde dir zeigen, wie man es macht, du musst es lieben lernen, anderen Schmerz zuzufügen, und ich werde dir deine Opfer aussuchen... Vielleicht lasse ich dich es an dem Greenskape-Mädchen üben, würde dir das nicht gefallen?" Bellas schrilles Lachen hallt durch den Saal. Wut steigt in mir auf und ich schließe die Augen, während sie weiter spricht. „Ich würde nur zu gerne hören, wie sie schreit, und sehen, wie du diese Schreie verursacht... Das dreckige Halbblut hat es nicht anders verdient!" Als ich die Augen wieder öffne, sind die Blicke derer, die es wagen, hoch zu schauen, auf mich und Bellatrix gerichtet. Selbst der dunkle Lord scheint interessiert. Sie warten darauf, dass ich etwas tue. Sie wollen meine Reaktion sehen. Ich drehe mich um und schaue Bellatrix direkt an. Ich habe keine Angst mehr. Stattdessen kochen in mir Zorn und Feindseligkeit. Die Augen zu Schlitzen verengt richte ich meinen Zauberstab pfeilschnell auf das immer noch lachende Gesicht meiner Tante. Dieses Mal kommt mir der Fluch so leicht über die Lippen, als würde ich ihn jeden Tag aussprechen. Der Knall aus meinem Zauberstab lässt mich zusammen zucken, doch die Befriedigung ist größer als der Schreck. Bellatrix liegt, von ihrem Platz gefegt, auf dem Boden, doch ich habe den Zauberstab bereits wieder gesenkt. Ausdruckslos warte ich, bis sie aufsteht. „Du wagst es?", keift sie, „Du wagst es?" „Ich wage es. Ich habe getan, was du mir gesagt hast. Ich habe es so gemeint." Die verrückte Hexe zückt ihren Zauberstab und ich wappne mich für den Schmerz, doch urplötzlich hebt Voldemort die Hand. „Es genügt, Bella." Sie sieht so enttäuscht ist, dass ich beinahe lachen muss. „Herr?" Der dunkle Lord bedeutet ihr, sich zu setzen. Wie ein schmollendes Kind die Unterlippe vorgeschoben, lässt Bellatrix sich auf ihren Platz fallen. Voldemort wendet sich mir zu. „Setz dich", befiehlt er auch mir. Jetzt trage ich den Kopf hoch erhoben. Ich weiche keinem der Blicke aus, während ich meinen Platz einnehme. Es ist das erste Mal, dass ich stolz darauf bin, den Crutiatus-Fluch gebraucht zu haben.
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moon & misery
Hayran Kurgu(Abgeschlossen!) Eine Geschichte um Draco Malfoy und Iris-Isabelle van Greenskape, die im siebten Schuljahr untragisch beginnt. Iris-Isabelle, die lieber Isa genannt wird, ist schockiert, als sie erfährt, dass sie zusammen mit Draco Malfoy Schulspre...